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Für Schwangere ist die Grippe-Impfung besonders wichtig.

© dpa-tmn/Franziska Gabbert

Impf-Kontroverse: Es gibt keine sinnvollen Argumente gegen das Impfen

Impfungen sind dann gefährlich, wenn man auf sie verzichtet. Und eins steht fest: In Zukunft werden wir noch mehr impfen müssen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Richard Friebe

Impfen oder nicht impfen? Die Diskussion um den Dokumentarfilm „Eingeimpft“, den noch kaum jemand gesehen hat, spült die Frage gerade wieder in die Öffentlichkeit. Latent vorhanden ist sie seit vielen, wenn auch nicht sehr vielen Jahren. Hätte man unsere Vorfahren gefragt, ob sie ihre Kinder und sich selbst gerne gegen Pocken, tödlichen Wundstarrkrampf, Keuchhusten, Kinderlähmung oder Hirnhautentzündung auslösende Bakterien und eine ganze Reihe anderer Keime schützen würden, die Antwort wäre ihnen nicht schwer gefallen. Sie alle hatten Kinder und Erwachsene an solchen Krankheiten sterben oder schwere Folgeerscheinungen erleiden sehen.

Heute sind wir alle geimpft. Kaum jemand kann sich noch an einen von Kinderlähmung gezeichneten Klassenkameraden erinnern oder an die Beerdigung einer an Masern gestorbenen kleinen Cousine. Und wenn jemand doch krank wird, verhindert die moderne Medizin mit Antibiotika, Cortison, Immunglobulinen und allerhand anderen Mitteln und Methoden zumindest oft das Schlimmste. Die Schrecken der Infektionskrankheiten und Epidemien sind für uns weiter weg als die Schrecken von Krieg und Naziherrschaft (und selbst letztere scheinen manche derzeit schon komplett vergessen zu haben).

Impfgegner ist man am besten inmitten von lauter Geimpften

Impfen oder nicht impfen? Schon die Frage zeigt diese Un-Konkretheit, Un-Unmittelbarkeit des Problems. Anders formuliert bieten sich zumindest andere Antwortoptionen als ja und nein: Wozu impfen? Die Antwort, die sogenannte Impfkritiker gern geben, lautet: damit Ärzte und Pharma viel Geld verdienen können. Sie kann nur von jemandem kommen, der an die verhinderten Erkrankungen überhaupt nicht mehr denkt. Absurd ist sie auch, denn beide Branchen würden an jeder Menge Erkrankter viel mehr verdienen.

Geimpft wird, um schwere Krankheiten zu verhindern. Man kann natürlich Glück haben, und ohne Impfung gesund bleiben. Wenn rund herum die meisten geimpft sind, ist eine Übertragung wenig wahrscheinlich. Herden-Immunität heißt das. Genau daran erfreuen sich die meisten konsequenten Impfgegner und ihre Familien. Impfgegner kann man nur inmitten Geimpfter sein. Man profitiert von dem, was andere geleistet haben und leisten, und trägt selber ganz bewusst nichts bei. Eine viel bessere Definition des Wortes „asozial“ gibt es nicht. Es sei denn, es gäbe starke Argumente gegen das Impfen. Wenn Argumente auf echten und nicht alternativen Fakten beruhen müssen, dann gibt es kaum eines.

Im neuen Dokumentarfilm kommt ein Forscher zu Wort, der in Westafrika negative Effekte beobachtete, wenn Impfstoffe mit abgetöteten Erregern eingesetzt wurden. Ob es sie wirklich gab und wenn ja, ob die Impfstoffe schuld waren oder vielleicht ganz andere Faktoren, ist unklar. Hier besteht tatsächlich noch Forschungsbedarf. Forschungsbedarf besteht ohnehin immer, denn auch Impfstoffe können immer noch besser und sicherer gemacht waren. Aluminium enthaltende Zusatzstoffe in Impfseren beispielsweise sind sicher nicht die Ideallösung. Aluminium braucht kein Mensch im Körper. Aber dass es in den verwendeten Dosen schädlich sei, ist nicht nur nicht nachgewiesen, sondern die meisten Menschen nehmen im täglichen Leben viel, viel mehr Alu auf. Von früheren Befürchtungen – etwa, dass Allergien begünstigt werden – hat sich bislang trotz forschender Suche keine bestätigt. Ein Zusammenhang mit Autismus ist klar widerlegt. Ernsthafte Komplikationen, wie sie mit früheren Impfseren tatsächlich, wenn auch selten, vorkamen, gibt es heute nur noch im Promillebereich. Gefahr geht vor allem von einer Art von Impfungen aus: denen, die nicht gegeben werden.

Steigen die Masernzahlen, steigt auch die Zahl der Impfungen

Impfgegner, -zweifler und -bummler allerdings haben sich gegen all diese Fakten und all diese Logik als - das Wortspiel sei erlaubt - immun erwiesen. Sie sind es allerdings nicht gegen die harte Realität. Als 2017 die Zahl der Masernfälle plötzlich stieg, stieg ebenso plötzlich auch die Impfbereitschaft wieder.

Menschen leben heute enger aufeinander als je zuvor. Sie reisen um den Globus, Waren auch. Optimale Keim-Verbreitungsbedingungen sind das. Es ist kaum auszudenken, wie die Welt aussähe ohne Impfungen – auch unter einem in diesem Kontext nie angesprochenen Aspekt: Wie groß wäre heute ein ganz anderes, ganz reales Problem – das der Antibiotikaresistenzen –, gäbe es die Standardimpfungen gegen bakterielle Erreger von Hämophilus bis Diphtherie nicht? Die meisten Erkrankten würden mit Antibiotika behandelt werden. Es wären viele. Es hätten sich längst Resistenzen gebildet. Vielleicht gäbe es gegen manche Erreger kein Mittel mehr. Auch deshalb sollte gerade gegen derzeit besonders von der Resistenz-Problematik betroffene Erreger wie etwa Pneumokokken viel mehr geimpft werden. Vor allem Personen über 60 Jahren, für die es eine offizielle Impf-Empfehlung gibt, lassen sich zu selten die Spritze geben. Für andere zunehmend resistent werdende Erreger wie Staphylokokken und Tuberkulose-Bakterien wird intensiv nach Impfstoffen gesucht. Andere werden, weil das Resistenz-Problem zunimmt und immer mehr krankmachende Keime betrifft, wahrscheinlich folgen müssen.

Impfen oder nicht impfen? Wir werden in Zukunft nicht weniger impfen als heute, sondern mehr. Wir werden es müssen.

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