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Holocaust-Leugnung: Schuldig bei Vergleich

Juristen erwarten ein neues Grundsatzurteil – eine Klage von Tierschützern könnte den Anlass bieten.

Berlin - Richter sprechen durch ihre Urteile, heißt es, doch kaum scheiden sie aus dem Amt, reden sie mitunter freier: Nicht nur Wolfgang Hoffmann-Riem rät dem Gesetzgeber, auf Strafe für Holocaust-Leugner zu verzichten, sondern auch Winfried Hassemer, bis vor kurzem noch Vizepräsident sowie Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts und seit gestern Partner einer Frankfurter Anwaltskanzlei: "Ich bin kein Anhänger der Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung. Natürlich ist das ein deutsches Sonderproblem, das sich unserer unseligen Geschichte verdankt. Aber es wäre mir recht, wenn wir dieses Sonderproblem nicht mehr hätten", hatte der Strafrechtsprofessor im Juni der "Süddeutschen Zeitung" gesagt. Er sei "kein Freund solcher Tatbestände, die falsche Meinungen unter Strafe stellen."

Die beiden Spitzenjuristen sprechen sich dafür aus, eine Vorschrift zu mildern, die in den vergangenen Jahren immer nur verschärft worden ist. Paragraf 130 Strafgesetzbuch, die Volksverhetzung. Nach Absatz 3 wird mit Haft bis zu fünf Jahren bestraft, wer den deutschen Massenmord an Juden billigt, leugnet oder verharmlost. Die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit zählt hier nicht, hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1994 geurteilt. Wer den Holocaust leugne, behaupte eine erwiesen unwahre Tatsache - und äußere keine Meinung oder Wertung.

Auch wenn der Tatbestand selbst verfassungsgemäß ist, so beschäftigt seine Auslegung immer wieder die Gerichte. Bis hinauf nach Karlsruhe. Dort war schon das Urteil von 1994 umstritten, und auch Hoffmann-Riem verwies jetzt in Berlin darauf, bislang habe sich das Gericht gar nicht eingehend mit der Sache befasst; es könne womöglich eine neue, grundlegende Entscheidung geben.

Einen Anlass gäbe es. Er zeigt beispielhaft, in welche Widersprüche sich die Rechtsordnung verstricken kann, wenn sie die Holocaust-Leugnung konsequent ahnden will. Es geht um eine Kampagne der Tierschutzorganisation Peta. Mit drastischen Bildern von Deportationen aus der NS-Zeit und Viehtransporten von heute wollte Peta auf Missstände aufmerksam machen. Der Slogan dazu: "Der Holocaust auf Ihrem Teller".

Der Zentralrat der Juden stellte Strafanzeige und verlangte erfolgreich vor Gericht die Unterlassung. Dagegen zog Peta bereits 2004 nach Karlsruhe. Wie das Bundesverfassungsgericht dem Tagesspiegel am Donnerstag mitteilte, sei die Sache noch nicht entschieden. Trotz der langen Wartezeit sei es auch noch möglich, dass die Beschwerde gar nicht angenommen werde.

Für Peta ist das lange Zögern dagegen der Beweis, dass die Verfassungsrichter den Tierschützern recht geben werden. "Wir leugnen oder verharmlosen den Holocaust nicht, sondern kritisieren Missstände", sagt Edmund Haferbeck, wissenschaftlicher Berater bei Peta. In Österreich könne die Kampagne wieder anlaufen, nachdem das oberste Gericht sich auf die Seite der Organisation gestellt habe. Das Argument: Im Kampf um Aufmerksamkeit seien starke Reize erlaubt, und es sei Peta nie darum gegangen, den Holocaust herunterzuspielen. Der Berliner Strafrechtsexperte Nikolai Venn, Rechtsanwalt des Zentralrats der Juden, betont dagegen, es komme auf gute Absichten gar nicht an. "Die Kampagne verletzt den Achtungsanspruch der Opfer und relativiert die Judenverfolgung", sagt er. Menschenwürde sei ein Grundrecht, das nicht abgewogen werden könne.

Es ist schwer, juristisch Grenzen zu ziehen. Der Holocaust-Vergleich ist eine viel benutzte und wirkmächtige Metapher. Auch Ex-Außenminister Joschka Fischer bediente sich ihrer, als er den Kosovoeinsatz der Bundeswehr 1999 mit den Lehren aus Auschwitz begründete. Er wurde allerdings nie verurteilt.

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