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Neues Zentrum für den Export chinesischer Güter nach Europa. Eisennhanknotenpunkt in Urumqui, Xinjiang, der angeblich Autonomen Region der Uiguren.

© REUTERS

Image und Menschenrechte: Die kleinen und die großen Bodenwischer

Chinas KP versucht, das Bild des Landes mit Hilfe westlicher Influencer zu beschönigen. Ein Gastbeitrag.

Mareike Ohlberg ist Senior Fellow im Asia Program des des German Marshall Fund. 2020 veröffentlichte sie in der Deutschen Verlags-Anstalt zusammen mit Clive Hamilton das Buch Die lautlose Eroberung - Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet“.

Ein britischer Vlogger steht in einer Touristen-Markthalle etwa 40 Kilometer entfernt von Urumqi, der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang im Nordwesten Chinas. Der Markt wurde eingerichtet, um hier in dieser ländlichen Region den Tourismus anzukurbeln, erklärt er. Direkt hinter ihm tanzen Frauen in blau-weißen Trachten-Kostümen, ein bisschen zu nahe an der Kamera, um natürlich zu wirken. Die Botschaft: Hier ist alles in bester Ordnung, die Menschen sind glücklich.

Fast Tausend Kilometer entfernt, in Aksu in der Nähe der Grenze zu Kirgisistan entfernt, besucht ein israelischer Vlogger eine Baumwollfarm. Auch er will zeigen: Alles in Ordnung, keine Zwangsarbeit, stattdessen modernste Technologie und Fortschritt, Dank der Entwicklungspolitik der chinesischen Regierung.

Derartige Videos gibt es auf Youtube inzwischen zuhauf. Ausländische Vlogger, meist junge Leute, die in China leben, reisen nach Xinjiang, um zu zeigen, „wie es wirklich ist“. Einige von ihnen sind freie Mitarbeiter bei Chinas parteistaatlichen Medien, andere bestehen darauf, dass sie unabhängig sind. Sie alle bewegen sich mit einer Leichtigkeit durch die engmaschig überwachte Region, die jeden ausländischen Korrespondenten neidisch machen dürfte. Ihre teils mit Handykameras gefilmten teils professionell aufbereiteten Videos sollen widerlegen, dass China in der Region schwere Menschenrechtsverbrechen gegen die Uiguren und anderen ethnischen Minderheiten begeht.

Tatsächlich sind aber die Vorwürfe gegen die chinesische Regierung, unter anderem die Internierung von großen Teilen der Bevölkerung in Umerziehungslagerns, so gut belegt, wie es unter den gegebenen Umständen möglich ist. Kanada, Großbritannien, die Niederlande und die Vereinigten Staaten bezeichnen das, was in der Region passiert, sogar als Völkermord.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Andere sprechen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Straftatbestand im Völkerrecht, der unter anderem das Verschwindenlassen von Personen außerhalb des rechtlichen Rahmens, Folter, Vergewaltigung, und andere Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung bezeichnet. Weil viele ehemals in Umerziehungslagern internierte danach als „überschüssige Arbeitskräfte“ in Arbeitsprogramme geschleust werden, besteht die begründete Sorge, in der Region würde systematisch Zwangsarbeit betrieben. All diese Vorwürfe sollen die ausländischen Vlogger mit ihren bunten Videos entkräften.

Ausländer zu engagieren, um die Botschaften der Kommunistischen Partei China (KPCh) besser zu verpacken und für ein ausländisches Publikum glaubwürdiger zu machen, hat in China Tradition. Edgar Snow, der wohl berühmteste seiner Art, begleitete Mao Zedong in den 1930er Jahren und schrieb später ein Buch darüber: „Roter Stern über China“. Das Buch prägte das westliche Bild über die KPCh und genau diese Art von Einfluss möchte man gerne wiederhaben.

Die „China Daily“, Chinas größte englischsprachige Tageszeitung, gründete deswegen in diesem Jahr eine „Edgar-Snow-Redaktion“, die Ausländern, die sich für die Belange der Partei einsetzen wollen, eine Plattform gibt. Der chinesische Fernsehsender CGTN startete erst vor Kurzem ein Programm namens Media Challengers. Dort können sich Influencer und solche, die es werden wollen, bewerben, um dann mithilfe des parteistaatlichen Senders groß rauszukommen. Youtube, Twitter und Facebook sind zwar in China selbst nicht zugänglich, werden vom Parteistaat aber regelmäßig für die Verbreitung ihrer eigenen Botschaften verwendet.

Im Chinesischen gibt es einen populären Ausdruck für das, was die westlichen Handlanger der KPCh tun: für die Partei den Boden wischen. Der Ausdruck stammt aus der Anfangsszene des Films „Kung Fu Hustle“ aus dem Jahr 2004, in dem eine berüchtigte Gang auf der Straße einen Rivalen tötet und danach der Polizei zuruft, sie könne jetzt doch rauskommen und das Blut aufwischen.

Auch in höheren Etagen dient man sich an

Der Ausdruck hat sich im chinesischen Internet etabliert: Wer die Drecksarbeit macht, indem er Schlechtes schönredet oder rechtfertigt, der wischt für jemand anderen den Boden. Tatsächlich sind es nicht nur relativ unbedeutende Vlogger, die für die Partei in Xinjiang den Boden schrubben. Vor Kurzem besuchte auch der ehemalige italienische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michele Geraci, Xinjiang. Von dort aus versicherte er den italienischen Medien, in Xinjiang geschehe nichts anders als im Rest von China. Jeder, der je versucht hat, die Region ohne staatliche Begleiter zu bereisen, weiß, dass das nicht stimmt.

Auch deutsche Unternehmen wischen leider immer noch viel zu häufig für die Partei den Boden. Herbert Diess, der CEO von Volkswagen, des Automobilkonzerns, der in Urumqi ein Werk betreibt, verkündete noch 2019 in einem Interview, er wisse nichts von den Umerziehungslagern in der Region – eine Lüge, wie ein Volkswagen-Sprecher später einräumte.

„Wir stehen zu unserem Engagement in China, auch in Xinjiang“, erneuerte Diess 2021 seine Aussage. Zwangsarbeit sei kein Problem, so der China-Chef von Volkswagen, Stephan Wöllenstein, weil das Werk die Mitarbeiter direkt beschäftige. Auch BASF hat ein Werk in Xinjiang, ganz in der Nähe von einem Umerziehungslager. Verstöße gegen Menschenrechte sehe der Konzern bei sich aber keine, wie ein Manager vor Ort vor Kurzem gegenüber dem ARD-Korrespondenten Steffen Wurzel beteuerte.

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Tatsächlich ist es quasi unmöglich, in der Region vertreten zu sein, ohne in irgendeiner Weise in die unzähligen Menschenrechtsverstöße verwickelt zu werden. Wer sein Werk selber verwaltet, mag dort eine gewisse Kontrolle haben, auf die Zulieferer und das breitere Umfeld trifft das jedoch nicht zu. Auch das Auditieren von Betrieben hilft da nichts. Mindestens fünf Auditing-Firmen, unter ihnen auch Tüv SÜD, weigern sich laut Berichten des „Wall Street Journal“ inzwischen, Betriebsprüfungen in der Region durchzuführen. Menschenrechtsgruppen und Experten bestätigen, dass die Arbeit von unabhängigen Inspektoren durch die chinesischen Behörden massiv behindert werde.

Man kann sich einreden, dass man durch seine Präsenz in der Region die Lage vor Ort verbessert. Tatsächlich beschönigt man damit eine Politik, die niemand beschönigen sollte, egal ob man ein 20-jähriger Vlogger oder ein 60-jähriger Geschäftsführer eines Großkonzerns ist. Die Bodenwischerei muss aufhören.

Mareike Ohlberg

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