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Annalena Baerbock und Robert Habeck attend a two-day party congress of the German Green party in Bielefeld, western Germany on November 16, 2019. (Photo by )

© INA FASSBENDER / AFP

Höhenflug von Habeck und Baerbock: Die Grünen müssen jetzt ihre Kuschelphase beenden

Den sensationellen Erfolgen zum Trotz – Habeck und Baerbock haben die eigentliche Arbeit noch vor sich: Die Grünen regierungsfähig zu machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Georg Ismar

Eines haben Robert Habeck und Olaf Scholz gemeinsam: Sie reden derzeit viel über Frauen. Der Grünen-Chef dürfte dabei auch seine Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur im Blick haben, der Vizekanzler seine Ambitionen auf den SPD-Vorsitz, der automatisch für ihn die Kanzlerkandidatur bedeuten dürfte.

Bei beiden Parteien sortiert sich gerade einiges, während ausgerechnet die bisherige Kanzlerin-Partei immer unsortierter erscheint. CDU und CSU haben in Sachen K-Frage eine offene Frage – je nachdem wie das ausgeht, könnten Grüne und SPD mit ihren Kandidat(inn)en bei der nächsten Bundestagswahl profitieren.

Habeck hat in seiner Rede beim Parteitag in Bielefeld reihenweise das Wirken von Frauen gelobt oder diese zitiert, von einer DDR-Bürgerrechtlerin über Petra Kelly, Angela Merkel bis zu Greta Thunberg.

Dazu lobt er das Eintreten für politische Ideale gegen viele Widerstände bei Willy Brandt und Helmut Kohl. Nicht wenige haben die Rede als Kandidatur-Bewerbung verstanden, als Angebot auch an das Lager der Unterstützer seiner Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock.

Noch geben sich beide bedeckt, wie sie sich aufstellen wollen. Beide wurden mit sensationellen Ergebnissen im Amt bestätigt, Baerbock mit 97,1 und Habeck mit 90,4 Prozent – ein Fingerzeig für die K-Frage lässt sich daraus kaum ablesen. Beide haben die Partei geeint wie selten, Mitgliederzuwächse, Wahlerfolge. Die eigentliche Arbeit liegt noch vor ihnen: Die Grünen regierungsfähig zu machen.

Kaum Streit, dafür grüne Wohlfühlprogramme

Bielefeld ist die meiste Zeit ein kuscheliger Parteitag. Kaum Streit, dafür grüne Wohlfühlprogramme bis hin zum recht kreativen Anspruch auf Wohnungstausch zu gleichbleibenden Konditionen als Rezept gegen hohe Aufschläge bei Neuvermietungen. Die Partei wird – auch medial – oft weniger kritisch beurteilt als ihre Mitbewerber.

Sie bedient vor allem ein Großstadtgefühl. Doch so locker, radikal und hip, wie die Grünen sich gerne geben, sind sie nicht. Eher angespannt, ob der Höhenflug hält, ob sie der nächsten Bundesregierung angehören werden.

Habeck und Baerbock haben erkannt, dass die Politik der Grünen von nicht wenigen Bürgern als spalterisch verstanden wird. Sie rufen zu mehr Toleranz für das Gegenargument auf, für eine sozial-ökologische Politik, die niemanden zurücklässt.

Die Grünen – noch immer Klientelpartei

Viele Bauern, Stahlarbeiter und Pendler verbinden mehr Angst als Hoffnung mit der Partei – die AfD nutzt das aus. Nicht von ungefähr positionieren sich Union und SPD als Anwälte der Landbevölkerung, die mit einer höheren Pendlerpauschale Sicherheit bieten wollen gegen Klimaschutzkosten, während die Grünen Autos mit Verbrennungsmotoren rasch abschaffen wollen.

Die Grünen sind für viele immer noch eine Klientelpartei, keine Volkspartei, die alle im Blick hat. Unbestritten sind die Verdienste – aber ihre Zukunftskonzepte, ihre Industriepolitik und Drohungen mit dem Ordnungsrecht müssen kritisch hinterfragt werden.

Nicht alles riskieren

Habeck spricht vom Vertrauensvorschuss, vom nahenden Ende der Ära Merkel, von der Bedrohung der Demokratie. Die Grünen wollen regieren und gestalten.

Mehr wagen, um nicht alles zu riskieren, lautet ihr Motto. Um regieren zu können, müssen sie tatsächlich mehr Dialog mit denen wagen, die sich vor zu viel Revolution fürchten, um das Land nicht noch mehr zu spalten. So kuschelig wie in Bielefeld wird es für die Grünen nicht bleiben.

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