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Doppelbelastung: Arbeit und Kinderbetreuung daheim

© Imago/Josep Rovorosa

Homeoffice als Tortur: Arbeitszeitentlastung für Eltern – jetzt!

Niemand kann Arbeit und Betreuung gleichzeitig leisten. Der Druck auf Eltern durch die Coronakrise muss abgefedert werden. Ein Gastbeitrag.

Kathrin Mahler Walther ist Geschäftsführerin der EAF Berlin, einem Forschungs- und Beratungsinstitut, das sich dafür einsetzt, dass Vielfalt in allen Bereichen der Gesellschaft gelebt und wertgeschätzt wird. Sie hat selbst zwei kleine Kinder, deren Betreuung sie sich mit ihrer berufstätigen Frau teilt. Für die EAF Berlin hat sie mehrere Studien über die Vereinbarung von Karriere und Kindern durchgeführt.

Wow! Binnen einer Woche hat die Bundesrepublik auf Krisenmodus umgeschaltet. Ich bin beeindruckt von uns allen – den Bürger*innen, den Politiker*innen, den Führungskräften in allen Bereichen der Gesellschaft. Organisationen, die bis eben noch strikt nach Stechuhr gearbeitet haben, verlagern ihre gesamte Belegschaft ins Homeoffice. Fließbänder stehen still. Schulen und Kitas sind geschlossen und das öffentliche Leben ist quasi zum Erliegen gekommen.

Die meisten, so scheint es mir jedenfalls, halten sich an „Social Distancing“. Und denken solidarisch: Zeitlich gut abgestimmt ertönt gemeinsamer Beifall aus den Fenstern für die Ärztinnen und Pfleger und die vielen anderen Menschen, die in systemrelevanten Berufen unsere Gesellschaft am Laufen halten. Unterstützungsangebote werden in ungewöhnlich hohem Tempo entwickelt – auf gesellschaftlicher ebenso wie auf nachbarschaftlicher Ebene. 

[Aktuelle Entwicklungen der Coronavirus-Pandemie können Sie hier im Newsblog verfolgen.]

Die Coronakrise als Chance?

Schon werden erste Stimmen laut, die viele Chancen in dieser Krise sehen, wie der Zukunftsforscher Matthias Horx. Das macht Mut, ja. Aber vielleicht ist es ein bisschen zu (vor)schnell. Jetzt, da die ersten großen Schritte der Umstellung gegangen sind, gilt es, unterschiedliche Auswirkungen zu erfassen und die Folgen abzufedern.

Menschen sind in sehr verschiedener Weise von der Krise betroffen. Manche bangen um ihre Existenz. Kriegen keine Lebensmittel mehr an der Tafel. Keine Spenden mehr auf der Straße. Manchen sind alle Aufträge der nächsten Monate weggebrochen, sie mussten ihre Läden schließen, ihre Unternehmen auf Kurzarbeit runterfahren, Personal entlassen.

Und andere wissen nicht, wie sie jetzt die vielen Anforderungen bewältigen sollen, die auf sie einprasseln. Menschen in systemrelevanten Berufen z.B., die jeden Tag ganz vorne dabei sind und dafür häufig viel zu gering entlohnt werden. Oder Eltern, die plötzlich ihren beruflichen Verpflichtungen gerecht werden und gleichzeitig Kinder betreuen und beschulen sollen.

Eltern sind in der Doppelbelastung

Die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice ist grundsätzlich eine gute Sache. Unsere Arbeitswelt muss flexibler werden wo immer es die Spielräume dafür gibt. Das würde Eltern in der Zukunft sehr unterstützen, berufliche und private Anforderungen gut unter einen Hut zu bringen – all unsere Studien zeigen das. Aber im Moment ist es für die meisten eine Tortur.

Denn Homeoffice ist nicht, was uns manche Hochglanzbilder seit Jahren vorgaukeln: Strahlende Mütter und Väter, die Laptop und Kleinkind auf ihren Knien jonglieren. In der Realität geht nur das eine oder das andere. Wenn die Kinder betreut, beschäftigt oder eingeschlafen sind, nur dann ist konzentriertes Arbeiten im Homeoffice möglich.

Nennenswerte Zeitkontingente hierfür setzen die gesellschaftliche Übernahme von Betreuungs- und Versorgungszeit voraus. Eltern, die jetzt den Spagat zwischen Arbeit und Betreuung in ihren vier Wänden bewältigen müssen, stehen unter Doppelbelastung und fahren zwei Schichten parallel. Irgendwo dazwischen liegt noch die dritte – das Haushalts- und Familienmanagement.

Eine Geschäftspartnerin schrieb mir in der vergangene Woche ihre neuen Arbeitszeiten im Homeoffice – sie beginnt morgens um 6.30, kocht mittags, beschult nachmittags, macht abends den Haushalt. Die Schichten sind lang und lassen keine Zeit zum Aufatmen. Wie lange kann das gutgehen? Eine Woche? Zwei Wochen? Über kurz oder lang kollabiert das System.

Wer betreut die Kinder, wenn der Urlaub aufgebraucht ist?

Und auf „lang“ müssen wir uns ja leider einstellen. Deshalb brauchen Eltern jetzt Arbeitszeitentlastung. Unsere Gesetzgebung hat für diesen Krisenfall bisher kaum etwas vorgesehen. Lediglich Paragraph 616 BGB regelt, dass Arbeitnehmer*innen zur Betreuung ihrer Kinder für einen kurzen Zeitraum ihrer Arbeit fernbleiben können. Ein kurzer Zeitraum – das sind laut Mitteilung des Bundesarbeitsministeriums zwei bis drei Tage. Doch in Zeiten von „Social Distancing“ kann niemand sonst zur Kinderbetreuung hinzugezogen werden. In zwei bis drei Tagen lässt sich also keine Lösung finden.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ruft Arbeitnehmer*innen deshalb dazu auf, jetzt Überstunden abzubauen oder Urlaub zu nehmen, um die Betreuung der Kinder sicher zu stellen. Doch was machen Eltern dann in den kommenden Kitaschließzeiten und Ferien? Wer betreut dann, wenn der Urlaub schon ausgeschöpft ist? Ganz zu schweigen von der gemeinsamen Erholungszeit, die für Familien „systemrelevant“ ist.

Arbeitgeber müssen solidarisch handeln

Manche flexiblen Arbeitgeber bieten Arbeitszeitkonten, mit denen jetzt Minusstunden aufgebaut werden können. Doch auch das ist wenig dienlich. Denn wenn das ganze Jahr in den Herbst verschoben wird – wer kann das schaffen, all die Minusstunden nachzuarbeiten? Der Bundesarbeitsminister ruft deshalb auch Arbeitgeber auf, gemeinsam mit den Beschäftigten „zu pragmatischen, unbürokratischen und einvernehmlichen Lösungen zu kommen, die nicht zu Lohneinbußen führen“.

Verantwortungsvolle Arbeitgeber – alle, die es sich irgendwie leisten können – müssen jetzt solidarisch handeln und im Sinne der Gesundheit ihrer Beschäftigten Eltern entlasten – und zwar explizit Väter und Mütter. Denn alle Statistiken zeigen uns, dass in heterosexuellen Paaren Betreuungs- und Hausarbeit überwiegend auf den Schultern von Frauen lastet. Kein innerfamiliärer Streit, wessen Arbeit wichtiger ist, darf jetzt noch zusätzlich belasten. Es braucht bedarfsgerechte Arbeitszeitentlastung, es muss Druck rausgenommen werden, damit Eltern das stemmen können. Das heißt konkret, Organisationen müssen Modelle für Arbeitszeitreduzierung bei vollem Lohnausgleich entwickeln.

Sicher werden sich das nicht alle Arbeitgeber leisten können. Wir brauchen deshalb auch ein überbetriebliches Förderprogramm, dass diese Herausforderung für Eltern abfedert. Ein unkompliziertes Elterngeld Plus, das jetzt vorübergehende Arbeitszeitreduzierung mit Brückenteilzeit ermöglicht und berufstätige Eltern in der Coronakrise finanziell absichert. Das nimmt den Druck aus den Familien und schützt deren Gesundheit. Und darum geht es ja jetzt ganz besonders.

Kathrin Mahler Walther

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