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Polizisten umringen Li Wenzu, die Frau eines inhaftierten Menschenrechtsanwalts. Auch China war ein Schwerpunkt der Beobachtung durch Human Rights Watch im vergangenen Jahr.

© Mark Schiefelbein/dpa

Human Rights Watch: Menschenrechtler appellieren an Deutschland und Europa

Für Human Rights Watch war das Jahr 2018 ein Wendepunkt: Der Rechtsruck habe sich verstärkt, aber auch die Kräfte gegen den Abbau von Menschenrechten.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch appelliert an Deutschland, seine wachsende internationale Rolle im Sinne der Menschenrechte zu nutzen. Der Direktor von HRW, Kenneth Roth, erwähnte während der Vorstellung des Jahresberichts am Donnerstag die deutsche Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat während der nächsten beiden Jahre. Es dürfe zum Beispiel nicht mehr passieren, dass die Lage in Nordkorea, wie kürzlich geschehen, von der Tagesordnung rutsche, weil die USA ein größeres Interesse an einem Atom-Deal mit Pjöngjang habe, sagte er.

"Warschau und Budapest finanzieren ihre Politik mit EU-Geld"

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel hatte Roth zuvor auch die Ratspräsidentschaft in der EU erwähnt, die Berlin im zweiten Halbjahr 2020 innehaben wird. Sie müsse genutzt werden, um Druck auf menschenrechtsgefährdende EU-Regierungen wie die polnische und ungarische unter Druck zu setzen: Europa sei eine Vorreiterin in Menschenrechtsfragen, aber "miserabel darin, sie gegen die eigenen Mitglieder durchzusetzen", sagte Roth. "Wer einmal Teil des Clubs ist, muss sich an den strengen Kriterien kaum noch messen lassen."

Polen sei größter Netto-Empfänger von EU-Geld und Ungarn bekomme pro Kopf seiner Bevölkerung mit am meisten aus Brüssel. Beide Regierungen nutzten das Geld aber dafür, ihr politische Agenda umzusetzen. Der Haushalt könne das Mittel der Europäischen Union sein, "Herrin ihrer existenziellen Krise" zu werden.

HRW hatte zur Vorstellung seines weltweiten Berichts eigens deswegen Berlin gewählt. Die Lage in Europa ist - im Positiven wie Negativen - auch ein Schwerpunkt des Berichts, der die globale Lage der Menschenrechte im vergangenen Jahr in mehr als hundert Ländern von Afghanistan bis Zimbabwe in den Blick nimmt. Einerseits sieht er in Warschau und Budapest Regierungen am Werk, die Rechtsstaatlichkeit und demokratische Rechte abbauen. "Polen ist ein klassisches Beispiel für autokratisches Vorgehen", sagte Roth in Berlin. Man komme in Wahlen an die Macht und unterhöhle dann demokratische Institutionen und die Unabhängigkeit der Justiz - "ein Schlüsselelement autokratischen Vorgehens".

An beiden Ländern zeige sich aber auch, dass eine machtvolle Gegenbewegung Erfolg habe, der Widerstand der Bürgerinnen und Bürger auf der Straße und das Eingreifen der EU. Es seien nicht alle Probleme gelöst, aber dies habe "enorm viel verändert". Polens Regierung musste ihr Vorgehen gegen die Richter am Verfassungsgericht kürzlich aufgeben.

Wendepunkt in Ungarn: Das Sklavengesetz

Die ungarische HRW-Mitarbeiterin Lydia Gall berichtete über eine ähnliche Entwicklung auch in Ungarn. Dort seien jetzt Zehntausende auf der Straße, das so genannte "Sklavengesetz" sei für viele Landsleute "der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte". Die Demonstrationen gegen das Gesetz drehten sich mittlerweile auch um Pressefreiheit und die "allgegenwärtige Korruption". Das "Sklavengesetz" erhöhte im vergangnenen Jahr die erlaubte Zahl von Überstunden von 250 auf 400 im Jahr, drei Jahre lang muss die Mehrarbeit auch nicht bezahlt werden. Die deutsche Autoindustrie, der wichtigste industrielle Arbeitgeber in Ungarn, gilt als ein wesentlicher Nutznießer des Gesetzes.

In den vergangenen Jahren haben Hunderttausende das Land verlassen. Die Politik der Regierung habe diesen Arbeitskräftemangel verursacht, sagte Gall, und sie bedrohe "die Grundwerte der EU". Daher brauche "das ungarische Volk Berlin die Unterstützung Berlins und der EU".

HRW-Direktor Roth appellierte an die Europäer, sich durch die tatsächlichen Spaltungen nicht vom Handeln abhalten zu lassen. Es gebe auf dem Kontinent ohnehin unterschiedliche Status, Mitglieder des Schengenraums und solche außerhalb, Vollmitglieder und solche mit einer Vertragsbindung an die EU, Mitglieder des Euro und die mit einer nationalen Währung.

"Die Lösung ist nicht aufzugeben und nach Hause zu gehen", sagte Roth. Im vergangenen Jahr habe man auch sehen können, dass "machtvoller Druck" auch von einzelnen Staaten wie Deutschland in Bündnissen mit anderen mittleren oder kleineren Staaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen möglich seien. "Die große Nachricht des letzten Jahres ist nicht das Weiterwachsen autoritärer Tendenzen, sondern der wachsende Widerstand gegen sie."

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