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Der Leipziger Pfarrer Christian Führer, einer der wichtigsten Repräsentanten der friedlichen Revolution von 1989, ist tot.

© pa/dpa

Im Alter von 71: Ein Held von 1989: Leipziger Pfarrer Christian Führer gestorben

Er war einer der wichtigsten Repräsentanten der friedlichen Revolution in der DDR. Am Montag starb der Leipziger Pfarrer Christian Führer im Alter von 71 Jahren. Ein Nachruf.

Einmal heraustreten aus dem eigenen Leben in eine neue unbekannte Welt, einmal seine Träume mit den eigenen Händen einfangen, einmal friedlich die Welt verändern – wer hofft nicht auf einen solchen Moment? Christian Führer hat all das geschafft – und ein ganzes halbes Deutschland mitgenommen. Der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche ging vor 25 Jahren mit anderen Mutigen hinaus aus der Enge eines kleingeistigen Staates auf die Straßen seiner Stadt, seiner zerrütteten DDR, Schritt für Schritt, Montag für Montag. Ihre Losung war: Keine Gewalt. Ihr Argument: Kerzen in den eigenen Händen. Sie hielten die Hoffnung am Leuchten, Montag für Montag, hinausgetragen an der Spitze der immer mächtigeren Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 von Pfarrer Christian Führer. Dieser Macht der Träume nach einem freieren Leben hatte die sich in Ost-Berlin verbarrikadierende greise Staats- und Parteiführung nur ihre Ohnmacht entgegenzusetzen. Das war die Wende, aber eigentlich etwas viel Unerhörteres: eine friedliche Revolution auf deutschem Boden.

Christian Führer war einer ihrer stillen Anführer. Am Montag ist er infolge einer schweren Krankheit im Alter von 71 Jahren in Leipzig gestorben. Sein Markenzeichen war eine etwas angeschlissene Weste und eine bedächtige Stimme, die er bis zum Schluss für inhaltlich aufrührerische Töne erhob. Schon in der DDR initiierte er in den Achtzigerjahren die Friedensgebete mit, ohne die sich der Widerstand der Oppositionellen wohl kaum in den Kirchen gesammelt hätte. Später mischte er sich in die oft etwas überambitionierte Stadtpolitik Leipzigs genauso ein wie in die Verfasstheit des ganzen Land, das noch immer nicht ganz ein ganzes ist. Von einer zweiten Revolution träumte Führer und predigte davon in der Kirche und zwischen vollgeschriebenen Buchdeckeln oder bei seltenen Interviews in seiner Leipziger Wohnung, in der sich Papiere stapelten und Erinnerungen, aber nie nur Vergangenheit.

Führer bliebt mit seiner Fundamentalkritik ein Außenseiter

"Die Form der politischen Demokratie ist hierzulande mit der kapitalistischen Marktwirtschaft verbunden", klagte er einmal in einem Tagespiegel-Gespräch. "Die Marktwirtschaft hat aber eigentlich nichts Demokratisches an sich, sie ist eine gnadenlose Leistungsgesellschaft." In dieser neuen Gesellschaft, in der es Pfarrer Joachim Gauck bis zum Bundespräsidenten gebracht hat, blieb Führer mit dieser Art von Fundamentalkritik ein Außenseiter.

Sein Ausgangspunkt war immer Jesus, dessen gewaltloser wie radikaler Wille, die Welt zu verbessern. Nicht von Weltverbesserern, sondern von einfachen Menschen, dem Salz der Erde, nicht der selbsternannten Creme. Dass solch eine Botschaft gerade im atheistisch geprägten Ostdeutschland die Massen in Bewegung setzte, bleibt eines von vielen (im Nachhinein erklärten) Wundern, die den Umbruch bis heute so unglaublich machen – und (auch etwa angesichts des gescheiterten Arabischen Frühlings) so wertvoll. Dass der Geist von Leipzig, der am 9. Oktober 1989 in einer Massendemonstration Hunderttausender gipfelte, vor der die mit Panzern aufgefahrene Diktatur kapitulierte, im neuen Deutschland oft nur in Jubiläumsreden zur Geltung kommt, hat Führer selbst noch im Ruhestand geärgert. In der vergangenen Woche erhielt er stellvertretend für die vielen Mutigen auf den ostdeutschen Straßen den Deutschen Nationalpreis. Entgegennehmen konnte er ihn wegen seiner Krankheit schon nicht mehr.

Christian Führer hat friedlich die Welt verändert

Am Ende ist es für das kollektive Gedächtnis nicht nur des halben Deutschlandes wichtig, was jemand wirklich getan hat, damit jeder heute für seine Träume auf die Straße gehen kann: Unscheinbar erscheinende, bedächtig agierende und doch entschieden handelnde Menschen wie die inzwischen ebenfalls verstorbene Künstlerin Bärbel Bohley und eben Christian Führer haben friedlich die Welt verändert. Weil sie sich in ein neues Leben hinausgewagt haben. Und so gezeigt haben: Jeder kann das.

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