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Nicht einwilligungsfähig. Darf man Demenzkranke Medikamentenversuchen aussetzen, von denen sie selber gar keinen Nutzen haben?

© Doris Klaas

Heftige Kritik an den Plänen des Gesundheitsministers: Hermann Gröhe verteidigt Arzneitests an Demenzkranken

Gesundheitsminister Gröhe will die Möglichkeit für Arzneitests an Demenzkranken ausweiten. Wille und Schutz der Patienten stünden an erster Stelle, versichert er. Doch die Opposition glaubt ihm nicht.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat seine Pläne zur Ausweitung von Medikamententests an nicht einwilligungsfähigen Patienten gegen die Kritik von Kirchen und Opposition verteidigt. Wille und Schutz der Patienten stünden „zu jedem Zeitpunkt an erster Stelle“, sagte er dem Tagesspiegel. „Zugleich eröffnen wir die Möglichkeit für Studien, die helfen können, zum Beispiel demenzielle Erkrankungen besser zu verstehen und zu behandeln.“

Nach dem Entwurf des Ministers zur Änderung des Arzneimittelgesetzes sollen künftig auch klinische Studien an Demenzkranken möglich sein, von denen die Probanden selber keinen Nutzen haben. Dies war bisher nicht möglich. Außerdem sehen Gröhes Pläne vor, dass die Zulassung solcher Tests nicht mehr zwingend vom Votum einer Ethikkommission abhängig gemacht wird.

Die kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Kerstin Griese, appellierte an Gröhe, das Gesetzesvorhaben nochmals zu überdenken. „Ich teile die Skepsis der Kirchen und sehe den Entwurf des Gesundheitsministers sehr kritisch“, sagte Griese dem Tagesspiegel. Nach den Erfahrungen mit Euthanasie und dem Missbrauch behinderter Menschen durch Mediziner in der Zeit des Nationalsozialismus müsse man „äußerst sensibel mit solchen Themen umgehen“.

Grüne: Diese Menschen dürfen nicht zu Versuchskaninchen werden

Besonders heftige Kritik an dem bereits vom Kabinett verabschiedeten Entwurf kam von den Grünen. Fraktionsvize Katja Dörner nannte die Pläne „ethisch höchst bedenklich“. Es sei nicht akzeptabel, dass Menschen an Studien teilnähmen, die nicht in der Lage seien, Risiko und Nutzen zu beurteilen, sagte sie dieser Zeitung. "Nicht einwilligungsfähige Erwachsene dürfen nicht zu Versuchskaninchen werden.“

Bereits 2013 habe sich der Bundestag dafür ausgesprochen, das Schutzniveau für diese Patienten zu erhalten, erinnerte die Grünen-Politikerin. "Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Vorschlag nun erneut auf den Tisch kommt." Kathrin Vogler von der Linkspartei bezeichnete das Vorhaben als „Armutszeugnis“.

Gegen die Pläne hatten sich zuvor bereits die beiden großen Kirchen in einer gemeinsamen Stellungnahme gewandt. Sie warnten vor „schwerwiegenden Missbrauchsrisiken“, einer „Verzweckung“ besonders Schutzbedürftiger und einem Verstoß gegen die Menschenwürde.

Gröhe betonte, dass es nur um Studien "mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung für den Prüfungsteilnehmer" gehe. Zudem dürften derartige Medikamententests seinem Entwurf zufolge nur durchgeführt werden, wenn eine Patientenverfügung vorliege. Der Betroffene müsse diese „in Vollbesitz der geistigen Kräfte“ angefertigt und darin „ausdrücklich erklärt“ haben, an solchen "gruppennützigen" Studien teilnehmen zu wollen. Zudem müsse der jeweilige Betreuer dem Test nach ärztlicher Aufklärung unmittelbar vorher nochmals zustimmen.

SPD-Politikerin befürchtet Vertrauensverlust für Patientenverfügungen

Griese nannte diese Konstruktion „verwirrend“. Patientenverfügungen seien nicht dafür da, Arzneiversuche zu legitimieren. Dadurch drohe dieser inzwischen weit verbreiteten Form der vorsorglichen Willensbekundung fürs Lebensende ein Vertrauensverlust. Zudem sei es „sehr schwierig, so lange im Voraus Risiken und Nebenwirkungen eines Medikamententests einzuschätzen“.

Kritik äußerte die SPD-Politikerin auch an den Plänen, die Zulassung von Medikamentenversuchen nicht mehr zwingend vom Votum der zuständigen Ethikkommission abhängig zu machen. Die Ethikkommissionen in Deutschland leisteten „sehr gute und sinnvolle Arbeit“, sagte Griese. Es sei problematisch, wenn man ihren Einfluss zu schwächen versuche. Nach den Erfahrungen mit Euthanasie und dem Missbrauch behinderter Menschen durch Mediziner in der Zeit des Nationalsozialismus müsse man „äußerst sensibel mit solchen Themen umgehen“.

Unionspolitiker: Wir haben auch eine Verantwortung für kommende Generationen

Der CDU-Forschungspolitiker Stephan Albani verteidigte die Pläne. Es handle sich um eine Güterabwägung, sagte der Berichterstatter der zuständigen Fraktionsarbeitsgruppe dieser Zeitung. Vor dem geschichtlichen Hintergrund Deutschlands müsse man natürlich besonders sensibel mit diesem Thema umgehen. „Aber wir haben auch eine Verantwortung vor den kommenden Generationen.“

Demenz sei eine fürchterliche Krankheit, sagte Albani. Es sei eine große gesellschaftliche Aufgabe, Medikamente zu finden, die dieses Leiden lindern könnten – und getestet werden könnten diese aufgrund des veränderten Stoffwechsels von Demenzkranken nun mal nicht an gesunden Probanden. „Die Möglichkeit zu solchen Versuchen muss bestehen. Alles andere wäre eine Kapitulation vor der Zukunft. Eine Gesellschaft, die immer älter wird, muss sich auch ihren Problemen stellen.“

Albani versicherte, dass Selbstbestimmung und der „Schutz des Individuums“ bei alledem nicht angetastet würden. Es gehe nur um Kranke, die sich in noch gesundem Zustand zu solchen Tests bereiterklärt hätten. Die Ausweitung auf Versuche, die den Probanden selber nicht nützen, verteidigte er mit der Notwendigkeit, der Forschung alle Möglichkeiten offenhalten zu müssen. Er sehe „kein großes Missbrauchsrisiko“, sagte der gelernte Medizinphysiker. Wenn es zu Fehlverhalten komme, müsse man es eben abstellen. „Wir stellen nach den Transplantationsskandalen ja auch nicht die Notwendigkeit von Organspenden in Frage.“

Lauterbach dankt den Kirchen für Kritik

Auch der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, steht hinter der Gesetzesänderung. „Ohne Forschung an Demenzkranken gäbe es auch keine Behandlungsmöglichkeit“, sagte der Fraktionsvize. „Das hielte ich für ausgesprochen problematisch.“ Selbstverständlich müsse man „alles unternehmen, um auszuschließen, dass jemand Medikamententests unterzogen wird, der dies selbst nicht gewollt hätte“.

Die Informationen darüber müssten so aufbereitet sein, dass sie auch jeder Laie verstehe. Außerdem müsse man darauf hinwirken, dass entsprechende Patientenverfügungen ständig aktualisiert würden. Lauterbach betonte, dass er die Bedenken gut verstehen könne und den Kirchen dankbar für ihre Kritik sei. „Ich finde es sehr gut, dass sie sich da einmischen. Wir werden uns mit ihren Argumenten gründlich auseinandersetzen müssen.“

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