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Autorin und Feministin: Alice Schwarzer.

© dpa/Oliver Berg

Update

Heftige Kritik an offenem Brief an Scholz: „Intellektueller Offenbarungseid“, „Sofa-Pazifismus“, „Position ist Wahnsinn“

Alice Schwarzer, Juli Zeh oder Lars Eidinger: Etliche Prominente schreiben an Scholz. Sie fürchten eine Ausweitung des Krieges. Politiker reagieren empört.

Prominente wie die Feministin Alice Schwarzer, der Schriftsteller Martin Walser und der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar haben in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appelliert, nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.

Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dürfe kein Motiv für eine Ausweitung des Krieges auf die Nato geliefert werden, schreiben die Unterzeichner in dem Brief. Sie warnen vor der Gefahr eines Dritten Weltkrieges.

Zu den 28 Erstunterzeichnern gehören der Autor Alexander Kluge, der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, der Sänger Reinhard Mey, die Kabarettisten Gerhard Polt und Dieter Nuhr, die Schauspieler Lars Eidinger und Edgar Selge und die Schriftstellerin Juli Zeh. Der offene Brief wurde am Freitagvormittag auf der Website des Magazins „Emma“ veröffentlicht. Er stehe allgemein zur Unterzeichnung offen, sagte Schwarzer.

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Der Bundestag hatte am Donnerstag mit großer Mehrheit die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gebilligt. Anders als viele Kritiker, die Scholz eine zaudernde Haltung vorwerfen, bekunden die Unterzeichner des Briefes ihre Unterstützung dafür, dass der Bundeskanzler bisher alles getan habe, um eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs zum Dritten Weltkrieg zu vermeiden.

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„Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern. Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.“

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Die Unterzeichner betonen, dass Putin mit dem Angriff auf die Ukraine das Völkerrecht gebrochen habe. Dies rechtfertige aber nicht, das „Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen“.

Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. „Ein russischer Gegenschlag könnte sodann den Beistandsfall nach dem Nato-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen.“

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Eine zweite „Grenzlinie“ sei das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung. „Dazu steht selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor in einem unerträglichen Missverhältnis. Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren „Kosten“ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“

Zahlreiche Reaktionen in sozialen Medien

In den Kommentaren und auf Twitter erntet der Brief Kritik. Viele vergleichen ihn mit der Aktion #allesdichtmachen, unter der 50 deutschsprachige Schauspieler im April 2021 in satirischem Ton die Corona-Politik kritisiert hatten. Die Initiative hatte für etliche Empörung gesorgt.

Der Brief richte sich an den Falschen, lautet nun eine wiederkehrende Kritik. Eigentlich müsse der Aggressor Putin adressiert werden.

Die Unterzeichnenden irren aus meiner Sicht in einem entscheidenden Punkt: Ob wir "Kriegsteilnehmer" werden, hängt nicht von Waffenlieferungen oder sonstigen Aktionen ab, es liegt allein am Definitionswillen der Putin-Administration.

schreibt NutzerIn peeka

Auch der Verein „Frauen für Freiheit“ kritisiert den Brief. Ukrainische Frauen Massenvergewaltigung auszuliefern, sei nicht feministisch, heißt es in einem Tweet. „Ihr fordert, Ukrainerinnen den Aggressoren schutzlos zu überlassen. Schämt euch!“ Ralf Fuecks, Politiker und Gründer des Zentrum Liberale Moderne, spricht gar von einem „intellektuellen und politischen Offenbarungseid.“ 

„Wenn das die Haltung wäre, dann wären gewaltsame Grenzverschiebungen und Kriegsverbrechen die neue Normalität. Diese Position ist Wahnsinn.“ kommentiert der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle.

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Der kasachische Journalist Artur Weigandt findet: „Jeder «Intellektuelle», der meint einen Aufruf oder einen offenen Brief gegen eine weitere Waffenlieferung an die Ukraine zu unterschreiben oder gar schreiben zu müssen, hat absolut keine Ahnung von Osteuropa.“ Putin könne nicht mit Diplomatie bezwungen werden.

Zynisch äußert sich auch Jan Böhmermann auf Twitter: Der offene Brief sende das beruhigende Signal, dass sich im Falle eines atomaren Angriffs immerhin der intellektuelle Schaden in Grenzen halten würde. Der SZ-Korrespondent Daniel Brössler hingegen findet den Brief "erschütternd."

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„Was ich in diesem Leben bestimmt nicht mehr machen werde? Offene Briefe unterzeichnen, unter die bereits Alice Schwarzer und Dieter Nuhr ihre Unterschrift gesetzt haben.“ schreibt der Blogger Thomas Stadler.

„Der Sofa-Pazifismus hat wenig anzubieten. Und deshalb haben Habermas, Zeh oder Polt schon mal abgerüstet. Auf das Niveau einer intellektuellen Schlichtheit, die man von ihnen nicht erwarten durfte.“ Damit spielt er auf den in etwa zeitgleich erschienen Gastbeitrag von Jürgen Habermas in der Süddeutschen Zeitung an.

Auch der Grünen-Politiker Peter Heilrath bezeichnet die Aktion als zynisch. Mit den Positionen des Briefes würde man jede Moral, jeden Anspruch an die Geltung von Menschenrechten aufgeben. „Je mehr der Aggressor also mordet und vergewaltigt, um so eher verbietet sich nach Ansicht des #offenerbrief also der Widerstand.“

Unterzeichner des Briefes äußerten sich zunächst nicht zu Wort. Alice Schwarzer hatte am Nachmittag dem Inforadio ein Interview gegeben, in dem sie die Positionen des Briefes wiederholte. (tsp/dpa)

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