zum Hauptinhalt
Gewinner des Lockdowns: Der US-Onlinehändler Amazon.

© REUTERS/Brendan McDermid./File Photo

Innerstädtischen Einzelhändler vor dem Kollaps: Lockdown-Gewinner Amazon soll „Corona-Opfer“ bringen

Amazon und ähnliche Konzerne sollen mehr Steuern zahlen. Die Grünen wollen damit „die Innenstädte retten“.

Im November ließ sich Peter Altmaier mit seinem Fahrrad ablichten, vorne im Korb hübsch verpackte Geschenke, auf dem Gepäckträger ein Adventskranz mit roten Kerzen. Dazu titelte die „Bild“-Zeitung mit folgender Aussage des Wirtschaftsministers: „Einkaufen ist eine patriotische Aufgabe“.

Er selbst gehe gerne in real existierende Geschäfte. „Sie sind etwas ganz Besonderes für mich und Teil unserer Identität, Leitkultur. In einigen Läden, gerade in meinem Wahlkreis im Saarland, bin ich seit mehr als 50 Jahren Kunde.“

Nun ruft Altmaier die Menschen auf vor den Ladenschließungen am Mittwoch lieber keine Geschenke vor Ort einzukaufen. „Ich wünsche mir und ich hoffe, dass die Menschen nur das Allernötigste besorgen, was sie wirklich brauchen an Lebensmitteln“, sagte er im Internetprogramm von „Bild“.

Und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier betont: „Über Geschenke freuen sich Freunde und Verwandte auch später noch. Was jetzt zählt, ist, Gesundheit zu erhalten und Menschenleben zu retten.“

Einbruch schon durch den "Lockdown Light"

Allerdings wird ein Gewinner des Lockdowns erneut der Internetriese Amazon sein, der auch dank fragwürdiger Arbeitsbedingungen und geschickten Steuervermeidungsmodellen immer größer wird.

Der Teil-Lockdown seit November kostet einer Studie zufolge die innerstädtischen Einzelhändler bis zu 16,9 Milliarden Euro. Hintergrund sei, dass deutlich weniger Menschen in die Innenstädte gefahren seien, heißt es in einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW).

Im November sei die Frequenz um 44 Prozent gesunken, im Dezember sogar um 49 Prozent. Wenn nun der Einzelhandel wieder komplett schließen muss, sei der wirtschaftliche Schaden nochmal größer. Der Gewinner sei insbesondere Amazon. Und Unternehmen wie die Deutsche Post/DHL mit bis zu 1,8 Milliarden beförderten Paketen in diesem Jahr, ein Plus von 15 Prozent.

[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräteherunterladen können.]

Schon vor Corona sei der Internethandel für 48 Prozent der Online-Umsätze in Deutschland verantwortlich gewesen. „2020 dürfte die Bedeutung nochmals gestiegen sein.“ Auch Unternehmen wie der Essenanbieter Lieferando profitieren, das Jahr wird auch ökonomisch noch viele verändern.

Noch einmal einkaufen, dann ist wieder Lockdown. Eine Szene aus Osnabrück.
Noch einmal einkaufen, dann ist wieder Lockdown. Eine Szene aus Osnabrück.

© dpa

Damit aber die Zwänge der Pandemie nicht reihenweise den Laden um die Ecke in die Insolvenz treiben, während Amazon-Boss Jeff Bezos der große Profiteur ist, gibt es mehrere Ansatzpunkte.

Zum einen hatten die Grünen schon in der ersten Welle Konsumgutscheine ins Spiel gebracht, die nur im lokalen Einzelhandel eingelöst werden können.

Ebenso sind natürlich Geschenkgutscheine eine Option, die den Läden zumindest ein verzögertes Weihnachtsgeschäft bringen kann. Zudem gibt es das Portal „Wir liefern“ (www.wir-liefern.org) – eine nach eigenen Angaben nicht profitorientierte Plattform, auf der Händler, Gastronomen und Dienstleistungsbetriebe in der Corona-Krise ihr Angebot kostenlos anbieten, sozusagen ein Amazon des Einzelhandels.

Grüne: Geld von Amazon für Rettung der Innenstädte einsetzen

Und als politische Konsequenz rückt das Thema einer stärkeren Besteuerung der Digitalwirtschaft in den Fokus.

Es zeichnet sich, dass der Umgang mit der Marktmacht von Konzernen wie Amazon auch ein Wahlkampfthema in Deutschland im kommenden Jahr werden wird. Die Grünen fordern eine Art Corona-Opfer von Amazon, angesichts der prächtigen Versand-Geschäfte.

[Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]

Dass die großen Onlinehändler „ihre Milliardengewinne kaum versteuern müssen, ist nicht nachvollziehbar und den vielen Menschen, die im Einzelhandel arbeiten und kleine Geschäfte betreiben auch nicht mehr erklärbar“, mahnt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann. „Dieses Steuergeld könnte zur Rettung der Innenstädte eingesetzt werden.“

Ein Amazon-Sprecher betont, mit dem erneuten Lockdown komme vielen Einzelhändlern in Deutschland – einschließlich Amazon –  die wichtige Rolle zu, Waren für Menschen im ganzen Land nach Hause zu liefern. "Dabei unterstützen wir zehntausende kleine und mittlere Unternehmen und ermöglichen ihnen, ihre Produkte online über den Amazon Marketplace zu verkaufen." Oberste Priorität habe die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Mitarbeiter. "Wir haben bisher über 150 Prozesse in unserem Logistiknetzwerk maßgeblich verändert und schätzen, dass wir 2020 weltweit rund 10 Milliarden US-Dollar im Zusammenhang mit COVID-19 ausgeben werden."

Wollen die digitale Wirtschaft fairer besteuern: Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Finanzminister Olaf Scholz.
Wollen die digitale Wirtschaft fairer besteuern: Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Finanzminister Olaf Scholz.

© imago images/photothek

Scholz kämpft für OECD-Steuer-Einigung

Aber gerade das Steuerthema wird virulenter, dazu laufen seit Jahren bereits auf internationaler Ebene Verhandlungen für mehr Fairness im Wettbewerb. „Wir brauchen eine gerechtere Besteuerung“, sagt auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) beackert dieses Thema seit Monaten, er will eine gemeinsame Mindestbesteuerung und einheitlichen Steuerregeln für die digitale Wirtschaft auf OECD-Ebene erreichen, um Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel US-Strafzölle zu vermeiden.

"Wir brauchen ein internationales Konzept, wie wir die digitale Wirtschaft besser besteuern. Steueroasen und Steuerinseln müssen verschwinden“, sagte Scholz zuletzt im Tagesspiegel-Interview. Bis Sommer 2021 soll es eine Einigung geben, sonst wächst der Druck für nationale Alleingänge – auch in Deutschland. Frankreich hatte bereits 2019 eine nationale Digitalsteuer eingeführt, diese wegen der laufenden internationalen Verhandlungen aber zunächst nicht angewendet. "Die Bundesregierung ist zuversichtlich, dass im nächsten Jahr ein internationaler Konsens zur Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft herbeigeführt wird", heißt es im Finanzministerium.

EU droht mit Milliardenstrafen

Ein weiterer Hebel wäre das EU-Wettbewerbsrecht. Unter Androhung von Milliardenstrafen soll die Marktmacht von Unternehmen wie Facebook, Google oder Amazon in der EU begrenzt werden. Dazu legte die EU-Kommission nun ein umfassendes Digital-Paket vor. Als letzte Option droht die Behörde sogar damit, Tech-Riesen zu zerschlagen. Die Vorschläge dienten einem Zweck: „sicherzustellen, dass wir als Nutzer Zugang zu einer großen Auswahl sicherer Produkte und Dienste im Netz haben“, sagte EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. Zudem solle ein fairer Wettbewerb sichergestellt werden – online und offline.

Zur Startseite