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Temperaturmessung. Indische Gesundheitshelferinnen bei einem Einsatz gegen die Verbreitung des Coronavirus in einem Slum in Mumbai.

© Francis Mascarenhas/ Reuters

Indiens unbeliebte Helferinnen: Gefährlicher Kampf gegen Corona und Stigmata – für 24 Euro

Misstrauische Nachbarn, die ständige Angst vor einer Infektion, wenig Geld: In Indien spielen die Pflegerinnen in der Pandemie eine entscheidende Rolle.

Die Coronakrise hat den Alltag von Kundan drastisch verändert: „Wir gehen jeden Tag raus, um den Überblick über alle Haushalte zu behalten“, erzählt die 49-Jährige dem „Indian Express“. Ihre Arbeit im VP Singh Camp, einem Slum am südlichen Rand von Indiens Hauptstadt Neu-Delhi, ist alles andere als einfach. Zwischen Schnellstraße, Eisenbahnlinie, Container-Depot, einer Müllhalde und einer stillgelegten Zementfabrik leben etwa 10.000 Menschen dichtgedrängt in einfachen Behausungen. Die Familien sind groß, Platz und sanitäre Einrichtungen sind kaum vorhanden.

Kundan geht von Tür zu Tür. Sie fragt nach, ob Bewohner irgendwelche Coronavirus-Symptome haben, bereitet Unterlagen für Tests vor und schaut nach den Quarantäne-Fällen. Dafür verdient sie 3000 Rupien im Monat. Kundan trägt zwar Maske und Handschuhe, doch deren Qualität ist mangelhaft. Eine ihrer Kolleginnen steckte sich Anfang Juni an. Sie werde nun gemieden, obwohl sie inzwischen wieder gesund sei, erzählt Kundan.

Sie und viele andere Gesundheitspflegerinnen kämpfen jeden Tag mit Stigma und Vorurteilen. Manchmal werde ihr einfach nicht geöffnet, wenn sie an die Tür klopfe, sagt sie. Und wer positiv auf Corona getestet wurde, wolle oft nicht, dass es jemand erfahre. Wer Symptome habe, verstecke sich lieber vor ihr und den Frauen vom staatlichen Gesundheitsdienst. „Sie werden abwehrend, und sie wollen nicht, dass jemand erfährt, dass sie krank sind“, erzählt Kundan.

Manche Männer fragen, warum sie auf eine Frau hören sollen

Indien hat etwa 900.000 Gesundheitspflegerinnen, Accredited Social Health Activists (ASHA), allesamt Frauen zwischen 25 und 50 Jahren. Sie unterstehen dem indischen Gesundheitsministerium und erhalten für ihre Dienste je nach Region zwischen 2000 und 10.000 Rupien (umgerechnet zwischen 24 und 120 Euro) im Monat. Die Bezahlung ist oftmals sehr schleppend. Im Januar traten die 42.000 Pflegerinnen im Bundesstaat Karnataka in einen Streik, nachdem sie 15 Monate lang kein Gehalt ausgezahlt bekommen hatten. Auch jetzt riefen sie wieder zum Streik auf. Sie fordern mehr Geld und bessere Schutzkleidung.

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In normalen Zeiten beinhaltet der Job der ASHA, Eisentabletten zu verteilen, Tuberkulose-Patienten zu besuchen und Impfkalender für Kinder zu kontrollieren. In der Pandemie besuchen die Frauen im Schnitt 25 Haushalte am Tag. Das ist riskant: 20 ASHA-Mitarbeiterinnen sind bereits an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben.

Auch gibt es immer wieder Angriffe auf die Gesundheitspflegerinnen. In Kozhikode habe eine Gruppe verärgerter Männer den Motorroller einer Pflegerin beschädigt, nachdem sie von ihr gebeten worden waren, sich während des Lockdowns nicht zu versammeln. „Manche Männer fragen, warum sie auf eine Frau hören sollen“, beklagte P.P. Prema, eine ASHA-Pflegerin aus dem Bundesstaat Kerala in der Zeitung „The Hindu“.

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Von der Regierung wird die Arbeit der Frauen immer wieder gelobt. „Die ASHA-Arbeiterinnen haben einen ausgezeichneten Job als Corona-Kämpferinnen gemacht“, erklärte der Gesundheitsminister des Bundesstaates Karnataka, B. Sriramulu kürzlich.

Indien liegt bei den Ansteckungen weiter auf dem dritten Platz nach den USA

Bei der Zahl der Ansteckungen liegt das südasiatische Land weltweit auf dem dritten Platz nach den USA und Brasilien. Indien registriert derzeit 970.000 Virus-Infektionen und 25.000 Todesfälle. Mit 7400 Tests pro eine Million Einwohner testet Indien relativ wenig. Im Vergleich dazu: China testet 62.814 Menschen pro eine Million Einwohner.

Die Zahl der Infektionen in Indien könnte also in Wirklichkeit höher sein. Zudem steigt die Ansteckungsrate: Die Reproduktionszahl, eine Schätzung, wie viele Menschen ein Kranker infiziert, liegt im Moment bei 1,19.

Indien hatte im März überraschend eine strikte Ausgangssperre für das gesamte Land erlassen. Im Juni wurden trotz steigender Infektionszahlen die Beschränkungen schrittweise gelockert, um die Wirtschaft wieder zu beleben. Kritiker wenden ein, der harte Lockdown habe der Wirtschaft geschadet, aber zugleich der Verbreitung des Virus wenig entgegengesetzt.

Indien habe die Zeit der Ausgangssperre nicht genutzt, um Kliniken, Krankenhäuser und Testkapazitäten auszubauen. Schlampige Nachverfolgung von Corona-Fällen durch die Behörden, mangelnde Schutzkleidung für Klinikpersonal und die teilweise Weigerung von Krankenhäusern, Corona-Patienten aufzunehmen, haben die Ansteckungsraten in dem Land in die Höhe schnellen lassen.

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