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Bittere Ironie: Je öfter vor einem "Nie wieder!" gewarnt wird, desto schneller verhallt das Echo der Warnung. Eine junge Jüdin geht durchs ehemalige Vernichtungslager Majdanek.

© picture-alliance/dpa

Hitler, Goebbels, Nazis: Warum sich historische Analogien abnutzen

Alles Nazis außer Mutti? Wer den Gegner durch Vergleiche dämonisiert, bagatellisiert die Geschichte. Die Wucht der Mahnung wird durch ständige Wiederholung minimiert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Vor 35 Jahren erschien im jüdisch-arabischen Monatsmagazin „New Outlook“ ein Artikel, der bis heute heftige Emotionen auslöst. Sein Verfasser, Boaz Evron, dessen Familie seit dem frühen 19. Jahrhundert in Israel lebt und der selbst 1927 in Jerusalem geboren wurde, steht politisch ziemlich weit links. Als Journalist hat Evron mehr als drei Jahrzehnte lang für die Tageszeitungen „Ha’aretz“ und „Yediot Aharonot“ gearbeitet. Sein Essay aus dem Jahre 1980 trägt den Titel „Holocaust: The Uses of Disaster“.

Evron beschreibt mit zum Teil drastischen Formulierungen, welche Funktionen der Holocaust in der offiziellen israelischen Rhetorik einnimmt. Vielfach seien die Referenzen „unhistorisch, mythologisch, ja mystisch“ – die Juden als zeitlose Opfer einer ewig antisemitischen Welt, Israel als permanent bedrohtes, doch einzig sicheres Refugium. Das Aushalten dieses Widerspruchs sei nationale Pflicht: „Israel als Fels in der Brandung, als Versicherung gegen alle künftigen Gefahren, und Israel als ständig mit Auslöschung bedrohte staatliche Entität“.

Eine solche Rhetorik, schreibt Evron weiter, habe sich zwar kurzfristig als sehr erfolgreich erwiesen, nutze sich langfristig aber ab. Immer weniger Menschen erinnerten sich an den Holocaust oder empfänden Schuld, ihn damals nicht verhindert zu haben. Es werde ein harter Tag für Israel, sich in der wirklichen Welt zu bewähren, wenn es seinen „moralischen Kredit“ aufgebraucht habe.

Netanjahu konnte Iran-Abkommen nicht verhindern

Nutzen sich Holocaust-Analogien ab? Die Niederlage Israels bei dem Versuch, das Atomabkommen mit dem Iran zu verhindern, ist ein Beispiel dafür. Jahrelang und mit steigender Intensität hatte Benjamin Netanjahu den Iran mit dem NS-Regime verglichen und der Staatengemeinschaft Appeasement vorgeworfen. Am Holocaust-Gedenktag (Jom ha Shoah) im April diesen Jahres sagte er: „Die Nazis haben versucht, die Zivilisation zu zerstören und als Herrenrasse die ganze Welt zu beherrschen, während sie das jüdische Volk auslöschten. Auf dieselbe Weise will der Iran die Region kontrollieren und seinen Einfluss ausdehnen – mit der erklärten Absicht, den jüdischen Staat zu zerstören.“

Ähnlich historisch aufgeladen sprach Netanjahu vor den Vereinten Nationen und dem amerikanischen Kongress. Verhindern konnte er das Abkommen nicht. Selbst in Deutschland prallten seine Vergleiche ab. Ein Novum.

Das Muster wiederholte sich im Streit über die Kennzeichnungspflicht von Produkten aus israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten. Trotz vehementer Proteste – der frühere Außenminister Avigdor Lieberman erinnerte an den gelben Stern, den Juden zur Zwangskennzeichnung im „Dritten Reich“ tragen mussten – blieb die EU-Kommission bei ihrem Beschluss. Auch in Brüssel sind die Felle offenbar dicker geworden. Und wenn ein Günter Grass ein antisemitisches Gedicht verfasst, wird das in Nachrufen allenfalls als Fußnote vermerkt.

Nicht allein Israel erfährt den Abnutzungseffekt historischer Analogien. Als Helmut Kohl einst Michail Gorbatschow mit Joseph Goebbels verglich, stand die Republik noch Kopf. Nachdem Herta Däubler-Gmelin Bush und Hitler in einem Atemzug genannt hatte, musste sie zurücktreten. Doch längst ist das Vergleichen epidemisch geworden – und bleibt deshalb meist sanktionslos.

Bei „Seinfeld“ wird über einen „Soup Nazi“ gespottet

Joschka Fischer berief sich auf Auschwitz, um die Grünen für den Kosovokrieg zu gewinnen. Bei „Seinfeld“ wird über einen „Soup Nazi“ gespottet, weil er unfreundlich zu seinen Kunden ist. Pegida-Chef Lutz Bachmann rückt Justizminister Heiko Maas in die Nähe von Goebbels. Die „Monitor“-Redaktion kontert und stellt Zitate von Goebbels neben solche von Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke. Eine Inflation.

So erklärt sich der Abnutzungseffekt von Holocaust-Analogien: Wer eine Ähnlichkeit zwischen A und B konstatiert, will A dämonisieren, bagatellisiert aber gleichzeitig B. Denn wenn A Ähnlichkeiten zu B aufweist, gilt umgekehrt, dass B Ähnlichkeiten zu A hat. Wer behauptet, Bush sei wie Hitler, dämonisiert Bush und bagatellisiert Hitler, weil der ja dann nur als eine Art Bush begriffen werden muss. Je öfter also Hitler, Goebbels, die Nazis und der Holocaust als Vergleichsgrößen herangezogen werden, desto stärker bröckelt ihre historische Bedeutung.

Das ist fürwahr eine Ironie der Geschichte, dass selbst aufrechte Antifaschisten, die beständig vor einer Rückkehr der dunklen Epochen mahnen, die Wucht ihrer Mahnungen allein durch Wiederholung minimieren. Es ist eine bittere Ironie.

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