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US Präsident Trump (l) und der russische Präsident Putin (r) geben sich die Hand.

© dpa/AP/Alexander Zemlianichenko

INF-Vertrag: Deutschland trägt zur Belastung der Nato bei

Die Signale der Zerrissenheit und sicherheitspolitisch unbegründete Positionen aus Berlin irritieren die Nato-Partner. Ein Gastbeitrag.

Das absehbare Ende des INF-Vertrags belastet nicht nur das Verhältnis zwischen den Nato-Staaten und Russland. Die Suche nach der richtigen Antwort auf die russische Bedrohung droht auch die Nato zu entzweien. Deutschland könnte dabei eine unglückliche Rolle spielen. Aber eine zerstrittene Nato hätte katastrophale Folgen für Europas Sicherheit.

Das höchste Gut der Nato ist die Solidarität unter den 29 Alliierten. Sie versprechen sich im Artikel 5 des Washingtoner Vertrags, im Angriffsfall für einander einzustehen. Diese Einheit erlaubt der Nato mehr zu sein, als der politische Wille und die militärische Macht von 29 Einzelstaaten, und sie macht das Bündnis zu einem ernstzunehmenden politischen und militärischen Faktor. Darauf gründet auch ihre Abschreckungswirkung: Ein Gegenüber muss annehmen, dass er es eben nicht nur mit einem Staat zu tun hat, sollte er versuchen, seine Interessen militärisch zu erzwingen.

Innerer Dissens wird zum äußeren Risiko

Umgekehrt zerfällt die politische und militärische Wirkung der Nato, wenn die Alliierten zerstritten sind, weil sie nationale Interessen über die gemeinsame Solidarität stellen. Der innere Dissens wird dann zum äußeren Risiko: Gegner könnten versucht sein, diese Spaltung zu vertiefen und so die Kraft zu reduzieren, die aus der Gemeinsamkeit erwächst.

Vor diesem Risiko steht die Nato. Zwar teilen alle Alliierten die US-Haltung, dass Russland mit dem Marschflugkörper 9M729 den INF-Vertrag bricht. Aber hinter der Fassade ist die Lage komplizierter. Denn parallel zu den gemeinsamen Nato-Überlegungen, wie auf die russische Bedrohung zu reagieren ist, treten unterschiedliche nationale Positionen an die Öffentlichkeit.

Deutschland trägt zu dieser Belastungsprobe der Nato bei. Erstens mit seiner eigenen Zerrissenheit: zentrale Akteure der Regierungsparteien positionieren sich öffentlich mit gegensätzlichen Positionen. Zweitens haben Teile der Politik ohne eingehende Prüfung der militärischen und strategischen Optionen und ohne Einbeziehung der Nato-Verbündeten mögliche militärische Antworten als indiskutabel eingestuft, etwa die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen, und andere Optionen als alternativlos richtig: neue Rüstungskontrollinitiativen.

Besonders irritierend ist die Debatte über Nuklearwaffen und nukleare Rüstungswettläufe. Bislang hat kein Nato-Staat ernsthafte Pläne in diese Richtung. Die USA schließen es bislang aus. Tatsächlich hat die Nato mehrere Optionen, zum Beispiel defensive Systeme zur Raketenabwehr zu stärken, die konventionelle Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen oder die Nato-Nuklearpolitik anzupassen. Doch die Prüfung dieser Optionen beginnt erst jetzt. Beides, Zerrissenheit und sicherheitspolitisch unbegründete Positionen, irritieren die Nato-Partner.

Verringert Deutschland Spielraum für Konsens?

Erstens, weil sich Deutschland traditionell als Anwalt der kleineren Staaten versteht und es als seine Aufgabe ansieht, Konsens zu schaffen und gemeinsam voranzuschreiten. Auch sind Verhandlung und Interessensausgleich Grundprinzipien des von Berlin betonten Multilateralismus. Deutschland hat sich mit Paris und London bislang eng abgestimmt und etwa die USA im Herbst 2018 überzeugen können, die Aufkündigung des INF-Vertrags noch um 60 Tage zu verschieben. Bei allem Verständnis für die deutschen Bedenken sind die Partner aber irritiert, das Berlin nun allein vorprescht. Es entsteht der Eindruck, dass Deutschland den Sicherheitsbedenken der Partner wenig Beachtung schenkt und den Spielraum für Konsens verringert.

Zweitens macht Berlin ein Fragezeichen hinter sein bisheriges Engagement. Es hat seit der Ukrainekrise 2014 die militärische Neuaufstellung der Nato substantiell mitgestaltet. Dies gipfelte in der Festlegung, in Deutschlands Weißbuch zur Sicherheitspolitik 2016, dass Bündnissolidarität Staatsräson ist.

Drittens nährt Berlin Zweifel an seiner zukünftigen Verlässlichkeit. Ein zauderndes und innerlich zerrissenes Deutschland gefährdet nicht nur eine einheitliche Reaktion der Nato in der INF-Frage. Einige Alliierte sehen die deutsche Reaktion in der INF-Debatte als ein weiteres Beispiel in einer Reihe von Hinweisen auf Deutschlands geringe sicherheitspolitische Glaubwürdigkeit: neben etwa dem schlechten Ausrüstungszustand der Bundeswehr, dem erneut in Frage gestelltem Aufwuchs des Verteidigungshaushalts, einer als russlandfreundlich interpretierten Politik, wie dem Festhalten am Nordstream 2 Projekt, das Russland unter Umgehung Polens und der Ukraine Zugang zum europäischen Energiemarkt gibt.

Europa wird geschwächt

Keine Frage, Berlin ist nicht der einzige schwierige Kandidat. Viele Alliierte sind besorgt, dass die USA unilaterale Entscheidungen treffen und die Nato vor vollendete Tatsachen stellen könnten. Schließlich untergräbt US-Präsident Trump seit seiner Amtsübernahme 2017 immer wieder die Allianz. Andere Staaten wie Polen, signalisieren ihre Bereitschaft, durch bilaterale Abkommen mit den USA ihre Sicherheit außerhalb der Nato zu organisieren, weil sie den Nato-Schutz und die Verlässlichkeit einiger Staaten schon vor der INF-Krise nicht ausreichend fanden.

Die schlechten Alternativen zu einer starken Nato sollten Berlin zu einer Politik ermutigen, die Konsens in der Allianz ermöglicht. Die verteidigungspolitische Aufsplitterung Europas in verschiedene Grüppchen und Sicherheitszonen schwächt Europa militärisch und politisch – und wird sich auch in der EU spiegeln. Und ja, trotz Trump, oder gerade wegen ihm und der Zeit nach ihm, hat Deutschland ein Interesse, die Brücke über den Atlantik zu erhalten. Die Abschreckungs- und Verteidigungsbotschaft der Nato mit geringerer oder ohne US-Beteiligung wäre weniger glaubhaft und gleichzeitig würden die Kosten steigen, weil alle Europäer mehr rüsten würden, um die entstehende Sicherheitslücke zu füllen. Ein zersplittertes und unsicheres Europa könnte sich dann wohl kaum auf die von Berlin angestrebten neuen Abrüstungs- und Rüstungskontrollinitiativen einigen.

Russland könnte versuchen, diese Schwäche zu nutzen und den Zusammenhalt der Allianz zu testen. Wenn sich die Nato und in Folge dessen ggf. auch die EU selbst entzweien, wird Moskau noch weniger Probleme haben, seine politischen Interessen ggf. mit militärischen Drohungen umzusetzen. Vor allem hätte Russland noch weniger Gründe, Sicherheit gemeinsam mit dem Rest Europas zu organisieren und Rüstungskontrolle und Abrüstung ins Auge zu fassen.

Claudia Major ist Senior Associate bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Christian Mölling ist Forschungsdirektor bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Claudia Major, Christian Mölling

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