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Ultra-orthodoxe Juden beim Morgengebet in einer Synagoge in Bnei Bera

© dpa/AP/Oded Balilty

Infektionsgeschehen außer Kontrolle: Israel muss als erstes Land in den zweiten Corona-Lockdown

Zu Beginn der Pandemie war Israel Musterland bei der Virusbekämpfung. Dann forderte der Premier die Menschen auf, wieder „Spaß zu haben“. Das ist jetzt vorbei.

Wohl kein Land hat einen so dramatischen Fall in Sachen Covid-19 erlebt. In Israel, dem einstigen Musterland bei der Virenbekämpfung, ist das Infektionsgeschehen derart außer Kontrolle geraten, dass die Regierung einen zweiten Lockdown angeordnet hat.

5523 Menschen wurden am 15. September positiv auf das Virus getestet, ein trauriger Rekord in dem Neun-Millionen-Einwohnerland. Nachdem kein anderes Mittel zu fruchten scheint, soll am heutigen Freitagmittag der neue Lockdown beginnen. Damit ist der jüdische Staat das erste Land, das zum zweiten Mal eine landesweite Ausgangssperre anordnet.

Zunächst gilt der Lockdown für drei Wochen, kann aber situationsbedingt verlängert werden. Die Regeln sind ähnlich streng wie das erste Mal: Maximal 500 Meter dürfen die Menschen sich von ihrem Wohnsitz entfernen. Geschäfte, die nicht als essenziell gelten, müssen schließen, ebenso wie Cafés, Bars, Parks, Strände und Freizeiteinrichtungen aller Art.

Gotteshäuser dürfen ihre Türen nur unter strengen Auflagen öffnen und nur jene empfangen, die im Umkreis von 500 Metern leben.

Die hohen Feiertage werden viele Familien nicht gemeinsam feiern können

Für jüdische Israelis kommt der neue Lockdown zu einem schmerzhaften Zeitpunkt, schließlich stehen mehrere große Feiertage vor der Tür: Heute Abend beginnt Rosh HaShana, das jüdische Neujahrsfest, zu dem sich für gewöhnlich die gesamte Familie versammelt. In diesem Jahr werden viele getrennt von Eltern, Kindern, Geschwistern oder Enkeln feiern müssen.

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Am Sonntagabend, den 27. September, folgt Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag, an dem selbst viele säkulare Israelis die Synagoge besuchen. Und am 2. Oktober beginnt Sukkot, das Laubhüttenfest, das eine Woche dauert und direkt von Simchat Tora abgelöst wird, dem eintägigen Freudenfest der Tora.

Kritik an dem harten Schritt kommt sowohl aus der Opposition als auch aus den eigenen Reihen. Der ultraorthodoxe Politiker Yaakov Litzman, der in seiner früheren Rolle als Gesundheitsminister zu Beginn der Pandemie selbst viel Kritik hatte einstecken müssen, war am 13. September aus Protest gegen den drohenden Lockdown von seinem Posten als Wohnungsminister zurückgetreten.

Nur unter strengen Auflagen dürfen die Synagogen im Land öffnen – und das vor dem jüdischen Neujahrsfest und dem höchsten Feiertag Jom Kippur.
Nur unter strengen Auflagen dürfen die Synagogen im Land öffnen – und das vor dem jüdischen Neujahrsfest und dem höchsten Feiertag Jom Kippur.

© Menahem Kahana/AFP

Die beiden ultraorthodoxen Parteien, die an der Koalition beteiligt sind, klagen über angebliche Diskriminierung ihrer Klientel. In der Tat hatte die Regierung vielen ultraorthodoxen Städten besonders harte Restriktionen auferlegt – was aber daran liegt, dass sich das Virus dort besonders schnell ausbreitet, ebenso wie in Städten mit arabischer Bevölkerung.

Dass beide Minderheiten besonders betroffen sind, lässt sich sowohl mit gedrängten Wohnverhältnissen erklären als auch mit einer teils laxen Regelbefolgung. In vielen arabischen und ultraorthodoxen Gemeinden wurden auch dann noch ausladende Hochzeiten gefeiert, als Massenansammlungen längst verboten waren.

Torastudenten wurde von Rabbinern empfohlen, sich nicht testen zu lassen

Manche Autoritäten gehen mit schlechtem Vorbild voran. So ließ sich etwa der Bürgermeister der arabischen Stadt Nazareth kürzlich dabei filmen, wie er ohne Maske auf einer verbotenen Hochzeit tanzte. Ein prominenter ultraorthodoxer Rabbiner wiederum wies die Torastudenten seiner Gemeinde an, sich nicht auf Covid-19 testen zu lassen, um eine mögliche Quarantänepflicht zu vermeiden.

Manche Analysten vermuten, dass Netanjahu auch deshalb auf einen landesweiten Lockdown gedrungen hat, um die ultraorthodoxen Parteien gnädig zu stimmen. Denn die zählen zu seinen verlässlichsten Verbündeten, so lange er deren Partikularinteressen bedient. Und Verbündete braucht Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der sich wegen schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen vor Gericht verantworten muss.

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Das vermasselte Pandemiemanagement bringt ihn zusätzlich in Bedrängnis. „Geht einen Kaffee trinken, auch ein Bier, habt Spaß“, hatte Netanjahu den Bürgern Ende Mai geraten. Zu jenem Zeitpunkt war die Zahl der täglichen Neuinfektionen in den zweistelligen Bereich gerutscht.

Auf dem Straßen und in den Parks war zeitweise nichts von der Pandemie zu spüren

Die Regierung lockerte die Restriktionen, die Menschen atmeten auf – und folgten dem Rat des Premiers. Zeitweise war auf den Straßen, in den Parks und an den Stränden Israels kaum noch etwas von der Pandemie zu spüren.

Heute sind die meisten Experten sich einig, dass die Öffnung zu schnell und planlos erfolgte und dass die Regierung nicht schnell genug gegensteuerte, als die Infektionszahlen erneut zu steigen begannen. Dass sowohl Netanjahu als auch Staatspräsident Reuven Rivlin zum Pessachfest im April verbotenerweise Verwandte zum Essen einluden, die nicht in ihrem Haushalt leben, beschädigte die Glaubwürdigkeit der Regierung zusätzlich.

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