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Ausgabe von "Mein Kampf" von Adolf Hitler aus dem Jahr 1940.

© REUTERS

Hitlers "Mein Kampf": Schwere Kost - was die neue kommentierte Ausgabe bezweckt

Das Machwerk "Mein Kampf" ist schwer zu vermitteln. Warum Wissenschaftler es kommentiert herausbringen. Fragen und Antworten zum Thema.

Am heutigen Freitagmorgen präsentiert das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München die erste historisch-kritische Ausgabe von Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“. Es ist in Deutschland seit 1945 zugleich der erste legale Neudruck der einst in zwei Bänden – 1925 sowie zur Jahreswende 1926/27 – erschienenen Mischung aus Autobiografie und Propagandaschrift des damals 36-/37-jährigen NS-Politikers und späteren Diktators.

Wie wird die neue Ausgabe aussehen?

Andreas Wirsching als Leiter des für seine Forschungen zum Nationalsozialismus und Holocaust international renommierten Instituts (mit Standorten in München und Berlin) wird zusammen mit seinem Historikerkollegen Christian Hartmann, Projektleiter und Mitherausgeber der Edition „Hitler, Mein Kampf“, zwei äußerlich schmucklos graue Leinenbände mit insgesamt 2000 Seiten vorstellen. Dabei wird Hitlers ursprünglich 782 Seiten umfassender Originaltext jeweils auf einer rechten Buchseite zu lesen sein, umgeben von Anmerkungen zu Textvarianten am Rand plus längeren detaillierten Erläuterungen auf der gegenüberliegenden Seite und unter dem Original.

Herausgeber Hartmann sagt, man wolle Hitlers von Lügen, sachlichen Irrtümern oder demagogischen Wahnideen durchsetzten Text gleichsam „umzingeln“: mit mehr als 3500 wissenschaftlichen Erklärungen und Richtigstellungen. Hierzu haben vier Historiker als hauptamtliche Herausgeber, zahllose wissenschaftliche Hilfskräfte und als Kommentatoren auch Naturwissenschaftler (etwa zu Hitlers antisemitischer, vulgärdarwinistischer Rassenlehre), Psychologen und Kommunikationsforscher beigetragen. Im Anhang werden darum rund 150 Mitarbeiter benannt. Für die Pressekonferenz in München hat sich das IfZ zudem der Mitwirkung des illustren britischen Historikers und Hitler-Biografen Ian Kershaw versichert.

Warum war es so lange umstritten, eine Neuausgabe herauszubringen?

Bislang war eine gedruckte Neuauflage von „Mein Kampf“ in Deutschland politisch, moralisch und juristisch tabu. 1945 hatte die amerikanische Militärverwaltung Hitlers Vermögen konfisziert. Das Erbe mitsamt dem Urheberrecht an „Mein Kampf“ trat dann der Bayerische Staat an, weil Hitler bis zu seinem Tod am 30. April 1945 im Berliner „Führerbunker“ noch in München mit seiner Privatwohnung polizeilich gemeldet war. Nach 70 Jahren ist nun seit dem 1. Januar 2016 das gesetzliche Urheberrecht erloschen, Hitlers Kampfschrift gilt insoweit als „gemeinfrei“.

Der Text ist freilich schon seit Langem vollständig oder in Auszügen im Internet verfügbar. Auch kursieren im Ausland unzählige nicht autorisierte Übersetzungen von „Mein Kampf“, und im deutschen Buchhandel sind zumindest noch antiquarische Bände des bis zum Herbst 1944 in 1031 Auflagen mit insgesamt etwa 12,4 Millionen Exemplaren gedruckten Hitler-Werks zu haben. Da diese vor Inkrafttreten des Grundgesetzes erschienen sind, gilt für ihren schieren Besitz und Weiterverkauf keine Strafbewehrung wegen verfassungswidriger Propaganda.

Gibt es nun keine rechtlichen Schranken mehr für (auch andere) Neuauflagen?

Juristen, vor allem im Auftrag der bayerischen Staatsregierung, denken hierüber nach. Für die kritisch kommentierte Ausgabe des IfZ entfällt der Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch). Für andere Verbreitungsformen ergibt sich eine juristische Grauzone. Ob ein Fall strafbarer Volksverhetzung vorliegt, müsste bei der Verwendung etwa antisemitischer oder antidemokratischer Textpassagen im konkreten Einzelfall geprüft werden.

Werden Neonazis aus der neuen Edition Kapital schlagen?

Die Erstauflage beträgt 4000 Exemplare, die beiden Bände kosten 59 Euro und bedeuten, ganz abgesehen von Hitlers teilweise schwer lesbarem, in häufigen Wiederholungen ausschweifendem Originaltext, eher harte Kost. Rechtsradikale könnten sich bei den vorhandenen Internetversionen leichter und manipulativer bedienen. Die kommentierte „Mein Kampf“-Ausgabe richtet sich vornehmlich an Historiker, Pädagogen und speziell Interessierte. Zehn Prozent der ersten Auflage übernimmt dabei schon vorab die Bundeszentrale für politische Bildung.

Was bedeutet die Veröffentlichung für den Schulunterricht?

Die kommentierte Neuausgabe sollte bundesweit im Unterricht eingesetzt werden – das haben bereits Bundesbildungsministerin Johanna Wanka und Lehrerverbände gefordert. Auch die Berliner Schulverwaltung ist dafür offen. Dem Eindruck, Hitlers Schrift sei in der Schule bisher gar nicht vorgekommen, widerspricht indes Thomas Sandkühler, Geschichtsdidaktiker an der Humboldt-Universität: „Quellenauszüge aus ‚Mein Kampf‘ gehören seit den sechziger Jahren zum Standardrepertoire des Schulgeschichtsbuchs.“ Insofern ändere sich für den Geschichtsunterricht durch die Neuausgabe erst mal nichts.

Sandkühler vermutet allerdings, dass die Auszüge bisher eher oberflächlich gelesen würden. Prinzipiell sei es richtig, wenn sich Schüler mit dem Werk befassten. So könnte beispielsweise ein kritischer Rückblick auf Hitlers Biografie im Unterricht zum Ziel haben, die autobiografischen Aussagen in „Mein Kampf“ an der tatsächlichen Lebensgeschichte zu messen. Davon, die Neuausgabe nun in langen Abschnitten lesen zu lassen, hält Sandkühler aber nichts: Das sei zeitlich nicht zu leisten und ethisch-moralisch fragwürdig. Auch Martin Lücke, Geschichtsdidaktiker an der Freien Universität, bezweifelt, ob der Einsatz der Neuausgabe wirklich sinnvoll ist. Gerade in der 9. oder 10. Klasse – wenn normalerweise der Nationalsozialismus das erste Mal im Geschichtsunterricht behandelt wird – könnte es für die Schüler „sehr anspruchsvoll“ sein, die Originalquelle und die sperrigen wissenschaftlichen Kommentare gleichzeitig zu erfassen. „Da bräuchte es eine zusätzliche didaktische Version“, sagt Lücke – auch um Lehrkräften nahezubringen, was für den Unterricht geeignete Stellen sein könnten.

Ohnehin werde die Genese des Nationalsozialismus in der Weimarer Zeit und die faschistische Ideologie schon heute umfassend thematisiert, Letzteres oft anhand von Reden Hitlers, Goebbels’ oder Himmlers: „Die NS-Ideologie lässt sich auch mit anderen Texten analysieren.“ Für Lücke ist es sogar kontraproduktiv, sich im Unterricht zu sehr auf „Mein Kampf“ zu konzentrieren. Hitler werde so zu einer „dämonischen Figur“ gemacht, wovon die Geschichtswissenschaft schon lange abgerückt sei: „Denn das verstellt den Blick auf Täter, Mitläufer und Opfer.“ Könnten Schüler durch die Lektüre von Hitlers Hetzschrift empfänglich für rechtsradikales Gedankengut werden, wie manche befürchten? Das denkt Sandkühler nicht: „Man wird nicht zum Antisemiten, weil man Antisemitismus versteht.“ Der Text sei auch als rechtsextreme Propaganda für heute nur schwer zu vermitteln.

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