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Der ermordete Präsident Jovenel Moise.

© Reuters

In seiner Residenz ermordet: Haitis Präsident Moise ist tot

Präsident Moise war mutmaßlich in die Veruntreuung von Hilfsgeldern verwickelt, die das Land nach einem Erdbeben erhalten hatte.

Haitis Präsident Jovenel Moise wurde am Mittwoch früh von einem bewaffneten Kommando ermordet. Wie der ehemalige Premierminister Claude Joseph mitteilte, drang „eine Gruppe von Individuen“ gegen ein Uhr früh in die präsidiale Residenz in den Bergen der Hauptstadt Port-au-Prince ein und eröffnete das Feuer. Der Staatschef sei dabei getötet worden, seine Frau Martine wurde verletzt.  Auch sie erlag kurze Zeit später Medienberichten zufolge ihren Verletzungen.

Nach Angaben des Premierministers sprachen die Angreifer spanisch; Audioaufnahmen kursierten, auf denen englische Befehle zu hören waren und eine etwas wirre Erklärung, die Attentäter handelten im Namen der US-Anti-Drogenbehörde (DEA).  Nachbarn berichteten von Detonationen und einem Gefecht mit Schnellfeuerwaffen, das über eine Stunde dauerte. Ein paar hundert Meter von Moises Residenz entfernt liegt eine Polizeistation, die offenbar untätig blieb. Haiti hat eine lange Geschichte von blutigen Diktaturen, Staatsstreichen und Umstürzen.

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Moise war unpopulär und hatte das letzte Jahr per Dekret regiert, da das Mandat des Parlaments abgelaufen war, ohne dass er Neuwahlen anberaumt hatte. Haiti ist jetzt ohne Führung. Premierminister Joseph hatte bereits am Dienstag seine Amtsvollmachten und den Dienstwagen einem Nachfolger übergeben, der bislang jedoch nur designiert ist. Einzig zehn Senatoren sind noch offiziell im Amt, darunter Senatspräsident Joseph Lambert, der laut Verfassung Nachfolger werden könnte.  Eine andere Option ist die Einsetzung einer von der Opposition seit langem geforderten verfassungsgebenden Versammlung, um dem zuletzt unregierbaren Land eine neue politische Basis zu geben. Joseph, so verlautete es aus gut unterrichteten Kreisen, plante aber, den Notstand auszurufen, was den Verdacht eines geplanten Staatsstreichs nahelegt.

Furcht vor plündernden Kriminellen

In der Hauptstadt herrschte am Mittwoch Ratlosigkeit, berichteten Anwohner dem Tagesspiegel. „Niemand weiß genau, was eigentlich passiert ist“, sagte eine Haitianerin. „In einigen Stadtteilen wird geschossen, andere sind komplett ruhig, einige Strassen sind durch Barrikaden abgesperrt.“ In die Ungewissheit mischte sich Furcht, Kriminelle könnten das Chaos für Plünderungen nutzen. Joseph rief zur Ruhe auf und erklärte, die Polizei habe die Lage im Griff – aber die Truppe war schon vor dem Mord nicht in der Lage, für Ordnung zu sorgen. 2017 hatten sich die UN-Blauhelme, die seit 2004 im Land gewesen waren, aus Haiti zurückgezogen.

In den vergangenen Monaten hatten kriminelle Banden, von denen einigen eine Nähe zu Moise nachgesagt wird, die Hauptstadt terrorisiert. Hunderte Menschen und prominente Oppositionelle wurden ermordet oder entführt; tausende wurden in die Flucht getrieben. Die Opposition, bestehend aus Politikern, Unternehmern und einer bunten Koalition der Zivilgesellschaft, fordert schon über zwei Jahre Moises Rücktritt. Auslöser für die Proteste im Jahr 2019 war ein Bericht des Rechnungshofes, der die Veruntreuung von Millionen US-Dollar dokumentiert hatte. Es handelte sich vor allem um venezolanische Hilfsgelder, die nach dem schweren Beben von 2010 in den Taschen von Politikern und Unternehmern im Umfeld von Moise und seinem Vorgänger und politischen Paten, Michel Martelly, verschwunden waren. Anfang der Woche hatte Moise per Dekret alle Verdächtigen entlastet und ihre Amtsführung für einwandfrei erklärt.

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