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Kommte das Schild bald wieder zum Einsatz? Eine mobile Informationstafel stand im März an der Autobahn A20 auf dem Weg nach Usedom und Rügen.

© Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

Innerdeutsche Grenzen: Auch Niedersachsen und Schleswig-Holstein beschränken die Einreise

Bewohner aus Kreisen mit über 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner sind in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt. Sind diese Maßnahmen rechtmäßig?

Von Ronja Ringelstein

Seit Ende der Deutschen Teilung haben die innerdeutschen Landesgrenzen für Reisende eigentlich eher nachrangige Bedeutung. Derzeit aber sprechen immer mehr Bundesländer Einreise- und Beherbergungsverbote für Menschen aus Gebieten in Deutschland aus, in denen es zu einer großen Anzahl von Neuinfektionen gekommen ist.

Hotels in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern dürfen keine Gäste mehr beherbergen, die aus einem Landkreis einreisen, in dem die Zahl der Neuinfektionen in den zurückliegenden sieben Tagen bei mehr als 50 pro 100 000 Einwohner liegt.

Am Montag hatte die Urlaubsinsel Usedom 14 Urlauber, die aus Gebieten mit hohen Infektionszahlen kamen, aufgefordert, vorzeitig abzureisen. Darunter war auch ein Paar aus Gütersloh in Nordrhein-Westfalen. Der Landkreis steht wie auch der Landkreis Warendorf seit der Corona-Masseninfektion in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück erneut im Lockdown.

In Schleswig-Holstein hingegen müssen die Reisenden aus innerdeutschen Hotspots in 14-tägige Quarantäne – die darf man auch im Hotelzimmer verbringen, solange keine sanitären Gemeinschaftsanlagen benutzt werden.

Eins ist sicher: Den Urlaub stellt man sich so nicht vor. Rechtlich aber können die Bundesländer tatsächlich viel auf eigene Faust unternehmen, um Neuinfektionen innerhalb ihrer Landesgrenzen zu verhindern.

Maßnahmen müssen die mildesten Mittel sein, mit denen man das Ziel erreichen kann

„Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet“, heißt es zwar in Artikel 11 des Grundgesetzes. Es ist aber nicht das erste Mal, dass das Coronavirus dafür sorgt, dass die Grundrechte eingeschränkt werden – müssen.

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Pauschal lässt sich allerdings sagen, dass zu allgemein formulierte Verordnungen immer schlecht sind, um Grundrechte rechtmäßig einzuschränken. Es muss verhältnismäßig zugehen. Dazu zählt: Die Maßnahmen müssen die mildesten Mittel sein, mit denen man das Ziel erreichen kann. Und das Ziel heißt: keine Neuinfektionen.

Das Infektionsschutzgesetz gibt Schutzmaßnahmen vor, die der Staat ergreifen kann, „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich“ ist. Das Gesundheitsamt kann etwa „Personen verpflichten, von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“, heißt es in Paragraf 28 des Gesetzes. Die Maßnahmen, die sich auf diese Generalklausel stützen, können sich auch gegen Dritte richten.

Auch „Nichtstörer“ können eingeschränkt werden

Der juristische Begriff dafür lautet „Nichtstörer“. Das heißt, ohne dass diese Personen selbst ansteckungsverdächtig sind, darf beispielsweise ein Beherbergungs- oder Einreiseverbot gegen sie erlassen werden.

„Diese Verbote müssen aber verhältnismäßig sein. Das beinhaltet auch, dass sie differenziert geregelt und zeitlich eng befristet sind“, sagt der Rechtsanwalt Michael Winkelmüller. Er ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und spezialisiert auf Gesundheitsschutz. Das heiße: Könne jemand mit einem aktuellen negativen Coronatest oder einem positiven Antikörpertest nachweisen, dass von ihm derzeit keine Ansteckungsgefahr ausgeht, „müsste das Land ihn meines Erachtens nach wieder einreisen lassen und beherbergen“.

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Dass Usedom Urlauber zwingt, wieder auszureisen, die aus einem Risikogebiet kommen, ist die konsequente Durchsetzung des Einreiseverbots – aber auch eine solche Ausweisung muss erforderlich und geeignet sein, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Wenn jemand aus Gütersloh beispielsweise schon vor Ausbruch der Masseninfektion im Schlachtbetrieb Tönnies nach Usedom gereist war, ist die Ausweisung offenkundig unnötig.

Kritisch sieht der Jurist auch die von Schleswig-Holstein angekündigte Quarantäne. Denn der Fall könnte ähnlich gelagert sein, wie die pauschale Pflicht zur häuslichen Quarantäne für Auslandsrückkehrer, die das Oberverwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen im Falle zweier aus Thailand zurückgekehrten Urlauber gekippt hatte.

Je einschneidender die Maßnahme, desto enger die Voraussetzungen

Die Quarantäne, die nach einer Neufassung des Infektionsschutzgesetzes nun Absonderung heißt, ist eine besonders einschneidende Maßnahme und nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Laut Paragraf 30 Infektionsschutzgesetz kann unter anderem für „Ansteckungsverdächtige“ eine Absonderung angeordnet werden.

„Es erscheint mir zweifelhaft, ob Menschen allein deshalb als ,ansteckungsverdächtig’ angesehen werden können, weil sie aus dem Kreis Gütersloh oder anderen Hotspots kommen. Meines Erachtens könnte Schleswig-Holstein hier zu weit gehen, wenn es tatsächlich pauschal Quarantäne für Reisende aus der Region anordnet“, sagt Winkelmüller.

Nachdem zu Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland ein bundesweit einheitliches Vorgehen zu deren Bekämpfung beschworen wurde, reagieren die Bundesländer nun in völlig unterschiedlichen Härtegraden. Der Berliner Senat plant derzeit weder Einreise- oder Beherbergungsverbote noch Quarantäne-Pflichten für Rückkehrer aus deutschen Hotspots.

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