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Homage an Samuel Paty.

© REUTERS

Hommage an die Lehrer: Nicht nur Albert Camus verdankte seinem Grundschullehrer viel

Nach der Ermordung des französischen Geschichtslehrers Samuel Paty denke ich an meine wunderbare Lehrerin im Elsass. Eine Kolumne.

Während der sehr schönen nationalen Gedenkfeier für Samuel Paty im Innenhof der Sorbonne am Mittwochabend las eine 14-jährige Schülerin einen Brief von Albert Camus vor, den er an seinen früheren Grundschullehrer in Alger, Louis Germain, geschrieben hatte. Verfasst hat er ihn am 19. November 1957, wenige Tage nachdem ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden war. 

"Sehr geehrter Herr Germain, ich habe gewartet, bis sich der Lärm, der mich dieser Tage umgab, ein wenig gelegt hat, um Ihnen ein paar Worte aus tiefstem Herzen zu schreiben. Man hat mir gerade eine viel zu große Ehre zuteil werden lassen, die ich weder anstrebte noch suchte. Doch als ich die Nachricht erhielt, ging mein erster Gedanke, nach dem an meine Mutter, an Sie. Ohne Sie, ohne die liebevolle Hand, die Sie dem armen kleinen Jungen, der ich war, gereicht haben, ohne Ihren Unterricht und ihr Beispiel, wäre nichts von all dem geschehen. 

Ich gebe nicht viel auf diese Art Ehrung, aber sie soll zumindest die Gelegenheit sein, Sie wissen zu lassen, was Sie für mich bedeutet haben und noch immer bedeuten, und Ihnen zu versichern, dass Ihre Bemühungen, Ihre Arbeit, in die Sie so viel Herz legten, noch immer lebendig sind bei einem kleinen Schuljungen, der trotz seines Alters nie aufgehört hat, Ihr dankbarer Schüler zu sein.  

Als ich diesen Worten lauschte, die vor dem Sarg des auf offener Straße ermordeten Geschichtslehrers verlesen wurden, fragte ich mich, wie viele sich wohl dieser Tage, genau wie Albert Camus, zutiefst bewegt an einen Lehrer zurückerinnern, der sie geprägt, vielleicht sogar den Lauf ihres Lebens verändert hat. Es gibt nicht viele Lehrer dieser Art.

Ein Lehrer kann ein ganzes Leben prägen

Die Schule der Französischen Republik, die seit dem Tod von Samuel Paty in den Himmel gelobt wird, weckt eher Erinnerungen an trostlose Stunden: Wie viele todlangweilige Lehrer ohne Einfühlungsvermögen leierten mit monotoner Stimme ihren öden Unterrichtsstoff herunter? In meinem Land – das galt für meine Generation und gilt leider auch heute noch allzu oft – wird Unterricht frontal abgehalten: der allmächtige Lehrer steht allein vor seinen gehorsamen und meist gleichgültigen Schülern. 

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Und dann kommt ein Geschichtslehrer, der den kritischen Geist seiner Schüler fördern will, der dazu eine Debatte in sein Klassenzimmer holt, die Frankreich und die ganze Welt seit Jahren bewegt: Was ist Meinungsfreiheit? Wie weit kann man gehen? Ist es richtig, Karikaturen zu veröffentlichen?  

Für mich bestand Geschichtsunterricht vor allem aus einer Abfolge von Daten, die ich auswendig lernen musste – was hätte ich darum gegeben, solch einen Lehrer zu haben! 

Heute denke ich an meine Grundschullehrerin. Eine Elsässerin, wohlwollend und sich ihrer Mission bewusst, die Generationen von Schülerinnen geprägt hat. Wie bei allen Schulen in Frankreich wehte die Trikolore über dem Eingang. Sie soll uns daran erinnern, dass dort die Werte der Republik gelehrt werden: Freiheit, Laizität, Gleichheit, Toleranz. „Was für eine Verantwortung!“, sagt die 96-jährige Dame, die ich jedes Mal besuche, wenn ich in meine Heimatstadt zurückkehre. „Sie können einem Kind helfen, aus sich selbst, aus seinem Milieu herauszukommen. Aber Sie können auch großen Schaden anrichten und ihm das Lernen für immer verleiden.“ 

Samuel Paty unterrichtete in Conflans-Saint-Honorine, einem Pariser Vorort, der bisher nur für seinen schönen, zarten Namen bekannt war und weit entfernt schien von der aberwitzigen Gewalt, deren Bühne er gerade geworden ist. Samuel Paty wurde ermordet, weil er seine Arbeit getan hat.  Übersetzung aus dem Französischen: Odile Kennel 

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