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Grünen-Politiker Özcan Mutlu.

© Thilo Rückeis

Update

Hetze im Internet: Wenn "Du Volksverräter" straflos bleibt

"Kümmeltürken" und "Moslem-Scheiß" - der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu kassiert jede Menge Hass. Doch die Ermittlungsverfahren werden überwiegend eingestellt.

Von Matthias Meisner

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu traut dem Bundesjustizminister nicht. Eben hat Heiko Maas im Interview mit der "Jüdischen Allgemeinen" noch einmal einen seiner Lieblingssätze bekräftigt: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum." Der SPD-Politiker schwärmte von seiner gemeinsam mit Facebook, Google und Twitter eingerichteten Taskforce gegen Hasskriminalität im Netz. Und sagte, dass er erwarte, dass schon bald "deutlich mehr" strafbare Inhalte gelöscht werden. Er versicherte: "Es gibt mittlerweile regelmäßig Verurteilungen wegen Volksverhetzung oder der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten. Das sollte allen eine Warnung sein."

Mutlu will das alles nicht so richtig glauben - weil er ganz andere Erfahrungen gemacht hat. Der türkischstämmige Berliner Bundestagsabgeordnete ist selbst regelmäßig Ziel von Hass im Netz, auf Facebook und auf Twitter. Nachdem Anfang Juni der Bundestag die Resolution beschloss, in der die Verbrechen an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs trotz heftiger Proteste Ankaras zum Völkermord erklärt wurden, entlud sich eine Welle von Schmähkritik und Bedrohungen gegen ihn und seine türkischstämmigen Kolleginnen und Kollegen, außer in den sozialen Medien auch in hunderten von E-Mails und Briefen.

Das Netz hat offenbar neue Konfliktherde und neue Arten von Kriminalität hervorgebracht. Bisher hat die staatliche Sicherheit noch nicht oder zu wenig darauf reagiert. Das muss sich ändern.

schreibt NutzerIn Gophi

Mutlu erreichten Kommentare wie "Du Schwein", "Vaterlandsverräter", "Arschloch", "Armenisch Hund", "türkische Sackratte" oder "Multikultiabschaum". Es gab Morddrohungen, auch Familienmitglieder des Grünen-Politikers wurden verbal attackiert. So heftig wurden die Attacken, dass Mutlu für mehrere Wochen seinen Facebook-Account abschaltete.

In mehr als 30 Fällen erstattete Mutlu über die Bundestagspolizei eine Strafanzeige. Er sah sich bedroht, beleidigt, verunglimpft und verleumdet. 21 Verfahren wurden eingestellt, viele der Bescheide kamen von ein und derselben Berliner Staatsanwältin. Mehrere Verfahren sind noch anhängig. Seit Frühjahr kam es in keinem einzigen Fall zu einer Anklage oder gar zu einer Verurteilung, wie der Politiker berichtet. Eine Anfrage des Tagesspiegels zu den Vorwürfen von Mutlu ließ die Berliner Staatsanwaltschaft am Freitag zunächst unbeantwortet.

Özcan Mutlu sagt: "Herr Maas hat gut reden. Er lobt immer lang und breit die Kooperation mit Facebook. Aber es hat sich praktisch kaum etwas geändert: Hasskommentare werden weiter verbreitet, Menschen erniedrigt und beleidigt. Mit einer Task Force ist es nicht getan. Den warmen Worten des Ministers müssen Taten folgen. Müssen wir denn warten, bis die ersten morden, bevor wir aktiv werden?"

Die Begründungen für die Einstellung der Ermittlungen sind unterschiedlich. In vielen Fällen sind sie für Mutlu nicht nachvollziehbar. Mal wurden die Täter nicht gefunden, beispielsweise Arif Y., der im Juni nach der Armenien-Abstimmung im Bundestag auf Facebook gepostet hatte: "Hoffentlich verfüttern sie deine Leiche an Hunde, (...) du Volksverräter." Eingestellt wurde auch das Ermittlungsverfahren gegen Turgay Y. Die Ermittler kamen ihm zwar auf die Spur. Y. behauptete aber, zwei seiner Facebook-Accounts seien gehackt worden. Die Staatsanwaltschaft Berlin sah keine Möglichkeit, dies zu widerlegen.

Schwierige Zusammenarbeit mit Twitter

Schwierig gestaltet sich offenbar auch die Zusammenarbeit mit dem Kurznachrichtendienst Twitter, wo viele Hass und Beschimpfungen unter Decknamen freien Lauf lassen. "Eine Anfrage nach den Nutzerdaten bei dem sozialen Netzwerk erscheint nicht Erfolg versprechend, da eine Authentifizierung des Namens und der Adresse des Nutzers durch das soziale Netzwerk Zwitter (sic!) nicht erfolgt", heißt es in einem Einstellungsbescheid.

Merkwürdig erscheint Özcan Mutlu auch der Fall Emre T.: Im Juni hatte der Grüne den in der Türkei verfolgten Journalisten Can Dündar in seinem Bundestagsbüro empfangen, anschließend ein Foto gepostet. "Zwei ehrlose Bastarde", kommentierte T. den Eintrag auf türkisch. Die Staatsanwaltschaft teilte Mutlu mit, dass das Verfahren gegen T. "zurzeit nicht fortgesetzt werden kann da für den Beschuldigten kein Aufenthaltsort im Bundesgebiet bekannt ist". Dabei hatte T. für die mit der türkischen AKP verbandelte Big-Partei sogar bei der Bundestagswahl 2013 kandidiert. Als Wohnsitz gibt er auf seiner Facebook-Seite Berlin an.

Besonders übel stoßen Mutlu die Fälle auf, in denen Beschimpfungen von den Ermittlern nicht als strafbar angesehen wurden. Beispiel Harald E.: Im März hatte Mutlu in einem Gastkommentar im Tagesspiegel mehr Demokratiebildung, unter anderem gegen AfD und Pegida gefordert. E. schrieb dem Bundestagsabgeordneten danach eine E-Mail, schimpfte über "Kümmeltürken" und "Moslem-Scheiß". Jeder fünfte Türke in Deutschland sei "Nutznießer unserer Sozialsysteme, ist also zu faul zum Arbeiten oder zu blöd". Mutlu möge wieder in sein "Moslemland" verschwinden, "langsam reicht es jeder Arsch hat hier in Deutschland was zu melden".

Die Staatsanwaltschaft sah weder eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung noch wegen Beleidigung noch wegen Bedrohung und auch keinen Angriff auf die Menschenwürde. Die angezeigten Äußerungen seien "noch vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit" gedeckt, heißt es im Einstellungsbescheid.

Mutlus Erfahrungen sind durchaus typisch. Ende November war eine Statistik des Bundesamtes für Justiz veröffentlicht geworden, wonach die rechtsextreme und ausländerfeindliche Hetze im Netz im vergangenen Jahr erheblich zugenommen hat. Etwa 9400 Verfahren mussten der Statistik zufolge 2015 eingestellt werden, weil kein Täter zu finden war - ein Anstieg um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr.

"Erschießt die Niggerschweine", hieß es bei Pegida

Aber auch wenn die Täter ermittelt werden, kommt es in vielen Fällen nicht zu einer Anklage, wie zwei aktuelle Beispiele aus Dresden zeigen. Ein Bürger aus Frankfurt am Main hatte mehrere Anzeigen wegen Volksverhetzung erstattet, nachdem Pegida im August 2015 auf seiner Facebook-Seite ein Video über eine Razzia gegen Fälscher und illegale Straßenhändler im spanischen Salou eingestellt hatte.

Ein Anhänger der fremdenfeindlichen Bewegung postete dazu den Kommentar: "Erschießt doch einfach diese Niggerschweine". Die Szene, in der ein Senegalese wegen der Razzia aus dem dritten Stock ins Meer springt, kommentierte ein anderer mit den Worten: "Ratten ab ins Meer". Beide Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft Dresden nach monatelangen Ermittlungen ein. Zur Begründung hieß es, das Video richte sich gegen Senegalesen in Spanien. Ein Bezug zu Deutschland oder zur deutschen Bevölkerung sei nicht herstellbar "und der innere Friede in Deutschland auch nicht angegriffen und verletzt". Die Einstellungsbescheide der Dresdner Staatsanwaltschaft liegen dem Tagesspiegel vor.

Özcan Mutlu will demnächst in zwei exemplarischen Fällen Beschwerde gegen die Einstellung der von ihm in Berlin angestrengten Verfahren einlegen und hat über einen Anwalt Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft beantragt. "Ich will wissen, was die genau gemacht haben." Womöglich, glaubt der Grünen-Politiker, werde eine Task Force wirklich gebraucht - bei den Ermittlungsbehörden. Diese brauchten spezielle Einheiten, die sich auf Hassmails und soziale Medien konzentrieren, fordert er. "Das müssen IT-Experten sein und nicht nur Juristen."

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