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Einer, der sich aufgemacht hat.

© Marius Becker/dpa

Historisch niedrige Wahlbeteiligung in NRW: 55,5 Prozent sind eine Mahnung für Politik – und Bürger

Während in der Ukraine für Demokratie gestorben wird, verschwendete in NRW fast die Hälfte der Wahlberechtigten ihr demokratisches Grundrecht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Es ist eine seltsame Parallelität: Seit Wochen wird unentwegt betont, dass im blutigen Krieg in der Ukraine die Demokratie, und zwar auch die hiesige, verteidigt werde, dass dort gleichsam ein Urkampf stattfinde, und Deutschland sich deshalb manifest engagieren müsse – und dann findet im größten deutschen Bundesland eine Wahl statt, und es wird die niedrigste Wahlbeteiligung verzeichnet, die es dort je gab.

In der Ukraine also so viele Menschen, die für eine demokratische Staatsform Leib und Leben zu opfern bereit sind – und hier so viele Menschen, die ihr völlig risikofreies Recht darauf verschwenden.

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Die niedrige Wahlbeteiligung – sie lag bei 55,5 Prozent – müsse alle demokratischen Parteien besorgen, sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Montag. In der Tat. Umso mehr, als die Zahl eine starke soziale Komponente hat. Sie ist grob auf die Formel zu bringen, dass das Desinteresse an der Demokratiebeteiligung steigt, je niedriger die sozioökonomischen Faktoren der Wahlkreise sind.

Hier Köln II, da Duisburg III - zwei Welten

So stimmten im bürgerlich-altstudentisch geprägten Wahlkreis Köln II 68,8 Prozent ab, im eher durch prekäre Lebensverhältnisse charakterisierten Kreis Duisburg III nur 38,1 Prozent. Die Status-Wahlbeteiligung-Korrelation ist kein neues Phänomen, aber wie bei allen schleichenden Entwicklungen besteht auch hier das Risiko, dass der Punkt übersehen wird, an dem es kritisch wird.

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Generell besteht natürlich Einmütigkeit, dass Bildung und Status als Wahlfaktoren nicht hinnehmbar sind, weil das Demokratie von unten erodieren ließe. Sie würde zu einer Elitenveranstaltung und im Gefahrenfall könnten sich nicht genug Menschen finden, die sie verteidigen wollen.

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Was genau die Menschen am vergangenen Sonntag vom Gang in die NRW-Wahllokale abgehalten hat, ist noch nicht ausgeforscht. Maue Themen, schönes Wetter, kein Bock? Der Politologe Klaus Schubert von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sieht eher ein Mobilisierungsdefizit und keine allgemeine Wahlmüdigkeit. Das würde den deutlichen Beteiligungsabfall gegenüber der Landtagswahl von 2017 erklären, bei der sich noch 65,2 Prozent der Wahlberechtigten die Mühe gemacht hatten, ihr Stimmrecht auch auszuüben.

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Die Parteien könnten sich so gesehen aufgefordert fühlen, künftig mehr Mühe in die Auswahl ihrer Kandidaten und der Themenpräsentation zu stecken – ohne darum gleich auf Krawall zu setzen, was erfahrungsgemäß auch nur abschreckt.

Aber auch die Bürgerinnen und Bürger können sich aufgefordert fühlen, Demokratie nicht ausschließlich als Recht zu sehen, das sie eben haben, sondern auch als Verpflichtung. Denn aus der vertrauensvollen Einstellung „Das wird schon auch ohne mit gutgehen“ kann auch eine fatale Trägheit der Massen werden.

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