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Hans-Christian Ströbele ist seit Jahrzehnten bei den Grünen aktiv.

© Thilo Rückeis

"Hört sich viel zu schonend an": Ströbele kritisiert Grünen-Kuschelkurs mit der Regierung

Die Grünen kämpfen mit dem Vorwurf, in der Pandemie die Regierung zu zahm anzugehen. Nun meldet sich Partei-Ikone Hans-Christian Ströbele kritisch zu Wort.

Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele kritisiert die eigene Parteispitze für ihren zahmen Umgang mit der Bundesregierung. "Die Äußerungen von Bundes- und Fraktionsvorstand empfinde ich als unnötig nah am Kurs der Regierung", sagte er dem Tagesspiegel.

Der 82-Jährige Ströbele holte in seinem Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg für die Grünen viermal hintereinander das einzige Bundestags-Direktmandat. Bei der Wahl 2017 trat er nicht mehr an. Den Kurs seiner Partei verfolgt er jedoch noch immer genau, versichert er und kritisiert: "Manchmal hört sich das viel zu schonend an."

Gerade in der Corona-Politik wünscht sich Ströbele eine klarere Sprache und eine konsequentere Absetzung zu Union und SPD. Zwar hält der Jurist Ströbele es prinzipiell für "falsch und undemokratisch", wenn man aus Prinzip nur in Lagern denke und abstimme, doch beispielsweise über den Sinn der Impfstrategie könne man kontrovers diskutieren.

Ströbele hat den Eindruck, dass seine Partei dabei offenbar bereits auf eine mögliche Schwarz-Grüne-Koalition schielt. "Auch als Linker bin ich für die Übernahme von Machtpositionen, deshalb muss man aber nicht schon vor Koalitionsverhandlungen den Eindruck erwecken, dass man sich einig ist. Richtig große Kontroversen mit der Union scheinen in der Parteispitze eigentlich nur im Klimabereich zu bestehen."

Ströbele setzt damit eine Diskussion fort, die die Partei seit einigen Wochen beschäftigt. "Merkels Bodyguards" nannte der "Spiegel" die Grünen Anfang Januar, weil sie der CDU im Streit um die Impfstrategie beisprangen und gegen die Kritik der SPD in Schutz nahmen. Eine Bezeichnung, über die man sich in der Parteizentrale ärgerte. Dort fühlt man sich missverstanden. "Opposition ist kein Selbstzweck und Draufhauen ist auch kein Selbstzweck", sagte Parteichefin Annalena Baerbock wenig später.

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Doch der Eindruck der zahmen Grünen bleibt und wird inzwischen auch von den anderen Oppositionsparteien befeuert. Vor dem Corona-Gipfel der Kanzlerin mit den Länderchefs am vergangenen Dienstag forderte die FDP lautstark eine Sondersitzung des Parlaments zu den neuen Corona-Maßnahmen. Die Grünen weigerten sich, verwiesen auf den Gesundheits- und Wirtschaftsausschuss, der zu dem Thema tagte.

Auch FDP und Linke attackieren Grüne

Daraufhin verfassten FDP-Chef Christian Lindner und der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch in einer fast einmaligen Allianz einen Aufruf zur stärkeren Einbindung des Parlaments und gingen die Grünen dabei frontal an: "Dass die Grünen als Oppositionsfraktion hier nicht konsequent für die Rechte des Parlaments eintreten, schmerzt", schrieben Lindner und Bartsch.

Der Hinweis der Grünen, dass weder FDP noch Linke eine Sondersitzung formal beantragt hätten, ging im Getöse unter. Auch ein "Welt"-Interview der Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt mit dem Titel "Wir sind die Bodyguards der Vernunft" konnte nur noch  Schaden begrenzen.

Die Grünen stecken im Bundeswahljahr in einem Dilemma: Die Corona-Politik tragen sie in elf Länderregierungen mit, allzu laute Kritik an der Bundesregierung wirkt da schnell plump. Dass man trotz Pandemie in den Umfragen kaum Federn gelassen hat, deuten viele Grüne als Erfolg und Zustimmung zu ihrem bisherigen kooperativen Kurs.

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Gleichzeitig will die Partei den Eindruck vermeiden, zu nahe an die Union zu rücken. Die Basis und der linke Flügel wünschen sich ein Bündnis mit SPD und Linken. Auch im Bundesvorstand gibt es immer wieder Diskussionen und die Forderung, man solle nach außen offensiver ein linkes Bündnis bewerben. Und so scheint es, als ändere die Parteispitze inzwischen vorsichtig den Tonfall.

Auf einer Pressekonferenz zur Corona-Politik am Montag beschrieb Annalena Baerbock die eigene Oppositionsrolle als "konstruktiv und kritisch" in der Sache. Dann bilanzierte sie die Pandemie-Politik der Regierung seit dem ersten Corona-Fall in Deutschland vor fast genau einem Jahr: Wenn die Bundesregierung vorausschauend hätte handeln und aktiv werden müssen, sei sie "immer wieder auf Sicht gefahren", sagte sie und weiter: "Dieses Prinzip darf es jetzt einfach so nicht weiter geben." Für Baerbocks Verhältnisse war das schon fast eine Attacke.

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