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Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Freitag im Bundestag. Das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" ist sein Prestigeprojekt.

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Heiko Maas und sein Löschgesetz: Es droht das Ende der Diskussion in sozialen Netzwerken

Der Bundestag hat den umstrittenen Gesetzentwurf zum Löschen von strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken beschlossen. Die Plattformen könnten etwas von ihrem Charakter verlieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ob die Hereinnahme gleichgeschlechtlicher Paare in das Eherecht ein Schritt in die Zukunft ist oder der Vollzug von Selbstverständlichem, ist eine Frage der Perspektive. Unbestreitbar vorwärtsgewandt zeigt sich ein weiteres Vorhaben, dem der Bundestag gestern den Weg freigab. Den sozialen Netzwerken Löschpflichten für Hasskommentare aufzuerlegen, war ein Prestigeprojekt des Justizministers, das er trotz viel Kritik jetzt vollenden konnte. Erstmals sollen die Großplattformen einen Besen in die Hand nehmen und ihre virtuellen Bürgersteige kehren, auf denen sich täglich Millionen begegnen. Häuft sich der Müll, drohen Bußgelder, die auch bei einem Unternehmen mit zehn Milliarden Dollar Jahresgewinn zu Buche schlagen.

Eine saubere Sache? Jedenfalls der Absicht nach. Installiert als System grenzenlosen Dauergesprächs, bestimmen heute zunehmend Dreckschleudern den Ton. Sie wissen ihre Freiheit zu schätzen, den Schutz der Anonymität und das Dunkel ihrer Einsamkeit, aus der heraus sie der Welt ihren Ekel verkünden. Oft ein Fall für den Psychotherapeuten, manchmal leider auch für den Staatsanwalt.

Was rechtswidrig ist, ist bei Äußerungen eine Expertenfrage

Dies als unschönen Nebeneffekt einer Zuckerberg’schen Menschheitsbeglückung kleinzureden, verfehlt die Dimension. Der Ton wird schriller, die Ablehnung härter im politischen Streit, und das ist auch und nicht zuletzt jenen zuzurechnen, die mit der kollektiven Enthemmung Geld verdienen. Facebook mag andere Vorstellungen von Meinungsfreiheit haben, hierzulande gelten die Maßstäbe der deutschen Gesetze. Sie einzuhalten, ist die Pflicht der Netzwerke, sie bei Verstoß durchzusetzen die des Staates. So soll es hier auf eine Aufgabenteilung hinauslaufen. Im Prinzip sinnvoll und wohl auch nicht anders zu handhaben angesichts des Facebook-Riesenreichs, das sich nationalem Zugriff bisher entzieht.

Trotzdem besteht ein Risiko. Was rechtswidrig ist und was nicht, ist bei Äußerungen eine Expertenfrage. Während Gerichte im Zweifel für die freie Meinung votieren, dürften die Netzwerke im Zweifel löschen. Im Ergebnis kann dies Kommentare treffen, die weder bösartig gemeint waren noch zwingend so aufgefasst werden. Die damit verbundene Beschränkung wird von den Kritikern zwar übermäßig betont, da die Möglichkeiten unerschöpflich sind, im Netz und außerhalb seine Meinung kundzutun. Doch hat das virtuelle Massengeschäft eine eigene, durchaus wertvolle soziale Funktion übernommen, etwas zwischen Vernetzung und Ventil, das klassische Medien nicht leisten und das sich mit dem neuen Gesetz verändern könnte: Weniger Hass, das wohl, aber vielleicht auch weniger Diskussion und mehr Konformismus.

Hass abzuwehren, ist Aufgabe der Zivilgesellschaft

Statt sich hier vorzutasten, wählt der Gesetzgeber das Vollprogramm. Er hätte sich fürs Erste damit begnügen können, die Netzwerke zur besseren Kooperation mit Behörden und Gerichten anzuhalten, wie es nun mit der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten unternommen wird. Mit der dann zu erwartenden Zunahme an Strafen und Verfahren würden sich möglicherweise ähnliche erzieherische Effekte ergeben, wie man sie sich nun von den Regeln insgesamt erhofft.

Hass für sich genommen ist nicht strafbar. Die sozialen Netzwerke geben diesem Gemütszustand eine öffentliche Geltung, die ihm nicht zusteht. Hass abzuwehren, ist eine Aufgabe der Zivilgesellschaft. Es geht einem besser ohne Hass und im Notfall sogar ohne Facebook.

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