zum Hauptinhalt
Wenn schon Stau, dann im großen Auto! Straßenszene aus Stuttgart.

© picture alliance/dpa

Im Land der dicken Autos: Warum den Deutschen der Verzicht auf ihr Prestigeobjekt so schwer fällt

Wie soll Autoverzicht gehen in einem Land, in dem es stolze „Autostädte“ gibt, Pkw Kosenamen haben und um Wunschkennzeichen gerungen wird? Eine Kolumne.

Stuttgart ist Autostadt und auch noch stolz darauf. Ehrlich gesagt kann ich mir schmeichelhaftere Attribute vorstellen: Stadt der Liebe zum Beispiel – wie Paris. Oder ewige Stadt – wie Rom. Im Hinblick auf den Kampf gegen den Klimawandel ist „Autostadt“ jedoch geradezu eine Provokation.

Nicht genug: Stuttgart ist auch noch Stau-Hauptstadt. Man muss nur einen halben Tag durch die Stadt spazieren, um festzustellen, dass es mit der Klimaneutralität hier noch dauern wird. Bei dem Versuch, die Straßenseite zu wechseln, habe ich mich wie Ulrich Wickert gefühlt, als er 1973 die Place de la Concorde zu Fuß überquerte. Einen Schritt auf die Straße, zurück, ein neuer Versuch – nein, doch schnell wieder aufs Trottoir. Ich habe große Umwege in Kauf genommen, um nicht überfahren zu werden. Daimler-Benz und dergleichen haben sich hier ihre Traumstadt errichtet. Und ganz einfach die Fußgänger vergessen.

Mercedes ist das Zeichen für Erfolg

20.000 Menschen sind am 20. September in Stuttgart für „Fridays for Future“ auf die Straße gegangen. „Schluss mit dem Autofetischismus, der das Klima zerstört“, konnte man auf den Transparenten lesen. Angesichts der unablässig vorbeiströmenden SUVs und anderer Autos der Oberklasse frage ich mich, wie die Deutschen auf ihr Prestigeobjekt par excellence je verzichten sollen. Jeder zweite Deutsche setzt Himmel und Erde für ein Wunschkennzeichen in Bewegung. Viele Autofahrer verleihen ihren Vehikeln zärtlichere Kosenamen als ihren Partnern. SUVs gehen zur großen Freude der Autohersteller weg wie warme Weckle. In diesem Jahr machen sie fast ein Drittel der Neuzulassungen aus. Es ist mir völlig schleierhaft, wie man freiwillig mit einem so überdimensionierten Straßenkreuzer durch die schmalen Straßen gurken kann.

Deutsche Autos, allen voran der Mercedes, gelten im Ausland als Zeichen für Erfolg. Als Krönung. Auf dem Parkplatz des türkischen Supermarktes bei mir um die Ecke wartet eine ganze Mercedes-Stern-Konstellation auf die Rückkehr ihrer Besitzer. Wer am Steuer eines Mercedes – und sei es eines gebrauchten – in sein anatolisches Dorf zurückkehrt, wird wie der Onkel aus Amerika empfangen.

Dicke Autos = Deutschland

Und wie viele russische Oligarchen, Scheichs, autoritäre afrikanische Staatschefs und sonstige Machthaber fahren im gepanzerten Mercedes herum! Als wäre die Instabilität der meist selbstattribuierten Macht umgekehrt proportional zur Robustheit der Autos, die sie ausgesucht haben. Andere historische Persönlichkeiten haben um des begehrten Objektes willen nur zu gern von ihren hehren Grundsätzen abgesehen: Sowohl Tito als auch Mao Zedong fuhren als Staatskarosse einen Mercedes. Einzig Elizabeth II. und der Ministerpräsident von Bayern verweigern sich: Sie ist zu elegant und zieht einen maßgeschneiderten Bentley vor; er ist zu sehr Lokalpatriot und hält dem BMW die Treue.

Im Frankreich meiner Kindheit verkörperten dicke Autos Deutschland in viel größerem Maße als die schwarz-rot-goldene Nationalflagge. Deshalb waren wir auch so geschockt über den Abgasskandal. Waren Autos nicht das Symbol für das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit? Die Ursache für Rekordexporte? Ein Ersatz für die angeschlagene kollektive Identität? Ein gerechtfertigter Anlass für Nationalstolz? Vor diesem Hintergrund ist es sehr fraglich, ob irgendjemand in den kommenden Jahren seinen schnittigen SUV gegen ein Elektroauto eintauschen wird.

- Übersetzung aus dem Französischen: Odile Kennel

Zur Startseite