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US-Präsident Joe Biden während eines Pressestatements zum Abtreibungsrecht.

© REUTERS/Elizabeth Frantz

Update

Historische Entscheidung in den USA: Biden nennt Abtreibungsurteil „tragischen Fehler“

Der Supreme Court hat das US-Abtreibungsrecht gekippt. Welche Folgen das für die USA haben könnte und wie die Öffentlichkeit reagiert.

Der Oberste Gerichtshof der USA hat mit einer wegweisenden Entscheidung das liberale Abtreibungsrecht des Landes gekippt. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court in Washington machte am Freitag damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei - bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten. Damit ist das aktuelle Recht auf Abtreibung in den Vereinigten Staaten nach fast einem halben Jahrhundert Geschichte.

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„Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Entscheidung ist keine Überraschung: Anfang Mai hatte das Magazin „Politico“ einen Entwurf dazu veröffentlicht. Daraus ging bereits hervor, dass das Gericht so entscheiden will. Daraufhin gab es einen Aufschrei von Frauenrechtsorganisationen, Kliniken und Liberalen. Das Urteil ist nun so drastisch wie erwartet.

Ein weiteres Urteil von 1992, Planned Parenthood v. Casey, bestärkte die Rechtsprechung und passte sie etwas an. Der Supreme Court hat diese Entscheidungen nun gekippt. Ein Gesetzentwurf der Demokraten für ein Recht auf Abtreibung auf Bundesebene war Mitte Mai im Senat gescheitert.

Nach der Entscheidung ist es vor dem Gerichtsgebäude in Washington zu Protesten gekommen. Dort hatten sich zuvor schon Gegner und Befürworter versammelt. Auch in anderen Städten des Landes werden Proteste erwartet. Die Stimmung war bereits aufgeheizt, nachdem vor rund zwei Monaten ein Entwurf der Entscheidung öffentlich wurde.

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Was hat der Supreme Court entschieden?

Der Gerichtshof hob mit der Mehrheit seiner konservativen Richter das seit fast 50 Jahren geltende Grundsatzurteil "Roe v. Wade" auf. Der Supreme Court hatte 1973 in einer bahnbrechenden Entscheidung ein verfassungsmäßiges Grundrecht auf Abtreibungen verankert und damit landesweit Schwangerschaftsabbrüche legalisiert. Als Richtlinie galt seitdem, dass Schwangerschaftsabbrüche so lange erlaubt sind, bis der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre. Das ist in der Regel etwa ab der 24. Schwangerschaftswoche der Fall.

Das ist ein deutlich größeres Zeitfenster als in vielen anderen Staaten. In Deutschland etwa sind Schwangerschaftsabbrüche nach einer Beratung bis zu zwölf Wochen nach Empfängnis straffrei.

Warum wurde "Roe v. Wade" jetzt aufgehoben?

Konservative Politiker und Aktivisten kämpfen schon seit Jahrzehnten gegen das Grundsatzurteil an. Ihre Erfolgschancen stiegen, als der damalige Präsident Donald Trump in seiner Amtszeit drei neue Verfassungsrichter nominieren konnte. Seitdem stellen am Supreme Court konservative Juristen eine klare Mehrheit von sechs der insgesamt neun Richter.

Trump hatte schon im Wahlkampf 2016 angekündigt, er werde Verfassungsrichter nominieren, die sich für ein Ende von "Roe v. Wade" einsetzen würden. Er wollte sich damit insbesondere die Wählerstimmen konservativer Christen sichern, die ihm lange skeptisch gegenüberstanden.

Konkret hob der Gerichtshof "Roe v. Wade" nun im Rechtsstreit über ein Abtreibungsgesetz aus dem Südstaat Mississippi auf, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche verbietet. Die Entscheidung kommt nicht völlig überraschend: Bereits Anfang Mai war ein Urteilsentwurf öffentlich geworden.

Der britische Premierminister Boris Johnson hat die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in den USA zum Abtreibungsrecht als „großen Rückschritt“ bezeichnet. Er sei immer schon der Ansicht, dass die Entscheidung bei den Frauen liegen müsse, sagte Johnson am Freitag bei einem Besuch in Ruanda.

Was sind die Folgen der Gerichtsentscheidung?

Mit dem Ende von "Roe" gibt es kein landesweites Recht auf Abtreibungen mehr, denn das Thema ist in keinem Bundesgesetz geregelt. Damit haben die Bundesstaaten freie Hand, Abtreibungen zu verbieten oder stark einzuschränken.

Missouri hat als erster US-Bundesstaat direkt nach dem Urteil Abtreibungen verboten. "Missouri ist seit gerade eben der Erste im Land, der Abtreibungen wirksam ein Ende setzt", erklärte der Justizminister des Staates im Mittleren Westen, Eric Schmitt, am Freitag auf Twitter.

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In South Dakota trat nach Angaben der konservativen Gouverneurin Kristi Noem ein bereits vorbereitetes Gesetz in Kraft. Der Gouverneur von Indiana, Eric Holcomb, berief für den 6. Juli das Parlament des Bundesstaats ein, um ein Abtreibungsverbot zu beschließen.

Nach Angaben des Guttmacher Institute dürften 26 und damit etwa die Hälfte der 50 Bundesstaaten diesen Weg wählen. 13 dieser konservativ geführten Bundesstaaten haben entsprechende Gesetze bereits vorbereitet, sie würden bei einer Aufhebung von "Roe" nahezu automatisch in Kraft treten.

Dagegen wollen die von den Demokraten von Präsident Joe Biden regierten Bundesstaaten am Recht auf Schwangerschaftsabbrüche festhalten. Viele Frauen könnten damit künftig gezwungen sein, in andere Bundesstaaten zu reisen, wenn sie eine Abtreibung vornehmen lassen wollen. Für viele dürfte das unter anderem aus finanziellen Gründen sehr schwierig werden.

Die Vereinten Nationen haben nach dem Urteil auf die Gesundheitsrisiken für Frauen hingewiesen. "Daten zeigen, dass die Einschränkung des Zugangs zur Abtreibung die Menschen nicht davon abhält, eine Abtreibung durchzuführen - sie macht sie nur tödliche", teilte der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen am Freitag mit.

Kanadas liberaler Premier Justin Trudeau hat sich entsetzt über die Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofes gegen das liberale Abtreibungsrecht geäußert. „Keine Regierung, kein Politiker oder Mann sollte einer Frau sagen, was sie mit ihrem Körper machen kann und was nicht“, schrieb Trudeau am Freitag auf Twitter und versicherte kanadischen Frauen, für ihr Recht auf Abtreibungen einzustehen. Die Nachrichten aus dem Nachbarland USA seien „erschreckend“.

Was sind die politischen Auswirkungen?

Das Abtreibungsrecht ist eines der umstrittensten gesellschaftspolitischen Themen in den USA. Es dürfte nach dem Supreme-Court-Urteil eine wichtige Rolle im Wahlkampf für die Kongress-Zwischenwahlen im November einnehmen. Die auf eine schwere Wahlschlappe zusteuernden Demokraten werden versuchen, mit einem Kampf für das Abtreibungsrecht Wähler zu mobilisieren.

Eine Demonstration für das Recht auf Abtreibung vor dem Supreme Court.
Eine Demonstration für das Recht auf Abtreibung vor dem Supreme Court.

© AFP/Mandel Ngan

US-Präsident Joe Biden hat die historische Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegen das liberale Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten als "tragischen Fehler" bezeichnet. "Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs", sagte Biden am Freitag in Washington.

Biden hat in den vergangenen Wochen bereits wiederholt dazu aufgerufen, im November für Kandidaten zu stimmen, die sich für das Recht auf Abtreibungen einsetzen. Nur dann könne das bislang durch "Roe v. Wade" garantierte Recht auf Schwangerschaftsabbrüche künftig in einem Bundesgesetz verankert werden.

Allerdings gibt es starke Zweifel daran, dass das Abtreibungsrecht eine wahlentscheidende Rolle spielen wird. Andere Themen - insbesondere die hohe Inflation und andere wirtschaftliche Probleme - dürften größeres Gewicht haben.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat die Entscheidung des Supreme Court, das landesweite Recht auf Abtreibung zu kippen, als Entscheidung Gottes gefeiert. "Gott hat das entschieden", sagte der 76-Jährige am Freitag dem Sender Fox News. Der Schritt stehe im Einklang mit der Verfassung und hätte schon "vor langer Zeit" geschehen sollen.

Wie reagiert Deutschland auf das Urteil?

Deutsche Politiker haben entsetzt auf die Entscheidung reagiert. "Das ist ein Rückschlag für Frauen weltweit", sagte die erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. "Niemals dürfen wir zulassen, dass aus grundlegenden Frauenrechten ein vermeintlich politischer Kulturkampf wird. " Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen weltweit sei "unantastbar".

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat sich "fassungslos" über das Urteil des Obersten US-Gerichts geäußert, das nach Jahrzehnten das liberale Abtreibungsrecht in Amerika kippt. Die Grünen-Politikerin schrieb am Freitag auf Twitter von einer schockierenden Nachricht.

Auch aus Sicht der Grünen-Spitze ist das Grundsatzurteil zu Abtreibungen ein herber Rückschlag für Frauenrechte und Selbstbestimmung. "Damit wird in den USA die Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper zum ideologischen Spielball", sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang in Berlin.

Der erste parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, nannte die US-Entscheidung "furchtbar". Sie zeige, dass eine liberale und selbstbestimmte Gesellschaft immer wieder neu politisch erkämpft werden müsse, schrieb er auf Twitter. Freiheit und Fortschritt seien nie selbstverständlich.

Mast wie Vogel verwiesen darauf, dass der Bundestag am selben Tag beschlossen hatte, das Werbeverbot für Abtreibungen des Strafrechtsparagrafen 219a abzuschaffen. Praxen und Kliniken war dadurch etwa untersagt, ausführlich über unterschiedliche Methoden der Abtreibung zu informieren. (dpa, Reuters, AFP)

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