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Das Kopftuch gehört zum Straßenbild. Auch in Touristenzonen.

© Wolfgang Kumm / dpa / picture alliance

Integration: Warum das Kopftuch ein Stoff ohne Ende ist

Seit 20 Jahren beschäftigt die islamische Kopfbedeckung Politik, Justiz und Gesellschaft - ohne Lösung. Zeit, die Perspektive zu wechseln. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es könnten wohl viele, auch viele Unternehmen, als Enttäuschung empfinden, was ihnen das Bundesarbeitsgericht am Mittwoch dargelegt hat: Das Kopftuch bleibt ein Streitstoff ohne greifbares Ende. Kein Urteil, das Klarheit schafft, sondern wiederum eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, wie es dazu auch schon aus anderen EU-Staaten welche gab. Keine Landesregierung, kein Parlament, kein Gericht hat bislang eine belastbare Grundlage schaffen können, um die Frage zu klären, an der sich für manche symbolisch das Schicksal der Integration entscheidet: Gehört das Kopftuch zu Deutschland?

Man muss kein Großstadtbewohner sein, um festzustellen, dass es vielleicht nicht zu Deutschland, aber zum Straßenbild, zum Alltag gehört. Frauen mit Kopftüchern sitzen in der Drogerie an der Kasse, im Hörsaal an der Uni, sie schieben Kinderwagen durch den Park oder im Krankenhaus den Notdienst; Mädchen gehen mit ihnen zur Schule, während ihre Mütter Einkaufstüten schleppen; sie feiern, essen, arbeiten damit. Kurzum: Sie machen, was alle machen.

Es gibt immer nur neuen Streit, neue Gesetze, neue Klagen

Was sollte die Politik daran ändern? Mit welchem Ziel? Wer das Kopftuch und die zumindest scheinbar zunehmende Zahl derer, die eines tragen, als Problem darstellt, müsste erklären, wie es zu lösen sein soll. Das wird nun seit bald zwei Jahrzehnten versucht, mit dem Ergebnis, das noch keine Lösung gefunden ist. Weder bei Lehrerinnen noch bei Richterinnen, bei Angestellten oder Schülerinnen. Es gibt nur immer neuen Streit, neue Gesetze, neue Klagen.

Dass sich alle einer staatlich oder auch privat verordneten Neutralität unterwerfen, ein in Diskussionen gelobtes theoretisches Konzept, würde sich in der Praxis als untauglich erweisen. Staat und Wirtschaft brauchen Menschen, sie werden durch Menschen repräsentiert und am Laufen gehalten – und Religion ist nun mal menschlich. Strikte Neutralität bedeutet genau dies: Eine Unterwerfung, und zwar unter das Nichts. Wer die Freiheit fordert, Kopftücher überall zu verbieten, schafft nur eines, nämlich die Religionsfreiheit ab. Ist das Fortschritt?

Rechtssicherheit ist eine trügerische Erwartung

Viel spricht dafür, manche Probleme, die sich nicht lösen lassen, nicht länger als Problem zu betrachten. Ein nötiger Perspektivwechsel, der im Trialog der drei Staatsgewalten schleichend schon vollzogen wurde. Die Antworten darauf, ob und wann Kopftücher zu dulden sind, sind so vielgestaltig geworden wie die Motive derer, die sie für unverzichtbar halten. Wie auch immer an einem noch nicht erkennbaren Ende Regelungen aussehen, ob sie für den staatlichen Bereich gelten oder die Privatwirtschaft, sie werden um Differenzierungen kaum herumkommen. Die verlangte Rechtssicherheit ist eine trügerische Erwartung. Die Justiz hält sich mit Ansagen zurück, stattdessen entwickelt sie einen Rahmen für einen offenen Prozess. Verbote kann man aussprechen. Aber man sollte sich nicht wundern, wenn sie wieder gekippt werden.

Diese Offenheit als Unsicherheit oder gar Unentschlossenheit zu deuten, verfehlt ihre wahre Qualität. Fast 20 Jahre Kopftuchstreit sind keine Schwäche, sie sind Ausweis einer demokratischen Stärke im hoch komplexen Verfahren gesellschaftlicher Integration. Anpassung gibt es hier nicht. Es gibt nur Anerkennung, und die sollte gegenseitig sein. Die wiederkehrenden Kopftuchdiskussionen belegen nichts anderes, als dass dies noch dauern wird. Aber es kommt.

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