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Auf Mitgefühl können die Vergewaltiger von Neu-Delhi nicht hoffen. Die Menge vor dem Gerichtsgebäude brach in Jubel aus, als die Todesurteile gegen die vier jungen Männer verkündet wurde.

© dpa

Indien: Todesurteile gegen Vergewaltiger

Vier der sechs Männer, die eine 23-jährige Studentin im Dezember so bestialisch vergewaltigt und gefoltert hatten, dass sie zwei Wochen später starb, sollen hängen. Einer der Täter ist erhängt in seiner Zelle gefunden worden, der sechste ist noch ein Jugendlicher und wurde zu drei Jahren Arrest verurteilt.

Als der Richter das Urteil verliest, bricht der 20-jährige Vinay Sharma schluchzend zusammen, die drei anderen Angeklagten Mukesh Singh, Akshay Thakur and Pawan Gupta flehen laut um Gnade. Vor dem Gebäude, wo seit Stunden eine Menge ausharrt, brandet Jubel auf. Neun Monate hat Indien auf diesen Moment gewartet. Am Freitag verurteilte ein Spezialgericht die vier volljährigen Vergewaltiger und Mörder der 23-jährigen Inderin, deren Martyrium die Welt schockte, zum Tode am Galgen.

„Ruhe in Frieden, Löwenherz. Alle vier werden hängen“, titelte der TV-Sender Headlines today. Das Urteil kam nicht überraschend. Zu unfassbar war die Tat. Insgesamt sechs Männer hatten die Studentin und ihren Freund am 16. Dezember in Delhi in einen Bus gelockt. Dort vergewaltigten und folterten sie die 23-jährige so bestialisch, dass Ärzte von einer Gewaltorgie sprachen. Die Frau erlag zwei Wochen später ihren Verletzungen. Mit der Todesstrafe wollten die Richter ein Zeichen setzen, dass Indien solche Verbrechen nicht duldet. Die „bestialische Tat“ und ihre unvergleichliche Brutalität habe das „kollektive Gewissen der Nation“ erschüttert, sagte Richter Yogesh Khanna. Die Gesellschaft dürfe keinerlei Toleranz für solche Verbrechen zeigen und müsse ein Exempel statuieren.

Neben Vergewaltigung sprach das Gericht die vier auch des Mordes schuldig. Die Eltern des Opfers begrüßten das Urteil. „Endlich finden wir Frieden. Die Täter bekommen die Strafe, die sie verdient haben“, sagte die Mutter des Opfers mit Tränen in den Augen und appellierte an andere Frauen, sich zur Polizei zu trauen. „Kein Opfer sollte schweigen.“
Vor zwei Wochen war der jüngste Täter zu drei Jahren Jugendarrest verurteilt worden. Der sechste Täter war im März erhängt in seiner Zelle gefunden worden.

Todesurteil - Anwälte wollen Berufung einlegen

Dass die vier Männer im Alter von 19 bis 28 tatsächlich am Galgen enden, ist aber nicht ausgemacht. Die Anwälte wollen Berufung einlegen, die Prozesse könnten sich über Jahre ziehen. Ohnehin wird die Todesstrafe in Indien weit seltener vollstreckt als in den USA oder China. Obwohl 477 Todeskandidaten einsitzen, hat Indien in 17 Jahren nur drei Menschen hingerichtet. Die Todesstrafe spaltet das Land – 40 Prozent der Inder wollen sie laut Umfragen abschaffen.
Das Verbrechen von Delhi markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Landes. Erstmals schaute Indien nicht weg, sondern stellte sich der Horrortat in all ihren unfassbaren Details – allen voran die Medien., die groß berichteten. Die Nation verfolgte den Todeskampf der jungen Frau mit, sie wurde zum Symbol für die Gewalt, die Indiens Frauen täglich erleiden.

Und dann geschah etwas Neuartiges: Über Wochen kam es in Delhi zu spontanen Massenprotesten. An der Spitze stand die wieder erstarkte Studentenbewegung. In der Kälte des Winter stellten sich junge Männer und Frauen den Wasserwerfern entgegen. Sie forderten nichts geringeres als ein neues Wertesystem, ein neues Indien ein.

Das Urteil setzt vorerst einen Schlusspunkt unter den Fall. Für viele Inder ist damit Gerechtigkeit getan, auch die Politik würde das Thema lieber heute als morgen ad acta legen. Doch der Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen ist noch lange nicht gewonnen. Die Serie von Vergewaltigungen geht weiter, die meisten Täter gehen straffrei aus, weil Polizei und Justiz Gewalt gegen Frauen dulden.
Dennoch hat sich Indien für immer verändert. Allerorten gibt es Zeichen eines Bewusstseinswandels, eines wachsenden Widerstandes. Immer wieder flammen nun nach Vergewaltigungen Proteste auf, selbst in entlegenen Regionen. Mehr und mehr Frauen machen ihr Leid öffentlich. Allein in Delhi verdoppelte sich dieses Jahr die Zahl der gemeldeten Vergewaltigungen auf mehr als 1000.

Selbst Bollywood nimmt sich nun des Tabuthemas an. Der Film „Kill the rapist?“ (Den Vergewaltiger töten?) soll Frauen ermutigen, zur Polizei zu gehen. Prominente Schauspieler und Sportler gründeten Mard, eine Männerinitiative gegen Gewalt. Und in einer revolutionären Kampagne werden Indiens verehrte Göttinnen mit Wunden und blauen Augen gezeigt, um gegen Gewalt zu mobilisieren. Die Politik verschärfte Gesetze und richtete Schnellgerichte ein, auch wenn diese erst noch zeigen müssen, dass sie ihren Namen verdienen.

Motor des Wandels ist die junge Mittelschicht in den Städten. Auf dem Lande, wo noch immer 70 Prozent der Inder leben, bewegt sich dagegen nur wenig. In vielen Regionen herrschen grausame, zutiefst partriarchalische Strukturen, die durchaus an die Taliban erinnern. Frauenrechtlerinnen machen sich daher keine Illusionen. Es werde mindestens eine Generation dauern, bis sich tief verwurzelte Denkmuster ändern, meint die prominente Aktivistin Ranjana Kumari.

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