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Demonstration der Organisation "Seebrücke" im März in Potsdam

© Andreas Klaer/PNN

Innenausschuss hört Experten: Gibt es die "globale Stadt"?

Immer mehr Städte sind bereit, Flüchtlinge freiwillig aufzunehmen. Der Innenausschuss des Bundestags hat jetzt Fachleute gefragt, ob sie das dürfen.

Hat die Seebrücke Chancen, tragfähig zu werden? Inzwischen sind es etwa hundert deutsche Städte, von Kiel über Berlin bis zum schwäbischen Rottenburg, die sich zu sicheren Häfen erklärt haben und aus Seenot Gerettete aufnehmen wollen. Doch bisher dürfen sie das nicht. Der Streit wird weltweit geführt; in den USA geht etwa Präsident Trump gegen die Bewegung der „Sanctuary Cities“ vor, die ihre irregulären Migranten schützen und mit kommunalen Dienstleistungen versorgen. Im Bundestag wurde über die Frage nun erstmals unter Fachleuten diskutiert – nachdem Grüne und Linke bereits im Frühjahr Vorschläge eingebracht hatten, die den Kommunen den nötigen Freiraum für Flüchtlingsaufnahme über ihre bundesweit festgelegten Kontingente hinaus verschaffen sollen.

Verfassungsrechtler fürchtet "Nebenaußenpolitik"

Die Sachverständigen-Anhörung am Montagnachmittag im Innenausschuss des Bundestags war schon der Schlachtordnung auf kommunaler Seite wegen interessant. Während sich Teile der kommunalen Basis für Aufnahme stark machen und unbedingt selbst Verantwortung dafür übernehmen wollen, ging ihre offizielle Lobby, Städtetag, Landkreistag und Städte- und Gemeindebund dagegen in Stellung. In diesem Punkt sind sie, anders als sonst und gegen eine wachsende Zahl derer, die sie vertreten, gegen mehr kommunale Autonomie. Zur Anhörung waren die drei Spitzenverbände sogar mit vier Köpfen vertreten. Tenor ihrer Statements: Flüchtlingsaufnahme ist Bundesangelegenheit, nicht unsere. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag argumentierte mit möglichen Konflikten, falls eine so spaltende Frage wie weitere Flüchtlinge vor Ort entschieden werde. Dem hielt Potsdams Bürgermeister Mike Schubert (SPD) entgegen – Potsdam koordiniert das Bündnis Sicherer Häfen, in dem aktuell 28 Städte aktiv mitarbeiten -, dass die Frage in seiner Stadt seit Jahren Diskussionsthema gewesen sei. Die Bürgerinnen und Bürger hätten „bei Wahlen die Möglichkeit, mit dem Thema umzugehen“. Die letzte Kommunalwahl habe den Kurs seines Stadtrats nicht abgestraft, im Gegenteil. 

Die anwesenden Professoren, Fachleute für Migrations- und Verfassungsrecht, erteilten dem Projekt der Sicheren Häfen allesamt eine Absage. Marcel Kau von der Universität Konstanz sprach von „Nebenaußenpolitiken“, die das deutsche Verfassungsrecht nicht hergebe. „Aufgabe der Kommunen sind Schwimmbäder, öffentlicher Nahverkehr, Daseinsvorsorge, aber keine Außenpolitik.“ Dem widersprach die Juristin Helene Heuser, die zum Thema an der Universität Hamburg promoviert: Diese Sicht sei „ein bisschen überholt, weil wir in globalisierten Verhältnissen leben“. Die Aufgaben der Städte seien in ständigem Wandel, auch das Grundgesetz schreibe sie nicht fest. Schon jetzt knüpften Städte im Rahmen ihrer grundgesetzlich garantierten Selbstverwaltung weltweit Netze, zum Beispiel für Klimapolitik. Die Aufnahme von Flüchtlingen berühre zudem keine außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik, sie diene dem Menschenrechtsschutz.

Städte jenseits der Stadtgrenzen

Gesine Schwan, die Gründungspräsidentin der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder, deren "Governance Platform" sich mit dem Thema befasst, verwies auf den Vorschlag des französischen Präsidenten, mit einem europaweiten Fonds die Aufnahme zu unterstützen – das sei „sehr hellsichtig“, so Schwan, da Migration sich zu einem „der destruktivsten Probleme für die EU“ entwickle. Sich hier auf freiwillig engagierte Kommunen zu verlassen, sei besser als der heutige übliche Verteilzwang. Sie verwies etwa auf „viele polnische Städte und Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen wollen“, dies aber wegen der Haltung der Regierung in Warschau nicht könnten.

Am Ende der Anhörung war mindestens geklärt, dass die Frage, ob kommunale Aufgaben an der Stadtgrenze ändern, verfassungsrechtlich so klar nicht ist. Da korrigiere er sich, bemerkte der CDU-Abgeordnete Axel Müller, der selbst Jurist ist. Und Marcel Kau kommentierte Helene Heusers Verweis auf den FU-Professoren Kollegen Helmut Aust –dessen 2017 erschienene Habilitationsschrift postuliert ein „Recht der globalen Stadt“, und "grenzüberschreitenden Dimensionen kommunaler Selbstverwaltung“. Das sei vom juristischen Mainstream und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch sehr weit entfernt, so Kau. Der aber auch nicht ausschloss, dass die "globale Stadt" eines Tages auch von deutschen Höchstrichterinnen und -richtern anerkannt werden könnte: "Das kann vielleicht in 20 Jahren mal Realität werden."

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