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Kommunalwahl könnten für höhere Wahlbeteiligung bei der Europawahl sorgen.

© Sebastian Gollnow/dpa

Im Schatten Europas: In zehn Bundesländern finden nächste Woche auch Kommunalwahlen statt

Überregional finden sie wenig Beachtung. Zu Unrecht. Warum sie gerade diesmal so wichtig für Union und SPD sind?

Von Robert Birnbaum

Annegret Kramp-Karrenbauer war kurz krank in den letzten Tagen, darum musste die Konrad-Adenauer-Stiftung auf eine Grundsatzrede der CDU-Vorsitzenden zur Sicherheitspolitik am Donnerstag früh verzichten. Doch Görlitz am Abend muss sein. Etwa 300 Zuhörer warten in der Kulturbrauerei auf den Gast aus Berlin. Offiziell läuft Kramp-Karrenbauers Auftritt unter „Europa-Wahlkampf“. Die idyllische Grenzstadt an der Neiße mit ihren knapp 60 000 Einwohnern ist für die Parteivorsitzende allerdings aus ganz anderem Grund wichtig.

Am 26. Mai werden nicht nur die Abgeordneten für das Europaparlament gewählt, sondern in zehn Bundesländern auch die Kommunalvertretungen. In der Bundesszene werden diese Abstimmungen meistens nur am Rande registriert. Görlitz könnte sie am Wahlabend schlagartig ins Rampenlicht schieben: Bei der Oberbürgermeisterwahl hat der AfD-Bewerber durchaus Chancen auf einen Sieg.

Gewählt werden Kreistagsabgeordnete, Stadt- oder Gemeinderäte, Ortsbeiräte und andere Kommunalvertreter zwischen Hamburg und Konstanz. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind diesmal die beiden großen Kommunalwahlländer im Westen, dazu das Saarland, Hamburg und Bremen, wo außerdem das Landesparlament zur Wahl ansteht. Im Osten wählen in allen fünf Flächenländern die Bürger ihre Gemeindevertretungen, also in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

Für die Bürger vor Ort, aber auch für die ansässigen Bundestagsabgeordneten sind diese Urnengänge in der Regel weitaus interessanter als die Abstimmung darüber, wer in Brüssel demnächst das Gesicht der EU-Kommission ist. Schließlich geht es um die Leute, deren Wirken vom Bebauungsplan über den Radweg bis zum Sportplatz direkt ihr Leben beeinflusst. In einer Stadt wie Görlitz muss man die Europawahl-Plakate der Parteien darum schon bewusst suchen. An den Laternenmasten dominieren die Werbebotschaften der OB- und der Ratsbewerber.

Die AfD will die Kommunen im Osten erobern

Für die Parteizentralen sind die Gemeindewahlen nicht weniger wichtig. Schließlich entscheidet sich vor Ort die Frage, wie tief verwurzelt und wie breit aufgestellt sie sind. Kramp-Karrenbauer weist in ihren Reden gerne darauf hin, dass die CDU in manchen Kommunen mehr Bewerber aufzubieten hat als alle anderen zusammen. Dass die Union auf allen politischen Ebenen präsent bleibe, bezeuge den Anspruch, Volkspartei zu sein – Mitgliederschwund hin oder her.

Trotzdem werden die Kommunalwahlen in der bundespolitischen Perspektive in der Regel unter „ferner liefen“ verbucht. Einzelne Ergebnisse in größeren Städten registriert man schon mal in Hauptstadt-Berlin, besonders wenn ein OB-Sessel oder eine Rathausmacht die Parteifarbe wechselt. Für die Ergebnisse in der Fläche interessieren sich höchstens die Abgeordneten aus der Region.

Die Ignoranz hat nachvollziehbare Gründe. Bei Stadträten und Gemeindevertretern zählt das Parteibuch oft weniger als die Persönlichkeit des Kandidaten. Hat einer einen Ruf als engagierter Macher, schauen Wähler schon mal darüber hinweg, ob er in der eigenen Lieblingspartei ist. Wählergruppen und unabhängige Kandidaten – ob auf eigene Rechnung oder unterstützt von Parteien oder Parteienbündnissen – sind Normalität.

Erhöhte Wahlbeteiligung bei der Europawahl

Die Karte der Wahlergebnisse erinnert deshalb meist an einen Flickenteppich, aus dessen Muster sich so recht keine Lehren für die „große“ Politik ableiten lassen. Dass es vorher in der Regel keine Umfragen gibt, trägt zur geringen Aufmerksamkeit bei. Doch die ist, selbst aus bundespolitischer Perspektive, gerade diesmal falsch. Denn die Kommunalwahlen haben ein paar Nebenwirkungen, die sich zwei, drei, vier politische Ebenen höher teils erfreulich, teils recht unangenehm bemerkbar machen können. Eine davon heißt Wahlbeteiligung. Der Zusammenhang ist von Wahlforschern gut belegt: Wo parallel andere, meist Kommunalwahlen stattfinden, steigt die Wahlbeteiligung zur Europawahl deutlich an. Das eine Kreuz mehr kostet ja auch keinen Aufwand. Die Bertelsmann-Stiftung hat für die letzte Europawahl 2014 errechnet, dass in den Bundesländern, in denen nur Europawahlen stattfanden, das übliche geringe Interesse herrschte – 43,8 Prozent Beteiligung. In den Ländern mit paralleler Kommunalwahl nahm dagegen fast die Hälfte der Wähler teil – 49,6 Prozent.

Das hat Folgen. Vor fünf Jahren wählte Nordrhein-Westfalen seine Kommunalvertreter am Europawahltag – gut für die SPD, die im größten Bundesland besonders starke Wählerbataillone hat. Diesmal ist Baden-Württemberg das bevölkerungsstärkste Parallelwahlland – gut für Grüne und CDU, schlecht für die SPD, die im Südwesten wenig holen kann.

Stimmungstest für die Landtagswahlen im Osten

Ungemütlich werden dürfte für beide Volksparteien der Blick nach Osten. Denn in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wirken die Kommunalwahlen als Stimmungstest für die Landtagswahlen im Herbst. Vor fünf Jahren spielte die AfD noch kaum eine Rolle – die Flüchtlingskrise sollte erst zwei Jahre später kommen, die Personaldecke der Rechtspopulisten war noch dünn. In Thüringen etwa traten sie damals nur in Erfurt und im Weimarer Land an und kamen landesweit gerade mal auf 0,4 Prozent.

Diesmal ist das anders. Und Görlitz ist der Ort, an dem es spektakulär sichtbar werden könnte. Hier hat der AfD-Bewerber vor zwei Jahren dem heutigen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer das Bundestagsmandat abgejagt. Der Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel versucht den Erfolg zu kopieren.

Wippel, ein Oberkommissar, präsentiert sich im Schaufenster des AfD-Bürgerbüros als Familienfreund, der die Wirtschaft fördern und Hochschulen der Region zur „Europa-Uni“ ausbauen will und „Null Toleranz für Vandalismus“ hat. Graffiti-Schmierereien sind ein Thema in der Stadt, die mit ihren renovierten Jahrhundertwende-Vierteln nicht nur wie eine Filmkulisse wirkt, sondern dafür auch gerne genutzt wird. „Wählt Thälmann!“ steht fett an einer Parkmauer, ein Überbleibsel einschlägiger Dreharbeiten.

Wippels eigentliches Thema ist aber ein anderes: Polen, direkt jenseits der Neiße, Tschechien um die Ecke und die grenzüberschreitende Kriminalität. Die ist höher als im Binnenland, allerdings gefühlt höher als real – der CDU-Kandidat Octavian Ursu hat nicht zufällig „kommunikative Sicherheit“ ins Wahlprogramm geschrieben: Falschmeldungen aufdecken und die Urheber bestrafen.

AKK hat als Beigeordnete in ihrer Heimatgemeinde angefangen

Ursu ist vor 30 Jahren aus Rumänien nach Görlitz gekommen und heute CDU- Kreischef und Landtagsabgeordneter; ein kleiner, bescheiden auftretender Mann. Am Abend in der Kulturbrauerei hält er eine kurze, präzise Wahlrede: Es gehe in der Region darum, Innovationsfähigkeit zum „Geschäftsmodell“ zu machen, damit die jungen Leute hier bleiben könnten, und um gute Nachbarschaft zu Polen und Tschechien statt um „Grenzschließungen, wie die AfD fabuliert“.

Kramp-Karrenbauer macht ihm Mut. Solch ruhige und teamfähige Politiker wie ihn brauche man, nicht die „Basta-Typen“. Dann bittet sie die Wähler noch um Respekt, damit möglichst viele ihre Stimme auch abgeben. Ein kommunales Mandat sei „mit das Härteste“, was die Politik zu bieten habe. Weil die Sitzungen immer beim Bier endeten. Und weil der Oberbürgermeister sofort nach der Ratsentscheidung dem ersten empörten Bürger über den Weg laufe und nicht wie ein Berliner Politiker erst eine Woche später.

Die Saarländerin kann das vergleichen. Sie hat ihre Karriere als Beigeordnete in ihrer Heimatgemeinde begonnen. Aber in Wahrheit ist es immer dort am Härtesten, wo man gerade ist. Für Kramp- Karrenbauer wird der 26. Mai die erste Prüfung als Parteivorsitzende. Das Ergebnis des Kandidaten Ursu kann die Note drastisch verschlechtern. Überholt der AfD- den CDU-Mann, wird Görlitz zum Fanal.

Aber auch die SPD schaut besorgt auf die Kommunalwahlen. Ihr Europa-Ergebnis wird absehbar nicht gut, in Bremen wackelt die ewige Mehrheit – eine maue Kommunalbilanz würde zur Missstimmung beitragen. Nicht nur schlechte Einzelergebnisse, auch die Gesamtschau kann die SPD-Spitze ins Wanken bringen.

Da tröstet die CDU wenigstens mit der Umfrage, die die „Sächsische Zeitung“ in Auftrag gegeben und am Tag von Kramp-Karrenbauers Auftritt verbreitet hat: 40 Prozent für Ursu, 28 Prozent für Wippel, 26 für die Grüne Franziska Schubert. Käme es so – das Aufatmen in der Sachsen-CDU wäre bis Berlin zu hören. Umgekehrt aber auch.

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