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In Tübingen wird der Imbiss teurer: Boris Palmer führt Plastiksteuer ein – Grüne reagieren zurückhaltend

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer liegt mit seiner Partei im Streit. Deshalb kann er selbst mit einem grünen Kernthema keine Begeisterung auslösen.

Es ist eine kleine Stadt, mit knapp 90.000 Einwohnerinnen und Einwohnern – und trotzdem sorgt sie dank ihres Oberbürgermeisters oft für bundesweite Schlagzeilen. Die Rede ist vom baden-württembergischen Tübingen und seinem Grünen-OB Boris Palmer. Ein Noch-Grüner, könnte man auch sagen. Denn geht es nach seiner Partei, sind die Tage von Palmers Mitgliedschaft gezählt. Die Grünen wollen den prominenten Lokalpolitiker loswerden, weil er im „Gegensatz zu deren Grundüberzeugungen“ stehe. So heißt es im Gutachten für das laufende Parteiausschlussverfahren.

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Die Füße still halten will Palmer deswegen aber nicht, im Gegenteil: umso mehr versucht er, sich als Vorzeige-Grüner zu präsentieren. Sein neuester Vorstoß: eine Steuer auf Einweggeschirr und Plastikverpackungen. Die soll in Tübingen ab 1. Januar 2022 gelten – ein Novum in Deutschland. „Wir wollen Müll reduzieren. Wir wollen das Klima schützen“, sagte Palmer am Montag.

Im September hatte der 49-Jährige bereits höhere Parkgebühren für SUV-Fahrer angekündigt. Jetzt soll es eine Abgabe auf sämtliche Verpackungen im „To go“-Verkauf geben. Wer bei einem Imbiss etwas zum Mitnehmen bestellt, muss etwa für Kaffeebecher oder Pizzakartons 50 Cent bezahlen, Plastikbesteck kostet 20 Cent extra. Das Ziel ist, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auf Mehrweg umsteigen, also etwa die Verpackung selbst mitbringen.

Erste Klage gegen das Tübinger Modell

Ob der Plan aufgeht, ist allerdings ungewiss. Die Betreiberin einer Tübinger McDonald’s-Filiale hat vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim bereits Klage dagegen eingereicht. Unterstützt sieht sie sich von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Mai 1998 eine von der Stadt Kassel eingeführte Verpackungssteuer gekippt hat.

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Palmer will die Plastikabgabe trotzdem einführen. „Sie wird nicht aufgeschoben durch die Klage.“ Seine Stadt leiste dadurch auch „Rechtsarbeit“ für andere Kommunen, von denen viele „grundsätzlich sehr interessiert“ seien an dem Modell. Der Prozess soll zum Ende des ersten Quartals 2022 beginnen.

Die Grünen reagieren zurückhaltend auf den Vorstoß aus Tübingen. Im grün geführten Bundesumweltministerium will man zunächst keine Bewertung abgeben. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden sagte dem Tagesspiegel, Müllvermeidung und Klimaschutz müssten der „Ansatz einer vorausschauenden Umweltpolitik“ sein. „Wenn sie rechtssicher ausgestaltet ist, kann eine Abgabe auf Einwegverpackungen dabei ein wirksamer Baustein sein.“

Dass sich die Grünen nicht deutlicher hinter Palmer stellen, hat allerdings weniger mit ungeklärten Rechtsfragen zur Plastiksteuer zu tun. Zu häufig hat der Lokalpolitiker seine Parteifreunde in der Vergangenheit mit öffentlichen Äußerungen verärgert – vom rassistischen N-Wort bis hin zur Aussage, man müsse die EU-Grenzen „notfalls bewaffnet“ schließen. Die Liste der Vorwürfe, die die Südwest-Grünen im Ausschlussverfahren gegen Palmer vorbringen, ist lang.

Palmer setzt auf aktive PR

Für ihn geht es um die politische Zukunft. Seit 15 Jahren ist er OB, im kommenden Jahr wird in Tübingen gewählt. Nicht zuletzt deshalb setzt Palmer auf eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Rund 700 Pressemeldungen lässt er im Jahr verschicken. Die Plastiksteuer ist sein jüngster PR-Erfolg, unabhängig davon, ob die Idee juristisch und praktisch Bestand hat.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) begrüßt den Vorstoß. Mehrere deutsche Städte könnten dem Tübinger Modell bald folgen, heißt es. „Eine Verbrauchssteuer ist ein sehr wirkungsvolles Mittel, um die immensen Mengen an Einweg-Verpackungen schnell zu verringern“, sagt die stellvertretende DUH-Geschäftsführerin Barbara Metz. „Wir setzen uns dafür ein, dass das Tübinger Modell bundesweit Schule macht.“

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