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Jörg Hofmann steht seit knapp fünf Jahren an der Spitze der IG-Metall.

© Frank Rumpenhorst

IG-Metall-Chef im Interview: „Die Autokonzerne haben keine gute Figur gemacht“

Jörg Hofmann über das Konjunkturpaket, die Angst vor Massenentlassungen und Ärger mit der SPD.

Jörg Hofmann ist seit Oktober 2015 Chef der Industriegewerkschaft Metall. Der Diplom-Ökonom verantwortet die grundsätzliche Ausrichtung der IG Metall und die Tarifpolitik.
Herr Hofmann, sind Sie auch so begeistert vom neuen SPD-Kurs wie die Vorsitzenden?

Zur Sicherung des Wohlstands gehörte für die Sozialdemokratie immer auch ein Fokus auf Industrie und Industriearbeitsplätze. Da habe ich im Moment an einigen Punkten ernsthafte Zweifel, ob die SPD ein tragfähiges industriepolitisches Konzept hat. Aber das lässt mich als Sozialdemokraten nicht grundsätzlich an meiner Partei zweifeln.

Aber für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gilt scheinbar: Mehr Fridays for Future, weniger IG Metall.

Rufe wie „Keinen Cent für Verbrenner“ kommen nicht gut an bei denen, die sich heute ohnehin angesichts der Transformation der Branche Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Diese Sorgen sind durch die Coronakrise noch größer geworden. Wenn wir die Menschen von der Notwendigkeit und Dringlichkeit des ökologischen Wandels überzeugen wollen, dann gilt es, Vertrauen zu schaffen und Konzepte vorzulegen, wie alle Beschäftigte mitgenommen werden. Beides fehlte.

Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt: Die IG Metall und ihr Vorsitzender tragen auch selbst Verantwortung für die aktuelle Entfremdung. Wer immer nur dann zur SPD geht, wenn die Hütte brennt, aber ansonsten lieber auf Distanz bleibt, der muss sich nicht wundern, wenn die Bindekräfte zwischen SPD und Gewerkschaft immer schwächer werden.

Wir haben gerade in den letzten Wochen sehr intensiv das Gespräch gesucht, haben aber nicht in allen Fragen Übereinstimmung gefunden. Wir sind uns doch einig: Nur eine klimafreundliche, innovative Industrie kann und wird Beschäftigung sichern. Klimaschutz und Beschäftigung sind kein Widerspruch. Wer hier die Balance aus dem Augen verliert, der riskiert gesellschaftliche Spaltungen mit massiver Arbeitslosigkeit und sozialen Verwerfungen. Nicht nur in einzelnen Betrieben und Branchen, sondern in ganzen Regionen. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass es zu massenhaften Entlassungen kommt.

Dazu braucht es starke Gewerkschaften. Wie wollen Sie junge Leute gewinnen?

Die Mitgliederzahlen waren die letzten Jahre stabil. Das Durchschnittsalter liegt bei 46 Jahren. Wir gewinnen nicht nur in klassischen Ausbildungsberufen Mitglieder, sondern auch unter Studierenden. So haben wir knapp 53 000 Studierende als Mitglieder.

Gerade auf junge Leute wirkt Ihr Kampf für eine Abwrackprämie wie eine Rolle rückwärts. Sie hatten 2019 mit den Umweltverbänden ein Papier für mehr Klimaschutz verabschiedet.

Das ist keine Rolle rückwärts. Die Notwendigkeit, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, steht für die IG Metall außer Frage. Auch in der tiefen Rezession, in der wir uns befinden. Wir müssen Nachfrage stimulieren, sonst kommen wir aus der Rezession nicht raus. Und dies, ohne die klimapolitischen Ziele zu konterkarieren. Dabei spielen die Autoindustrie und vor allem die Zulieferer eine entscheidende Rolle. Noch immer hängen aber dort gut 90 Prozent der Arbeitsplätze vom Verbrennungsmotor ab. Wir haben klar gesagt: Wir halten nichts von einer pauschalen Kaufprämie. Wir wollten eine Kopplung an eine signifikante Reduzierung der CO2-Emissionen und eine nennenswerte Eigenbeteiligung der Hersteller. Welchen Beitrag leistet denn jetzt die Mehrwertsteuersenkung für den Klimaschutz? Jetzt wird selbst der Verkauf von alten Gebrauchtwagen und SUV-Boliden gefördert, egal was aus dem Auspuff kommt.

Das ist ein Totschlagargument.

Überhaupt nicht. Die IG Metall will den Umbau der Branche vorantreiben. Das heißt aber nicht, Teile der Branche einfach vom Netz zu nehmen und Menschen sehenden Auges in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Wenn das Konjunkturpaket, das viele gute und wichtige Punkte enthält, nicht in der Breite wirkt und da schaue ich nicht nur auf die Automobilindustrie, dann müssen wir im Herbst noch einmal darüber reden, ob wir nicht nachsteuern müssen.

Was erwarten Sie an denn an Arbeitsplatzverlusten?

Im Moment haben wir eine heftige Weltwirtschaftskrise, wie wir sie noch nie erlebt haben. Gerade bei den Zulieferern ist die Insolvenzgefahr stark gestiegen. Unsere jüngste Umfrage zeigt: Über 80 000 Beschäftigte in 270 Betrieben sind in hoher oder akuter Insolvenzgefahr. Rund 17 000 Beschäftigte sind jetzt schon von der Insolvenz ihres Betriebes betroffen. Und diese Zahlen steigen.

Erleben wir einen historischen Bruch? Die Industrie hat keine so große Lobby mehr wie in der Finanzkrise, Abwrackprämien sind politisch nicht mehr durchsetzbar.

Diese generelle Einschätzung würde ich so nicht teilen. Klar ist aber: Die Hersteller haben viel, viel Reputation verspielt. Und sie haben im Vorfeld der Konjunkturdebatte auch nicht gerade eine gute Figur gemacht.

Sie spielen auf VW-Boss Herbert Diess an, der trotz des Buhlens um staatliche Kaufprämien auf Boni-Zahlungen pochte. Sie haben im VW-Aufsichtsrat eine Schlüsselstellung bei der Entmachtung von Diess gespielt…

Herr Diess führt weiter den Konzern. Richtig ist, dass manche Äußerungen von Herrn Diess nicht glücklich waren, um es diplomatisch zu sagen.

Stattdessen gibt es nun satte Zuschüsse für den Kauf von E-Autos. Der US-Konkurrent Tesla, der 2021 in Brandenburg Hunderttausende Autos produzieren will, könnte ein Gewinner des Konjunkturpakets sein…

Die Industrie muss einen Aufholprozess einleiten. Es gilt, die endlich in Gang gekommene Batteriezellenproduktion in Europa zu stärken, die Softwarekompetenz zu erhöhen. Unsere Zulieferindustrie liefert übrigens auch an ausländische Produzenten, auch an Tesla. Wir brauchen in jedem Fall jetzt eine europäisch koordinierte Konjunkturpolitik.

Konkurrenz belebt das Geschäft.

Es muss aber eine faire Konkurrenz sein. Das setzt voraus, dass Tesla in seinen Produktionsstätten in Europa Arbeitnehmerschutz, Sozialstandards, und andere Wettbewerbsfaktoren wie Umweltschutz erfüllt und nicht den Wettbewerb zulasten der dort Beschäftigten führt. Es stimmt aber: Die deutschen Hersteller sind nicht optimal unterwegs, was die Softwareentwicklung und die Systemintegration im Fahrzeug angeht. Da ist Tesla weiter.

Wenn wir über die Industriebranche reden, haben wir heute noch sechs Millionen Beschäftigte in Deutschland. Wir sehen eine gewaltige Veränderung durch Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Roboter ersetzen Menschen. Was sind Branchen, die richtig Hoffnung machen?

Nur zwei Beispiele: Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung macht mich optimistisch. Sie wird etwa für die Stahlindustrie künftig eine wichtige Rolle spielen. Wenn ausreichend Wasserstoff vorhanden ist, kann auf Koks verzichtet und ohne CO2-Ausstoß Stahl produziert werden. Oder: Im Bereich der regenerativen Energieerzeugung gibt es derzeit große Beschäftigungsprobleme, vor allem durch die Regulation bei der Windenergie. Aber auch hier hat die deutsche Industrie alle Komponenten, um im globalen Wettbewerb ganz vorne dabei zu sein.

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