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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der polnische Staatschef Andrzej Duda beim Gedenken in Wielun.

© Alik Kepacz/AFP

„Ich bitte um Vergebung“: Steinmeiers emotionaler Auftritt in Wieluń

Bundespräsident Steinmeier erinnert in Wieluń und Warschau an den Beginn des Zweiten Weltkrieges. Und er fordert, die Deutschen müssten „mehr tun für Europa“.

Als die deutschen Bomber nach Wieluń kamen, schliefen die meisten Einwohner der polnischen Kleinstadt noch. Mit dem Luftangriff gegen 4.40 Uhr am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Und bereits in diesen ersten Minuten zeigte sich, dass die Nationalsozialisten einen Vernichtungskrieg führen wollten.

Die ersten Bomben trafen ein Krankenhaus. In der Kleinstadt, die zum großen Teil zerstört wurde, starben etwa 1200 Menschen. Der deutsche Angriff galt nicht der polnischen Armee, sondern der Zivilbevölkerung. „Wieluń war ein Fanal, ein Terrorangriff der deutschen Luftwaffe und ein Vorzeichen für alles, was in den kommenden sechs Jahren folgen sollte“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Gedenkveranstaltung in Wieluń, die am Sonntag um 4.40 Uhr begann.

Die entscheidenden Sätze sagte der Bundespräsident erst in deutscher, dann in polnischer Sprache: „Ich verneige mich vor den Opfern des Überfalls von Wieluń. Ich verneige mich vor den polnischen Opfern der deutschen Gewaltherrschaft. Und ich bitte um Vergebung.“ Zugleich versprach Steinmeier seinen polnischen Zuhörern, dass diese Verbrechen in Deutschland nicht vergessen werden sollen.

„Wir wollen und wir werden uns erinnern“, sagte das deutsche Staatsoberhaupt. „Und wir nehmen die Verantwortung an, die unsere Geschichte uns aufgibt.“  Auch der polnische Präsident Andrzej Duda sprach sich später dafür aus, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wachzuhalten.

Duda hatte seinen deutschen Amtskollegen nicht nur zum Gedenken in Wieluń eingeladen, sondern auch zur zentralen Gedenkfeier in Warschau. Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm ebenfalls daran teil, wie erst am Freitag überraschend bekannt wurde.

Steinmeier hält Plädoyer für transatlantische Partnerschaft

Am Grabmal des Unbekannten Soldaten auf dem Piłsudski-Platz hielt Steinmeier vor Staatsgästen aus 30 Ländern ein Plädoyer für ein vereintes Europa und würdigte den Freiheitskampf der Polen. „Das vereinte Europa ist die rettende Idee.“ Deutschland trage eine besondere Verantwortung für Europa, betonte der Bundespräsident. „Weil Deutschland – trotz seiner Geschichte – zu neuer Stärke in Europa wachsen durfte, deshalb müssen wir Deutsche mehr tun für Europa“, sagte Steinmeier. Wir müssen mehr beitragen für die Sicherheit Europas.“

Zugleich hielt er in Anwesenheit des US-Vizepräsidenten Mike Pence – Präsident Donald Trump hatte wegen eines Hurrikans in den USA abgesagt – ein Plädoyer für die transatlantische Partnerschaft und forderte Europäer und Amerikaner auf, das Gemeinsame zu bewahren und ihre Partnerschaft zu pflegen. Pence rief die Verbündeten in Europa auf, ihre Versprechen hinsichtlich der gemeinsamen Verteidigung zu erfüllen.

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Während in Warschau des 80. Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen gedacht wurde, versammelten sich zur gleichen Zeit in Berlin Deutsche und Polen zu einer Gedenkstunde auf dem Askanischen Platz. Eine gesellschaftliche Initiative hatte vor zwei Jahren angeregt, an diesem Ort den polnischen Opfern von Krieg und Besatzung ein Denkmal zu errichten. Die Forderung nach einem solchen Gedenkort in Berlin wird von 240 Bundestagsabgeordneten in einem gemeinsamen Aufruf unterstützt.

Schäuble plädiert für ein Denkmal in Berlin

Vor der Ruine des Anhalter Bahnhofs sprach sich am Sonntag Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, einer der Unterzeichner des Aufrufs, für ein Mahnmal aus.  Ein Denkmal zur Würdigung polnischer Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft könne dazu beitragen, den Blickwinkel de anderen auf die Vergangenheit zu verstehen. „Deshalb soll hier, im Zentrum von Berlin, ein sichtbares Zeichen errichtet werden“, sagte Schäuble. „Hier ist der Ort, um einen wichtigen Schritt auf diesem Weg zu machen: die Erinnerung in unsere gemeinsame europäische Zukunft zu tragen.“ Er sei zuversichtlich, dass bald eine Mehrheit der Abgeordneten das Vorhaben unterstützt.  

Schäubles polnische Amtskollegin, die Sejm-Marschallin Elżbieta Witek, begrüßte die Pläne für einen Gedenkort in Berlin: „Das Denkmal ist eine moralische Wiedergutmachung für die Millionen von Opfern der deutschen Besatzung in Polen.“

Steinmeier, der in Wieluń versprochen hatte, dass die Deutschen sich an die NS-Verbrechen erinnern werden, musste dort auch zugeben, dass viel zu wenige Deutsche von dem in der polnischen Kleinstadt begangenen Kriegsverbrechen wissen. Es sei an der Zeit, dass Wieluń und viele andere dem Erdboden gleichgemachte Städte und Dörfer Polens ihren Platz neben anderen Erinnerungsorten deutscher Verbrechen hätten, „und dass wir für diese Erinnerung auch in Deutschland und in Berlin neue, angemessene Formen finden“.

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