zum Hauptinhalt
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Andrzej Duda, Präsident der Republik Polen

© dpa/Kay Nietfeld

Update

Heikler Antrittsbesuch in Polen: Baerbock fordert Hilfe für Flüchtlinge an der Grenze zu Belarus

Die Migranten seien zu Opfern eines zynischen Spiels geworden, mahnt Außenministerin Annalena Baerbock in Polen. Es war nicht das einzige heikle Thema.

Bei ihrem Antrittsbesuch in Warschau hat die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock dazu aufgefordert, in der Region an der Grenze zu Belarus humanitäre Hilfe für Migranten zuzulassen. Deutschland stehe in voller Verantwortung und Solidarität an der Seite Polens und der baltischen Staaten angesichts des Erpressungsmanövers des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko, sagte Baerbock am Freitag nach einem Treffen mit ihrem polnischen Kollegen Zbigniew Rau.

„Wir müssen aber auch, das möchte ich deutlich sagen, sicherstellen, dass angesichts der eisigen Temperaturen im Grenzgebiet humanitäre Hilfe zur Verfügung steht, und zwar auf beiden Seiten der Grenze“, so Baerbock. Die Menschen, die zum Opfer dieses zynischen Spiels geworden seien, trügen an der Situation keine Schuld und benötigten Hilfe, sagte Baerbock weiter.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die neue deutsche Außenministerin war am Freitag von Polens Präsident Andrzej Duda empfangen worden. Im Anschluss an das Gespräch im Präsidentenpalast führte Baerbock ein rund eineinhalbstündiger Gedankenaustausch mit ihrem polnischen Kollegen Rau.

Seit Wochen versuchen Tausende Migranten und Flüchtlinge, von Belarus über die EU-Außengrenzen nach Polen oder in die baltischen Staaten zu gelangen. Die EU wirft dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen und so die Lage im Westen zu destabilisieren. Polen hat in einem drei Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, Hilfsorganisationen dürfen nicht hinein.

Polens Außenminister Zbigniew Rau.
Polens Außenminister Zbigniew Rau.

© JANEK SKARZYNSKI/AFP

Neue Außenministerin setzt auf gemeinsame Lösung im Rechtsstaatsstreit

Baerbock hat auch im Rechtsstaatsstreit mit Polen zu einer gemeinschaftlichen Verhandlungslösung aufgerufen. Wenn die Diskrepanzen wie bei diesem Thema sehr groß seien, „gilt es aber umso mehr, zu diesen Themen ganz intensiv im Gespräch zu sein“, sagte die Grünen-Politikerin.

Gemeinsam und nicht nur bilateral müsse auf europäischer Ebene nach einer Lösung gesucht werden. „Insbesondere in der Außenpolitik und in der Diplomatie braucht man nicht nur ein bisschen diplomatisches Glück, sondern immer auch Hoffnung“, sagte Baerbock auf die Frage, ob sie nach ihren Gesprächen in Warschau die Hoffnung habe, dass es im Rechtsstaatsstreit ein Einlenken Polens geben könne.

[Lesen Sie auch: Wer hat das außenpolitische Sagen? Warum Scholz und Baerbock mit Misstönen starten (T+)]

„Wenn man nicht daran glaubt, dass man durch eigenes Wirken, selbst wenn es Jahre oder manchmal Jahrzehnte dauert, Dinge verändern kann, dann ist es ein schwieriger Auftrag“, sagte Baerbock mit Blick auf ihre Arbeit als Außenministerin. „Ja, ich glaube daran, dass wir als Europäerinnen und Europäer Probleme gemeinsam lösen können. Und das heißt dann, gemeinsam daran zu arbeiten.“ Rau ergänzte, man brauche bei dem Thema Rechtsstaatlichkeit „einen strategischen, geduldigen Dialog“.

Baerbock hatte schon zu Beginn ihrer Antrittsreise auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in der EU gepocht. „Gerade bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten können wir nicht zulassen, dass Europas Fundamente wegbröckeln“, warnte sie.

Annalena Baerbock nimmt an einer Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten in Warschau teil.
Annalena Baerbock nimmt an einer Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten in Warschau teil.

© JANEK SKARZYNSKI/AFP

Weitere Konfliktthemen in Warschau:

  • Die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2: Angesichts der Ukraine-Krise gerät auch die neue Ampel-Regierung wegen der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 immer stärker unter Druck. Warschau lehnt die Gasröhre strikt ab. Baerbock hatte im Wahlkampf in einem Interview gesagt: „Ich halte diese Pipeline nach wie vor für falsch, aus klimapolitischen Gründen, aber vor allem auch geostrategisch.“ Zwar steht auch die FDP dem Projekt skeptisch gegenüber, die SPD ist dagegen offener. Eine Zwickmühle für Baerbock.
  • Plakataktion mit Reparationsforderungen: Für Diskussionsstoff dürfte eine drastische Plakataktion in Warschau sorgen, mit der polnischen Reparationsforderungen für Kriegsschäden Nachdruck verliehen werden soll. Die Poster zeigen Ex-Kanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und den deutschen Botschafter in Warschau, Arndt Freytag von Loringhoven, in einer Reihe mit Adolf Hitler und dem NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Auf den Postern prangt neben den Logos rechtsnationaler Medien auch das Zeichen des polnischen Kulturministeriums. Eine regierungsnahe Stiftung hat das Projekt gefördert.Das Auswärtige Amt in Berlin bezeichnete die Darstellungen als „diffamierend“. Kurz vor dem Baerbock-Besuch war Verstimmung spürbar. Denn auch die nationalkonservative Regierungspartei PiS setzt erneut auf scharfe antideutsche Töne: Führende PiS-Vertreter unterstellen der neuen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP, sie wolle aus der EU ein „Viertes Reich“ machen.
  • Deutsche Minderheit in Polen: Insbesondere die rund 300.000 Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen seien Leidtragende der anti-deutschen Plakatkampagne und gerieten in diesem politischen Klima unter Druck von rechtspopulistischen Angriffen, kritisierte der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries. Der Bundestagsabgeordnete teilte der dpa mit, er habe Baerbock in einem Brief auf die „zunehmend besorgniserregende Situation der deutschen Minderheit aufmerksam gemacht und sie gebeten, das Thema bei den anstehenden Regierungsgesprächen mit der gebotenen historischen Sensibilität, aber auch klar zu adressieren“.

Die ersten Stationen ihrer Antrittsbesuche waren für die Baerbock eher Wohlfühltermine

Der Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, sagte der Deutschen Presse-Agentur vor dem Besuch Baerbocks in Warschau: „Man darf dennoch gespannt sein, welchen Tonfall Annalena Baerbock in Polen anschlägt.“ Konfliktthemen seien reichlich vorhanden. „Ich bin gespannt, welche Zusagen die Nordstream-2-Gegnerin Baerbock ihrem polnischen Kollegen machen wird, oder ob ihre öffentlichen Aussagen dazu auf einmal vergessen sind.“

Die ersten Stationen ihrer Antrittsbesuche waren für die amtierende Grünen-Chefin Baerbock dagegen eher Wohlfühltermine. In Paris beschwor sie am Donnerstag mit ihrem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian die deutsch-französische Freundschaft. In Brüssel tauschte sie sich mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg aus. Europa sei „Dreh- und Angelpunkt der deutschen Außenpolitik“, sagte Baerbock.

Anschließend traf die erste Frau an der Spitze des Auswärtigen Amtes den US-Klimabeauftragten John Kerry, EU-Klimakommissar Frans Timmermans und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Baerbock holt die Zuständigkeit für internationalen Klimaschutz aus dem Umwelt- in ihr Ministerium. Auch deshalb dürften ihr die Treffen mit den Kerry und Timmermans wichtig gewesen sein. (dpa)

Zur Startseite