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Wolfgang Schäuble (CDU), heute Parlamentspräsident, war Finanzminister, als der Streit begann. Die Grünen nennen sein Verhalten einen Skandal.

© imago images/Political-Moments

Informationsrechte des Parlaments: Wenn die Presse zuerst weiß, welche Politik die Regierung plant

In EU-Angelegenheiten muss der Bundestag frühzeitig eingebunden werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Den klagenden Grünen ging es ums Prinzip.

Dass die Bundesregierung ihre Europa-Politik an den Bundestag rückkoppeln muss, hat das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach entschieden – und oft auf Versäumnisse hingewiesen. Jetzt wurde ein weiterer Akzent gesetzt: Das Parlament ist rechtzeitig zu informieren, bevor in den politischen Verhandlungen mit Repräsentanten anderer Staaten Leitplanken eingezogen werden. Mit dieser Feststellung gab das Gericht einer Organklage der Grünen-Bundestagsfraktion statt (Az.: 2 BvE 4/15). Die Regierung habe es unterlassen, die Legislative in der Staatsschuldenkrise im Jahr 2015 vor internationalen Euro-Spitzentreffen umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über ihre Verhandlungslinie zum Verbleib oder vorübergehenden Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone zu unterrichten, heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichtem Beschluss.

Eigentlich macht das Grundgesetz hier eine klare Ansage. „In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit“, heißt es in Artikel 23. Und weiter: „Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.“

Die Regierung hat einen geheimen „Kernbereich“. Aber der ist endlich

In der Praxis kann es dann anders aussehen. Ein Argument für Abweichungen ist gewiss das Tempo, das manchmal nötig wird, wenn sich die Bundesrepublik außenpolitisch positioniert. Doch es ist eben auch so, dass es bedeutet, die Opposition frühzeitig zu informieren, wenn der Bundestag informiert werden muss. Darüber ist man in der Exekutive nicht immer glücklich. Zudem behält sich die Regierung vor, dass es einen unausforschbaren „Kernbereich“ ihrer Entscheidungsfindung geben müsse, der anderen gegenüber nicht offengelegt werden müsse; egal ob Presse oder Parlament.

Über eine solche Konstellation hatte jetzt auch der Zweite Senat des Gerichts zu urteilen. Den Grünen ging es mit ihrer bereits vor sechs Jahren unmittelbar nach den Vorgängen eingereichten Klage erkennbar ums Prinzip. Damals stand mit der Pleite Griechenlands die Zukunft der EU auf dem Spiel. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), heute Parlamentspräsident, erwog sogar einen zeitlich befristeten Austritt Griechenlands aus der Währungsunion für den Fall, dass die Verhandlungen scheitern und die Griechinnen und Griechen die Reformpläne der EU ablehnen. Niedergelegt wurde die Idee in einem englischsprachigen Dokument, das der Vorbereitung auf Treffen der Euro-Gruppe am 11. und 12. Juli 2015 und dem Euro-Gipfel am 12. und 13. Juli 2015 dienen sollte.

Das Parlament war einen Tag später als die Medien dran

Überraschend daran war nicht nur der Vorstoß, Griechenland eine „Auszeit für die Eurozone“ anzubieten, sondern auch die Art und Weise, wie dieser in die dann sehr schnell öffentliche Diskussion geriet: Verschiedene Medien berichteten schon am 11. Juli ausführlich über den Inhalt des Papiers, auf der Webseite eines Nachrichtenmagazins war es sogar im Volltext abrufbar. Offiziell wurde es dem Bundestag aber erst einen Tag später übersandt.

Gegenüber Anfragen der Grünen verteidigte der damalige Finanzstaatssekretär und heutige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Regierung damit, das Papier sei „kein Vorschlag an die Eurogruppe“ gewesen, sondern habe der „internen Vorbereitung“ sowie dem „individuellem Austausch“ gedient.

Wie das Papier seinerzeit in die Medien gelangte, ist offen. In der Presse-Berichterstattung hieß es unwidersprochen, Schäuble habe es „kursieren lassen“. Tatsache ist auch, dass es am 10. Juli abends per E-Mail aus dem Schäuble-Ministerium an EU-Spitzenpersonal übermittelt wurde, darunter den Kommissionspräsidenten und den Chef der Europäischen Zentralbank. Und es steht zur gerichtlichen Überzeugung auch fest, dass sich Auszüge daraus später wörtlich in einem Abschlussdokument nach dem Treffen der Eurogruppe wiederfanden.

Notfalls erfolgt die Unterrichtung geheim

Das Bundesverfassungsgericht hob nun in seinen Leitsätzen hervor, dass sich die Unterrichtungspflicht auch auf „Initiativen und Positionen“ erstreckt. Grenze sei zwar der „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“. Dieser ende aber, wenn die Regierung Zwischenergebnisse oder Positionen zur Grundlage ihres nach außen gerichteten Handelns mache. Denn dann sei die innere Willensbildung, die der Kernbereich schützen soll, abgeschlossen. In Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden der Informationen gefährdet werden könne, könne die Unterrichtung gegenüber den Parlamentariern auch vertraulich erfolgen. Dafür gebe es eine Geheimschutzordnung im Bundestag.

Die Initiatoren des Verfahrens aus der Grünenfraktion Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik, und Sven-Christian Kindler, Sprecher für Haushaltspolitik, feiern den Beschluss in einer Pressemitteilung als „Sieg für die parlamentarische Demokratie“. Schäubles Verhalten damals sei ein Skandal gewesen. Das Parlament sei hintergangen worden.

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