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Tödlicher Schuss. Stephan Ernst (rechts) legt in der Verhandlung das Geständnis nicht selbst ab.

© Kai Pfaffenbach/AFP

„Ich habe geschossen“: Stephan Ernst gesteht tödlichen Schuss auf Walter Lübcke

Im Prozess um den Mord an dem früheren Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke gibt sich der Angeklagte reumütig. Er belastet Markus H. massiv.

Von Frank Jansen

Er sitzt da wie versteinert. Nur die manchmal zuckenden Mundwinkel verraten, wie angespannt Stephan Ernst offenbar ist. Am Mittwoch gegen 10.30 Uhr beginnt sein Anwalt Mustafa Kaplan, die angekündigte Aussage des Hauptangeklagten im Prozess zum Mord an Walter Lübcke zu verlesen.

Ernst gegenüber sitzen die Witwe des ermordeten Regierungspräsidenten von Kassel und die beiden Söhne. Sie blicken auf den Angeklagten. Die Familie wirkt beherrscht und sehr konzentriert. Werden die Hinterbliebenen am achten Prozesstag endlich von dem 46-jährigen Mann erfahren, was sich am späten Abend des 1. Juni 2019 abgespielt hat, auf der Terrasse des Hauses der Lübckes im nordhessischen Wolfhagen-Istha? Werden sie endlich hören, wer den Ehemann und Vater mit einem Schuss in den Kopf getötet hat? Ernst hatte seit der Festnahme drei Wochen nach dem Mord den Ermittlern verschiedene Versionen erzählt. Mal war er alleine bei Lübcke und der Todesschütze, dann soll der Mitangeklagte Markus H. „versehentlich“ Lübcke erschossen haben.

Der entscheidende Satz der Aussage kommt nach knapp 50 Minuten, zuvor hat Ernst viel über seinen alkoholkranken, gewalttätigen und ausländerfeindlichen Vater berichtet und sich selbst als Opfer beschrieben. Doch dann lässt er seinen Verteidiger sagen, „ich habe geschossen“. Und: „Vielleicht habe ich auch nur darauf gewartet.“ Als habe er den tödlichen Schuss auf den verhassten CDU-Politiker, der sich für die Unterbringung von Flüchtlingen eingesetzt hatte, herbeigesehnt.

„Was wir gemacht haben, war falsch, feige und grausam“

Ernst scheint endgültig auszupacken und das Geschehen vom Tatabend so wiederzugeben, wie es offenbar gewesen ist. Und das bedeutet auch, dass er Markus H. wieder massiv belastet. Aber nicht als Todesschützen aus Versehen, wie bei den Aussagen im Januar und Februar, sondern als eiskalten Mittäter.

Sollte die neue Geschichte stimmen, müsste der Staatsschutzsenat den Neonazi Markus H. nicht, wie von der Bundesanwaltschaft angeklagt, wegen psychischer Beihilfe zum Mord verurteilen, sondern genauso wegen Mordes wie Stephan Ernst. Dann hätten zwei Rassisten und nicht nur einer das erste tödliche rechtsextreme Attentat auf einen Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik verübt. Dieser Mittwoch könnte der Wendepunkt des Lübcke-Prozesses sein.

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Stephan Ernst will gemeinsam mit Markus H. am späten Abend des 1. Juni zu Lübckes Anwesen gefahren sein. In Wolfhagen-Istha, schon am Haus von Lübcke, habe Markus H. geäußert, „wenn er blöd kommt, dann schießt du“, sagt Ernst in seiner Einlassung. Ernst hatte die Waffe in der Hand, einen Revolver der Marke Rossi. Er habe den Hahn gespannt und zu Lübcke gesagt: „Beweg’ dich nicht“. Der Politiker saß im Dunkeln auf der Terrasse und blickte in sein Smartphone. Lübcke habe aufstehen wollen. Lübcke habe geschrien: „Verschwinden Sie!“ Als er wieder versuchte aufzustehen, schoss Ernst ihm in den Kopf. Lübcke war sofort tot.

Der Angriff tut Ernst, glaubt man der Einlassung, leid. „Was wir gemacht haben, war falsch, feige und grausam“, liest Kaplan vor. Lübckes Frau und Söhne hören auch, dass Ernst den Mord als „unentschuldbar“ bezeichnet, „wir haben Ihnen den Ehemann und den Vater weggenommen“. Ernst bittet zudem, in ein Aussteigerprogramm aufgenommen zu werden.

Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde im Juni 2019 erschossen.
Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde im Juni 2019 erschossen.

© Uwe Zucchi/dpa

Er schildert Markus H. als eine teuflische Figur. Als den Mann, der ihn wieder radikalisierte. Nach vielen Jahren als gewalttätiger und mehrfach bestrafter Rechtsextremist will Ernst sich nach 2009 innerlich aus der Szene verabschiedet haben. Doch 2014 habe er bei seiner Arbeitsstelle Markus H., den er aus früheren Szenezeiten kannte, wiedergetroffen. Der zwei Jahre jüngere H. sei sein Mentor geworden, sagt Ernst, „er hat mich manipuliert, radikalisiert und aufgehetzt“. Mit gemeinsamen Schießübungen und vor allem mit dem Hass auf Walter Lübcke.

Markus H. äußerte sich am Mittwoch nicht

Ernst und H. waren im Oktober 2015 zusammen bei der Einwohnerversammlung im Kasseler Vorort Lohfelden, bei der Lübcke rechten Krakeelern beschied: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Und da muss man für Werte eintreten und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Auf einem Video, das Markus H. bei der Veranstaltung aufnahm, ist zu hören, wie Ernst ruft: „Verschwinde!“

Markus H. folgt der neuen Aussage seines früheren Kumpans mit einem Blick, der erst süffisant wirkt und dann zunehmend kälter. Erst recht, als Ernst nach der Einlassung Fragen der Richter beantwortet. Ernst betont, auf Lübcke sollte „auf jeden Fall“ geschossen werden, „der Einsatz der Waffe war geplant“. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Thomas Sagebiel, wer die von Ernst im Januar erzählte Version erfunden habe, Markus H. habe versehentlich Lübcke erschossen, nennt der Angeklagte seinen Ex-Verteidiger Frank Hannig. Von ihm hatte sich Ernst vergangene Woche getrennt, als der Dresdener Anwalt mit einem verschwörungstheoretischen Antrag die Familie Lübcke in den Ruch dunkler Machenschaften bringen wollte.

Markus H. äußert sich am Mittwoch nicht. Seine Verteidigerin Nicole Schneiders, ehemals Mitglied der NPD, stellt den Antrag, Ernsts Aussageverhalten psychologisch untersuchen zu lassen. Schneiders jongliert mit Krankheiten wie Epilepsie, Depressionen, Borderline-Störung und schizoider Persönlichkeitsstörung. Die Anwältin behauptet, eine „Falschbelastung“ von Markus H. könnte zu einem „Fehlurteil“ führen.

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