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Getreideverladung im rumänischen Schwarzmeerhafen Konstanza. Auch Weizen aus der Ukraine könnte von hier aus exportiert werden.

© Daniel Mihailescu/AFP

Hunger als Waffe: Der Westen muss die freie Fahrt durchs Schwarze Meer absichern

Der Hafen von Odessa ist blockiert. Die Ukraine kann kaum noch Getreide exportieren. Das trifft Millionen Menschen in Afrika. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es gibt Opfer dieses Krieges, die sich erst ahnen lassen. Sie wohnen Tausende Kilometer vom Schlachtfeld entfernt und werden an Hunger sterben oder bei Aufständen erschossen. Wie viele es sind, weiß noch keiner.

Das sind die Fakten: Rund 400 Millionen Menschen weltweit beziehen Getreide aus der Ukraine. Mindestens 14 afrikanische Länder importieren mehr als die Hälfte ihres Weizens aus Russland und der Ukraine. Die Bevölkerung in einigen dieser Länder, etwa in Ostafrika und der Sahelzone, durchleiden derzeit die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Die Corona-Pandemie hat viele Volkswirtschaften ohnehin schwer getroffen.

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Corona, Klima, Krieg: Diese drei Faktoren verstärken sich in ihrer unheilvollen Wirkung. Die Ukraine ist der viertgrößte Mais-, Korn- und Gerstenproduzent der Welt und der fünftgrößte Getreideproduzent. Doch die Exporte sind seit Beginn des Krieges zum Erliegen gekommen, folglich schnellen die Preise in die Höhe. Die humanitäre Lage sei die ernsteste seit dem Zweiten Weltkrieg, warnen Vertreter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen.

EU-Ratspräsident Charles Michel war vor einigen Tagen in Odessa. Er habe dort Silos voller Weizen und Mais gesehen, sagte er. „Es sind Lebensmittel, die dringend gebraucht werden.“ Doch der Hafen der Schwarzmeerstadt ist blockiert.

Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig, Treibminen ausgelegt zu haben. Der Hafen von Odessa bietet die letzte maritime Exportmöglichkeit für Weizen aus der Ukraine. Alle anderen ihrer Häfen am Schwarzen Meer wurden entweder zerstört oder von Russland erobert. Auf hoher See kreuzen die Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte.

Das Bild aus dem Jahr 2016 zeigt den Hafen von Odessa.
Das Bild aus dem Jahr 2016 zeigt den Hafen von Odessa.

© REUTERS/Valentyn Ogirenko

Gibt es Alternativen zum Seeweg, um ukrainisches Getreide in die Zielländer bringen zu können? Der Transport auf der Schiene ist wegen unterschiedlicher Spurweite der Züge kompliziert. Für den Landweg sind die Mengen zu groß. Dennoch arbeiten einige europäische Länder an einer „Getreidebrücke“. Immerhin haben ukrainische Landwirte, oft mit schusssicheren Westen, in diesem Frühjahr rund 80 Prozent des üblichen Saatguts in den Boden gebracht.

Den Zugang zum Schwarzen Meer regelt der Vertrag von Montreux aus dem Jahr 1936. Demnach hat die Türkei, ein Nato-Land, die volle Souveränität über die Dardanellen, das Marmarameer und den Bosporus. Handelsschiffe genießen freie Durchfahrt, für Kriegsschiffe gelten besondere Regelungen. Flugzeugträger etwa von Nicht-Anrainerstaaten haben keinen Zugang. Neben der Türkei sind auch Rumänien und Bulgarien Anrainerstaaten und Mitglieder der Nato.

Das Lebensrecht von Millionen unbeteiligter Menschen

Nun will keiner eine direkte Konfrontation zwischen Russland und der Nato im Schwarzen Meer. Dennoch muss darüber diskutiert werden, ob es ein UN-Mandat geben kann, dass es westlichen Ländern erlaubt, die Handelsfreiheit für ukrainische Schiffe auf bestimmten Strecken abzusichern. Eine mögliche Route verliefe von Odessa bis zum rumänischen Hafen Konstanza.

Auf Russlands Angriffs- und Eroberungskrieg gegen die Ukraine hat der Westen entschlossen, aber militärisch zurückhaltend reagiert. Eine russische Blockade des Exports weltweit dringend benötigter Grundnahrungsmittel greift indes in das Lebensrecht von Millionen unbeteiligter Menschen ein. Hunger als Waffe: Das darf nicht geduldet werden.

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