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Politik: „Ich halte die US-Vorwürfe für unberechtigt“

Der Nahostexperte Perthes glaubt nicht, dass Syrien Chemiewaffen besitzt und Saddams Gefolgsleute schützt

DER IRAK ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN

Sie sind gerade in Damaskus. Wie nehmen die Syrer die Drohungen der USA auf?

Durchaus mit Sorge. Man hat gesehen, was sich im Irak abgespielt hat und fragt sich, ob man nicht der Nächste auf der Liste ist.

Wie ernst nehmen Sie persönlich die Äußerungen der USRegierung?

Ich glaube nicht, dass es für Syrien eine unmittelbare militärische Bedrohung gibt. Aber vermutlich werden die USA diplomatischen Druck ausüben und eventuell auch zu wirtschaftlichen Strafen greifen. Dabei geht es der amerikanischen Regierung darum, Syrien auf jeden Fall davon abzuhalten, die Ordnung, die sie selber im Irak aufzubauen versuchen, zu unterminieren. Und natürlich wollen die Amerikaner, dass Syrien in der Frage des Friedensprozesses in Nahost mehr kooperiert und der libanesischen Hisbollah und der palästinensischen Hamas-Bewegung weniger Unterstützung gewährt.

Wird die Regierung in Damaskus kooperieren, weil sie, nachdem die USA die Pipeline geschlossen haben, jetzt nicht mehr von den illegalen Öllieferungen aus dem Irak profitiert?

Es ist zwar nicht so, dass sich die syrische Wirtschaft mit den irakischen Öllieferungen über Wasser gehalten hat. Aber sicher waren die irregulären Einfuhren wichtig, um sich Einnahmen zu verschaffen, ohne viel dafür zu tun. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die syrische Regierung ihre politische Opposition gegen einen amerikanisch kontrollierten Irak für ein paar 100 000 Barrel Öl am Tag abkaufen lassen wird. Es gehört zur politischen Tradition Syriens, wenn man ein ernsthaftes politisches Anliegen hat, dafür im Notfall auch ökonomische Konsequenzen in Kauf zu nehmen.

Noch im Herbst hat Syrien die UN-Resolution 1441 gegen den Irak unterzeichnet. Jetzt stellt sich Damaskus offen auf die Seite des Nachbarlandes. Warum?

Die Position der Regierung ist in diesem Punkt sehr klar, und die Öffentlichkeit teilt diese Auffassung: Man hat sich hinter die Resolution gestellt, weil man darin eine Möglichkeit sah, den Krieg zu verhindern. Syrien hat dann deutlicher als Frankreich, Russland oder Deutschland gesagt, wir sind nicht nur politisch gegen den Krieg, sondern wir wollen auch nicht, dass die amerikanische Invasionsarmee den Krieg zu schnell und ohne großen Widerstand gewinnt.

Warum?

Weil Syrien nie davon ausgegangen ist, dass die USA gekommen seien, um den Irak zu befreien, sondern dass die Bush-Regierung ein imperialistisches Projekt hat, also Hegemonie am Golf plant und Kontrolle über das irakische Öl anstrebt. Und zweitens, weil die Regierung in Damaskus eine geopolitische Einkreisung Syriens befürchtete.

Die USA behaupten, Syrien verfüge über Chemiewaffen und biete Mitgliedern des irakischen Regimes Unterschlupf.

Ich halte die Vorwürfe im Kern für unberechtigt. Syrien ist gegen die US-Präsenz am Golf, wollte aber bestimmt selbst nie in die Schusslinie amerikanischer Politik geraten. Die Regierung von Präsident Assad ist trotz aller populistischen Äußerungen schlau und weiß, dass sie sich direkt amerikanischem Zorn aussetzt, wenn sie verbotene irakische Waffen versteckt oder Mitglieder des Saddam-Regimes ins Land lässt.

Wie geht es weiter?

Vieles hängt davon ab, ob und wie schnell es den Amerikanern gelingt, die Situation im Irak zu stabilisieren. Damaskus wird sicherlich versuchen, mit Washington in der einen oder anderen Form zu kooperieren. Zumal Syrien genau das in anderen Fragen auch von den USA erwartet. Das betrifft vor allem den arabisch-israelischen Friedensprozess. Syrien ist sich sehr wohl klar darüber, dass es die von Israel besetzten Golan-Höhen nicht ohne diplomatischen Druck der USA zurückbekommt.

Das Gespräch führte Sven Lemkemeyer.

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