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Jugendliche umringen die Kanzlerkandidatin für ein Erinnerungsfoto.

© Julian Stratenschulte/dpa

Heimatdorf der Grünen-Kanzlerkandidatin: Zurück zu Baerbocks Wurzeln

Bei einem Wahlkampfauftritt in Pattensen tauchen Baerbocks alte Weggefährten auf. Hat jemand damit gerechnet, was aus ihr wird? Eine Spurensuche.

In der Straße, in der Annalena Baerbock früher viel Zeit verbracht hat, scheint die Sonne. Es gibt Altbauten und Kindergärten, Wahlplakate der Grünen hängen ganz unten an den Laternenpfählen, die der SPD ganz oben. Dazwischen prangen einige von der FDP und den Piraten. Nur CDU-Plakate sind keine zu sehen.

Hier im Süden von Hannover liegt das Gymnasium, an dem die Grünen-Vorsitzende im Jahr 2000 ihr Abitur gemacht hat. Ein 60er-Jahre-Bau mit schwarzen Klebevögeln an den Scheiben. Baerbocks ehemalige Politiklehrerin hat in einem Interview gesagt, dass die Kanzlerkandidatin in ihrem Unterricht zwischen „Shakespeare und Marx“ sozialisiert wurde. Und dass sie damals besonders die Mädchen dazu aufgefordert habe, ihre eigene Meinung zu bilden. Es hat gewirkt.

Nun steht diese ehemalige Schülerin 21 Jahre später, an einem Samstagmittag, auf dem Opernplatz im Zentrum von Hannover und will die erste Grünen-Bundeskanzlerin werden. Es ist ihr siebter Wahlkampfauftritt. Am Abend folgt ein weiterer, der soll ein richtiges Heimspiel werden: auf dem Schützenplatz in Pattensen, wenige Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt. 

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In ihrem Buch beschreibt Baerbock, wie sie sich nach dem Unterricht immer tierisch beeilen musste, um den Bus in ihr Heimatdorf zu erwischen. Schulenburg ist ein Ortsteil von Pattensen und der Bus dahin fährt nur einmal in der Stunde, am Wochenende sogar noch seltener.

Dafür ist es, wenn man erstmal angekommen ist, sehr schön. Schulenburg wirkt, ebenso wie Hannover-Linden, da wo Baerbock früher zur Schule ging, wie ein Ort, an dem es den Menschen gut geht. Aber nicht auf die dekadente Art. Es gibt Rotklinker und alte Mauern mit Moos und vor den Einfahrten stehen Neuwagen. Die mobilen Daten funktionieren einwandfrei.

Der ehemalige Bürgermeister, Günther Griebe, sagt, dass hier sehr viele Familien wohnen, die aus Hannover oder Hildesheim zugezogen sind. Landflüchtige Kosmopoliten sozusagen. Baerbocks Eltern kamen 1985 mit ihr und den beiden Geschwistern. Da war Baerbock fünf Jahre alt. Sie bezogen das alte Müllerhaus zusammen mit Tante und Onkel und zwei Cousinen.

Schulenburg ist ein Ort, den man mit Erreichen der Volljährigkeit besser verlässt

Das klingt zwar nach einer lässigen WG-Kindheit, trotzdem ist Schulenburg wohl ein Ort, den man mit Erreichen der Volljährigkeit besser verlässt, um dann Erfahrungen zumachen, die nicht davon bestimmt sind, wann der Bus fährt.

Dafür hat sich Baerbock auch entschieden. Nach dem Abitur zog sie nach Hamburg zum Studieren, danach folgten Stationen in London und Brüssel, mittlerweile lebt sie mit ihrer Familie in Potsdam. Aber ihre Eltern wohnen noch in Schulenburg. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie an diesem Samstagnachmittag in einem der blühenden, grünen Gärten sitzen und darauf warten, dass ihre Tochter von den Wahlkampfauftritten nach Hause kommt. Doch bis das so weit ist, muss die sich erst noch durch die Vergangenheit schlängeln.

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Auf dem Schützenplatz, in der Nähe des Pattensener Ortskerns, haben die Grünen einen Stand errichtet. Es gibt Lippenbalsam, Kondome, Fahrradflickzeug und Pfannenwender. Letzterer gefällt Dorothee Christlieb besonders gut. Sie steckt einen in ihren kleinen, schwarzen Lederrucksack. Dann ist sie bereit für das Gespräch.

Dorothee Christlieb, 73, ist die frühere Trampolinlehrerin von Baerbock. Bei ihr hat sie von ihrem Sechsten bis 18. Lebensjahr trainiert. Erst nur einmal, irgendwann drei Mal die Woche. Mit ihr wurde Baerbock Dritte bei den deutschen Meisterschaften, insgesamt drei Mal.

„Ehrgeizig war Annalena.“

Und wenn sich die Kanzlerkandidatin nur einen Hauch der Bestimmtheit ihrer ehemaligen Trainerin abgeschaut hat, dann kann sie heute ziemlich klare Ansagen machen. Zielsicher bugsiert Christlieb zwei Hocker in eine Ecke, in der sie gerne sitzen möchte. Dort angekommen, sagt sie: „Ehrgeizig war Annalena.“

Man geht ja davon aus, dass Menschen die das Bundeskanzleramt anstreben, schon als Kinder ganz außergewöhnlich waren. Entweder, weil sie gleich drei Klassen übersprungen haben oder weil sie immer besonders einfühlsame Fragen gestellt haben oder weil sie bereits im Kindergarten die Welt retten wollten.

Christlieb widerspricht. Das könne man bei Kindern und Jugendlichen noch überhaupt nicht sagen, ob aus jemandem etwas wird oder nicht, aber der Leistungssport sei ein gutes Rüstzeug für das spätere Leben, da sei sie sich sicher.

Dass Baerbock immer Dritte beim Trampolinspringen wurde, hat sie in einer ARD-Dokumentation selber so kommentiert: „Den größten Erfolg habe ich nie geschafft. Bei mir waren es entweder die Nerven oder was kam immer dazwischen und in der Zeit, als ich so richtig gut war habe ich mir eine Woche vorher den Fuß gebrochen und dann war es aus.“

Einige im Dorf fühlen mit der Kanzlerkandidatin mit

Eine Aussage, die jetzt an Küchentischen gerne bedient wird, um zu erklären, warum Baerbock eben nicht Kanzlerin kann. Wegen der Nerven oder dem Lebenslauf oder dem Buch. Dorothee Christlieb findet das alles Quatsch. Vor großen Auftritten sei jeder aufgeregt und das mit dem Fuß sei damals halt sehr ärgerlich gewesen. Punkt.

Christlieb ist nicht die Einzige auf dem Schützenplatz, die mit Annalena Baerbock mitfühlt, wenn ihr wieder mal ein Missgeschick passiert. Also, eine Panne im Wahlkampf über die dann viel berichtet wird. Axel Oppenborn ist Inhaber der Bäckerei, bei der Annalena Baerbock während ihrer Schulzeit gejobbt hat und er findet es sehr unfair, „wenn jemand so zerrissen wird.“ Oppenborn hatte ihr damals manchmal eine Brötchenlieferung übergeben, morgens um sechs Uhr am Wochenende. Ob sie sich an ihn erinnern wird? „Vielleicht“, sagt Oppenborn.

Dann rollt ein Grünen-Tourbus vor und endlich steigt Annalena Baerbock aus. Es läuft „Juice“ von Lizzo, einer US-amerikanischen Sängerin, die dafür berühmt ist, sich für Diversität und Body Positivity in der Musikbranche einzusetzen. Die Menschen klatschen, Baerbock wird von Kameras umringt. Es dauert nicht lange, da hat Baerbock ihre alte Trainerin entdeckt. Sie lächelt, zumindest sieht das unter der Maske so aus, und dann hält sie Christlieb den Ellenbogen hin, zum Shake.

Diese beiden Pattensener könnten die Kanzlerkandidatin schon als Kind gekannt haben.
Diese beiden Pattensener könnten die Kanzlerkandidatin schon als Kind gekannt haben.

© Julian Stratenschulte/dpa

Auf der Bühne sagt Baerbock dann sehr ähnliche Sachen, die auch schon ihre Trainerin gesagt hat. Nämlich, dass sie hier in Pattensen gelernt habe, was Miteinander bedeute. Und dass das Miteinander sehr wichtig beim Trampolinspringen sei, ebenso wie Mut. Und Mut und Miteinander brauche es, um gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.

Annalena Baerbock steht in Pattensen auf dem Podium.
Annalena Baerbock steht in Pattensen auf dem Podium.

© Julian Stratenschulte/dpa

Irgendwann wendet sich die Kanzlerkandidatin einer Gruppe Jugendlicher zu, die in erster Reihe stehen. „Wir müssen dafür sorgen, dass auch in den Dörfern rundherum stündlich der Bus fährt und zwar auch am späten Abend noch, damit junge Menschen vor Ort bleiben.“ Die Gruppe nickt ganz heftig und alle klatschen dann sehr überschwänglich.

Nach der Rede stehen sie Schlange, um ein Foto mit Baerbock aufzunehmen. Die 17-Jährige Marieke sagt, dass es toll wäre, von jemandem vertreten zu werden, der ähnliche Erfahrungen gemacht habe, ihre Lebenswelt kennt. Ob hier in der Gegend viel über Frau Baerbock gesprochen werde? „Es geht“, sagt Marieke.

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Bis vor Kurzem habe sie gar nicht gewusst, dass die Kanzlerkandidatin aus Pattensen kommt. Aber es gebe Gerüchte, sagt sie und lacht. Zum Beispiel, dass Baerbock früher ziemlich unscheinbar war. Sie soll hier im Ort nicht sonderlich bekannt gewesen sein.

Als Baerbock die Autogramschlange fertig abgearbeitet hat und auch Dorothee Christlieb ein Foto mit ihr bekommen hat, senkt sich die Sonne schon leicht, sodass Pattensen ganz orange aussieht.

Umringt von BKA-Beamten steigt Baerbock in den Tourbus. Ob der sie jetzt direkt zum Elternhaus fährt und da rauslässt? Für den darauffolgenden Tag ist jedenfalls kein Wahlkampfauftritt angekündigt. Vielleicht bleibt also ein bisschen Zeit, um im Garten der Eltern kurz die Füße hochzulegen und die untergehende Sonne zu genießen.

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