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Ein Mitarbeiter des Biotechnologie-Unternehmens Biontech arbeitet in einem Labor.

© Biontech/dpa

Hoffnung für Milliarden Menschen: Wie kann ein Impfstoff weltweit schnell und gerecht verteilt werden?

Der Einsatz eines Coronavirus-Impfstoffs rückt in Reichweite. Sobald er da ist, muss viel organisiert werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die ganze Welt wartet auf einen Impfstoff gegen Covid-19. Viele Hersteller befinden sich bei der Entwicklung auf der Zielgeraden. Die deutsch-amerikanische Pharma-Allianz von Biontech und Pfizer hat am Montag vermeldet, ihr Impfstoff habe in klinischen Studien eine Effektivität von 90 Prozent erreicht.

Noch in diesem Jahr könnte man im Falle einer Zulassung weltweit bis zu 50 Millionen Impfdosen herstellen, im kommenden Jahr dann bis zu 1,3 Milliarden Dosen. Der weltweite Einsatz stellt Regierungen, Pharmahersteller und Logistikunternehmen vor gewaltige Herausforderungen.

Wie viele Dosen des Pfizer-Biontech-Impfstoffs erhält Deutschland?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht davon aus, dass die Unternehmen Biontech und Pfizer in einer ersten Phase 100 Millionen Corona-Impfstoffdosen für Deutschland bereitstellen werden. 

Das sagte der Bundesgesundheitsminister am Dienstag in Berlin. Die EU-Kommission teilte wenig später mit, man habe die Vertragsverhandlungen mit der deutsch-amerikanischen Pharma-Allianz erfolgreich abgeschlossen.

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[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die EU werde „somit in Kürze über einen vertraglichen Rahmen für den Ankauf von zunächst 200 Millionen Dosen – zuzüglich einer Option auf den Ankauf weiterer 100 Millionen Dosen – im Namen aller EU-Mitgliedstaaten verfügen“, hieß es in Brüssel. Geliefert werde, „sobald sich ein Impfstoff als sicher und wirksam gegen Covid-19 erwiesen hat“.

Bereits am Montag hatten Pfizer und das Mainzer Unternehmen Biontech angekündigt, demnächst eine Zulassung für den von gemeinsam entwickelten Impfstoff zu beantragen.

Ugur Sahin, Vorstandsvorsitzender von Biontech, steht im Labor seines Unternehmens.
Ugur Sahin, Vorstandsvorsitzender von Biontech, steht im Labor seines Unternehmens.

© Dominik Pietsch/Biontech/dpa

Die EU-Kommission verhandelt mit den jeweiligen Pharmaunternehmen nur die Lieferzusagen, tritt aber nicht als Käufer der Impfdosen auf: Für diese konkreten Verträge ist jeder einzelne Staat dann selbst zuständig. Verteilt werden die Dosen in der EU entsprechend dem Bevölkerungsanteil des jeweiligen Mitgliedsstaates – Deutschland hätte also bei jeder Lieferung Anrecht auf maximal jede fünfte Impfdosis.

Die 100 Millionen Impfdosen, von denen Spahn gestern sprach, sind also weit mehr, als der Bundesrepublik gemäß ihrem Bevölkerungsanteil aus der 300-Millionen-Lieferung zustehen würden. 

Hinzu kämen Zusagen, die Deutschland sich durch die an Biontech gezahlte Forschungsförderung in Höhe von 375 Millionen Euro gesichert habe, erklärte gestern ein Sprecher des Gesundheitsministeriums auf Anfrage. Parallel zu dieser Unterstützung hatten Biontech und die Europäische Investitionsbank im Juni eine Fremdkapitalfinanzierung von bis zu 100 Millionen Euro für das Impfstoffprogramm vereinbart.

Mit welchen Impfstoffentwicklern hat die EU außerdem Verträge abgeschlossen?

Die Kommission hatte bereits Verträge mit der Corona-Impfstoffkoalition des französischen Pharmakonzerns Sanofi und dem britischen Unternehmen GlaxoSmithKline; außerdem mit AstraZeneca, das seinen Sitz ebenfalls in Großbritannien hat. Mit dem US-amerikanischen Johnson & Johnson habe man die Verhandlungen „im Grunde abgeschlossen“, sagte Spahn gestern.

Aus diesen drei Verträgen steht den EU-Mitgliedsstaaten nach bisherigem Stand das Recht zu, insgesamt 800 Millionen Impfdosen abzukaufen, mit der Option auf weitere 300 Millionen. Da man davon ausgeht, dass pro Person zwei Impfdosen nötig wären, könnten mit dieser Menge alle EU-Bürger geimpft werden.

Mit dem deutschen Hersteller Curevac, an dem der Bund mit 23 Prozent der Aktien beteiligt ist, führt die EU-Kommission nach aktuellem Stand noch Sondierungsgespräche, es geht dabei zunächst um 225 Millionen Impfdosen. Ebenfalls Sondierungen gibt es seit August mit dem US-amerikanischen Unternehmen Moderna, das auch auf mRNA-Basis an einem Corona-Impfstoff forscht: Hier spricht man über 80 Millionen Dosen für die EU-Staaten.

Welche politischen, wissenschaftlichen oder juristischen Risiken bestehen weiter?

Es bleibt eine Rechnung mit vielen Unbekannte. Zum einen ist nicht klar, ob und wenn ja wie viele Hersteller erfolgreich bei der Impfstoffentwicklung sein werden. Zum zweiten haben GlaxoSmithKline, AstraZeneca und Johnson&Johnson ihren Sitz außerhalb der EU, Großbritannien verlässt zum Jahreswechsel schließlich die Union.

Es ist aber alles andere als sicher, dass die Amerikaner und Briten bereit sein werden, nach dem Anlaufen der Produktion Impfstoffe ins Ausland exportieren zu lassen: Der kommende US-Präsident Joe Biden, aber auch der britische Premierminister Boris Johnson stehen unter enormen Druck, dem katastrophalen Pandemieverlauf in ihren Ländern möglichst schnell und aggressiv etwas entgegen zu setzen. Die internationale Impfstoff-Solidarität könnte darunter durchaus leiden.

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Für die EU und speziell für Deutschlands Gesundheitsminister Jens Spahn ist der Vertrag mit Biontech und Pfizer wegen der höheren Liefersicherheit deshalb von großer Bedeutung. „Wir könnten es nicht erklären“, sagte Spahn am Dienstag, wenn ein Impfstoff in Deutschland entwickelt und produziert, hier aber nicht verimpft würde.

Berücksichtigt werden muss bei der Verteilung aber auch die Situation in Nachbarstaaten der EU, die als Absatzmarkt für Pharmakonzerne nicht interessant sind und deshalb kaum Chancen auf (Vor-)Verträge haben: Mit diesen Regionen gibt es, vor allem auf dem Balkan und in Osteuropa, einen intensiven Austausch, der das Risiko der Ausbreitung von Infektionskrankheiten erhöht. Die EU wäre gut beraten, diesen Ländern Impfdosen zur Verfügung zu stellen. Einige der Verträge enthalten bereits entsprechende Spendenklauseln.

Welche anderen Hersteller sind bei der Impfstoffentwicklung kurz vor dem Ziel?

Noch haben weder die US-amerikanische noch die europäische Arzneimittelbehörde einen Impfstoff gegen Covid-19 zugelassen. Die Weltgesundheitsorganisation nennt zehn Impfstoffe, die in der abschließenden Phase an einer großen Probandengruppe im Vergleich zu einem wirkungslosen Placebo erprobt werden. Die Wirksamkeit des Impfstoffs wird an den Anzahlen Erkrankter in der geimpften und der Placebo-Gruppe bemessen.

Der gemeinsam von Biontech und Pfizer entwickelte RNA-Impfstoff, erreicht nach am Montag vermeldeten Zwischenergebnissen 90 Prozent Effektivität. Das ist eine gute Nachricht auch bezüglich weiterer Impfstoffe, die derzeit klinisch erprobt werden und die dem Immunsystem den gleichen Teil des Virus, das Spike-Protein, präsentieren. Die Viren docken damit an menschliche Zellen an und setzen ihre Vermehrung in Gang. Die meisten der neuen Impfstoffe sollen die Produktion von Antikörpern gegen dieses Protein anregen. Biontech und Pfizer zeigen: Das kann funktionieren.

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Im Juli hatte das US-Biotech-Unternehmen Moderna Phase-3-Untersuchungen seines RNA-Impfstoffs gestartet, der auch auf das Spike-Protein abzielt. Ergebnisse von Moderna stehen aus.

In drei klinischen Studien der Phase 3 werden in China entwickelte Impfstoffe getestet, die auf unschädlich gemachten Coronaviren beruhen. Die Studie des Mittels des Herstellers Sinovac in Brasilien wurde gestern wegen ernster Nebenwirkungen bei einem Teilnehmenden von der Gesundheitsbehörde ausgesetzt.

Fünf weitere Entwickler nutzen Adenoviren als selbst harmlose Träger, um dem Immunsystem Geimpfter Merkmale von Sars-CoV-2 zu präsentieren. AstraZeneca und die britische Oxford-University mussten ihre Studie für anderthalb Monate wegen eines Todesfalls in der Probandengruppe unterbrechen. Seit Ende Oktober wird sie fortgeführt. Der Impfstoff besteht aus einem Adenovirus, das einen Teil des Virenerbguts in Zellen der Geimpften einschleust. Auch hier wird das Erbgut in Form von RNA und nicht Proteine des Virus zur Immunisierung genutzt.

Wie funktioniert die Verteilung des Impfstoffs weltweit?

Die größte Herausforderung bei der Verteilung wird sein, dass RNA-Impfstoffe wie die von Biontech und Pfizer bei minus 70 Grad Celsius transportiert werden müssen und danach nur wenige Tage im Kühlschrank gelagert werden können.

Lufthansa Cargo hat eine Task-Force eingerichtet und baut die Kühlkapazitäten seiner Frachtflugzeuge und Lagerhallen aus. UPS arbeitet mit allen Herstellern von vielversprechenden Impfstoffen an Lieferplänen. FedEx-CEO Fred Smith verweist auf weltweit 90 Logistikzentren seines Unternehmens, die Impfstoffe kühlen können.

In Deutschland sieht sich die Deutsche Post für die Verteilung eines Impfstoffs gut gerüstet. Der Konzern stehe zur Verteilung bereit und befinde sich dazu in Gesprächen mit Pharmaunternehmen und Regierungen, sagte Konzernchef Frank Appel. Die Post könne auch Impfstoffe transportieren, die extrem gekühlt werden müssten. „Die Verteilung wird nicht an der Logistik scheitern“, sagte Appel. Die Kontraktlogistik-Sparte des Konzerns betreibt weltweit mehr als 180 auf die Bedürfnisse der Pharmaindustrie zugeschnittene Standorte, in denen empfindliche Medizinprodukte etwa in verschiedenen Temperaturzonen gelagert und verpackt werden können.

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