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Holocaust-Gedenken: Sarkozy will Shoah-Erinnerung verordnen

Frankreichs Präsident will, das Grundschüler Paten für Holocaust-Opfer werden. Protest gibt es nicht nur von der jüdischen Gemeinde.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat mit seiner Forderung, Schülern der Grundschule die Patenschaft für je eines der 11 000 in den Vernichtungslagern der Nazis ermordeten jüdischen Kinder aus Frankreich zu übertragen, eine scharfe Kontroverse ausgelöst. Am heftigsten reagierte die ehemalige Präsidentin des Europaparlaments Simone Veil. Ihr sei das „Blut in den Adern gefroren“, erklärte die angesehene Politikerin, die als junges Mädchen die Deportation nach Auschwitz überlebte und heute Ehrenpräsidentin der Stiftung zur Erinnerung an die Shoah ist. Die Idee des Präsidenten, den sie im Wahlkampf unterstützt hatte, sei „unvorstellbar, unerträglich, dramatisch und ungerecht“, urteilte sie. „Man kann keinem Kind von zehn Jahren zumuten, sich mit einem toten Kind zu identifizieren.“

Sarkozy hatte beim jährlichen Treffen mit dem Dachverband jüdischer Organisationen in Frankreich (Crif) angekündigt, dass ab dem nächsten Schuljahr allen Kindern der letzten Grundschulklasse die Erinnerung an jeweils eines der 11000 Kinder übertragen werden soll, die Opfer der Shoah wurden. Die Initiative Sarkozys kam völlig überraschend. Die Mitglieder des Crif ahnten zwar, wie dessen Präsident Richard Prasquier sagte, dass Sarkozy etwas zur Unterweisung der Shoah im Schulunterricht sagen würde. Doch damit habe niemand gerechnet. Auch die Berater des Präsidenten, der Erziehungsminister oder die Lehrerverbände waren nicht vorab ins Bild gesetzt worden.

Umso harscher fielen die Reaktionen aus, darunter auch von Politikern aus dem Regierungslager wie dem früheren Premierminister Dominique de Villepin. Historiker, Psychologen sowie Vertreter von Lehrerverbänden und nicht zuletzt auch der jüdischen Gemeinde selbst warnten davor, den Kindern statt historischer Tatsachen Emotionen zu vermitteln. Begrüßt wurde der Vorstoß des Präsidenten dagegen von François Hollande, dem Parteichef der oppositionellen Sozialisten, sowie von dem „Nazi-Jäger“ Serge Klarsfeld.

Unter pädagogischen Gesichtspunkten gehöre die Shoah sehr wohl in den Schulunterricht, aber nicht als „Pflicht zur Erinnerung“, erklärte der Crif-Präsident Prasquier. Die Kinder dürften daraus „keine Schuldgefühle ableiten“. Die Gefahr „traumatischer Erfahrungen“ befürchtet auch die jüdische Historikerin Esther Benbassa als Folge dieser „morbiden Idee“. Der Historiker Henry Rousso kritisierte, dass Sarkozy ein „Erinnerungsmarketing“ betreibe. Ähnliche Vorwürfe waren auch erhoben worden, als zu Beginn des Schuljahrs der Abschiedsbrief des von Nazis exekutierten 17-jährigen Widerstandskämpfers Guy Môquet auf Sarkozys Anordnung in allen Schulen verlesen werden musste.

Bei einem Besuch in Westfrankreich, bei dem er seit langem angekündigte Vorstellungen einer Unterrichtsreform bekannt gab, stellte Sarkozy die Idee der Patenschaft für Shoah-Opfer in den Zusammenhang der von ihm propagierten „Rückeroberung der Werte“. Dazu zählte er neben einer „besseren Beherrschung von Grammatik und Rechtschreibung“ auch die „Regeln der Höflichkeit“ und den „Respekt vor den Symbolen der Republik“. In diesen Rahmen gehöre auch die „Einführung der Kinder in das Drama der Shoah“. Wenn man Kindern die kollektive Erinnerung des Landes zum Geschenk macht, traumatisiere man sie keineswegs, sagte er.

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