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Laufzeit bis Ende 2021. Das Atomkraftwerk Grohnde verfügt nicht über Messgeräte für Erdbeben. Das hält die EU-Kommission für einen bedeutenden Mangel, der behoben werden sollte. Foto: Emily Wabitsch/pa/dpa

© picture alliance / dpa

Politik: Hauptrisiko: Stromausfall

Brüssel hat erstmals sämtliche Atomkraftwerke in Europa unter die Lupe genommen.

Mehr als eineinhalb Jahre nach der Reaktorkatastrophe in Japan sind die 145 Atomkraftwerke in der Europäischen Union einem Stresstest unterzogen worden. „Jetzt wissen wir, ob für ganz essenzielle Sicherheitsvorkehrungen wie die Messung des Erdbebenrisikos die höchsten internationalen Standards zur Anwendung kommen“, teilte EU-Kommissar Günther Oettinger mit. Er hatte drei Tage nach dem Atomunfall in Fukushima eine solche Überprüfung angeregt und dafür ein Mandat der EU-Staats- und Regierungschefs bekommen.

Zum ersten Mal sind die Atomkraftwerke nicht nur von nationalen Aufsichtsbehörden, sondern auch von Kollegen aus dem europäischen Ausland untersucht worden. Gemischte Siebener-Teams hatten Zugriff auf die Berichte der Betreiber sowie der Aufsichtsbehörden und haben eine Reihe von Atomkraftwerken besucht. Die EU-Prüfer besichtigten rund 30 Prozent der Anlagen selbst, darunter die bayerischen Atomkraftwerke Grafenrheinfeld, das noch bis Ende 2015 laufen darf, Gundremmingen B und C, die Ende 2017 beziehungsweise Ende 2021 vom Netz gehen sollen. Zudem haben die Prüfer in Frankreich die umstrittenen Anlagen in Cattenom und Fessenheim und im tschechischen Temelin in Augenschein genommen.

„Eine ganze Anzahl von Schwachpunkten bei der nuklearen Sicherheitsarchitektur in Europa sind identifiziert worden“, heißt es im Entwurf des Abschlussberichts, der dem Tagesspiegel inklusive der Anhänge vorliegt. So ist lediglich in vier von 14 EU-Staaten, die Kernenergie nutzen, ein gänzlich unabhängiger Elektrizitätskreislauf die Regel, um jenen totalen Stromausfall zu bewältigen, der in Fukushima zur Kernschmelze geführt hatte. Doch müssten „praktisch alle Atomkraftwerke ihre Sicherheitsmaßnahmen verbessern“; es seien „hunderte technische Nachrüstungsmöglichkeiten entdeckt“ worden. So müssten bei allen Meilern Erdbebenwarnsysteme „installiert oder verbessert werden“, heißt es im vorläufigen Bericht weiter. Das gilt auch für drei deutsche Atomkraftwerke in Norddeutschland: Brokdorf, Emsland und Grohnde. Die Leitlinien zur Beherrschung schwerer Unfälle sind bei keinem der neun noch betriebenen Atomkraftwerke vollständig umgesetzt. Das gilt ebenso für die im vergangenen Jahr stillgelegten Meiler. Gemeint ist, dass es konkrete Notfallpläne für jeden Betriebszustand geben muss, vom Volllastbetrieb bis zum Stillstand.

In dem EU-Bericht wird auf Analysen der Reaktorsicherheitskommission und der Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit (GRS) Bezug genommen, die beide auf Mängel bei der Beherrschung eines vollständigen Stromausfalls und bei der Notfall-Kühlung aufmerksam gemacht hatten. Das Bundesumweltministerium teilte dem Tagesspiegel mit: „Aus den Berichten der Länder geht hervor, dass in einzelnen Anlagen Maßnahmen zur Notstromversorgung schon in diesem Jahr umgesetzt werden.“ Zudem lägen für „viele Empfehlungen Umsetzungskonzepte der Betreiber vor, die aber noch nicht abschließend erörtert sind“. Das Ministerium kündigte außerdem an, noch in diesem Jahr „einen nationalen Aktionsplan zum Fukushima-Nachfolgeprozess zu erstellen und zu veröffentlichen“. Die Frage ist, ob die deutsche Atomaufsicht für den Restbetrieb der Anlagen noch anspruchsvolle Nachrüstforderungen stellen wird. Schon die vergangenen zehn Jahre hatten die Atomaufsichtsbehörden der Länder und des Bundes den Atomausstieg verwaltet und kaum noch Forderungen an die Betreiber gerichtet.

Insgesamt findet Oettiger „die Sicherheitslage zufriedenstellend“. Es gebe aber „ keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit“. Die EU-Kommission will am Mittwoch entsprechende Empfehlungen an die Mitgliedstaaten richten. Es läge dann an der nationalen Atomaufsicht, sie auch umzusetzen. So lange die Nuklearsicherheitsrichtlinie nicht reformiert ist, wie Brüssel das nun anstrebt, gibt es jedoch keine europäische Entscheidungsbefugnis. Oettinger hatte daher schon vergangenes Jahr volle Transparenz versprochen; jeder EU-Bürger werde nachschauen können, wie es um „seine“ Meiler bestellt sei. Zumindest der Berichtsentwurf enthält aber keine Angaben zu einzelnen Meilern, sondern nur einen Gesamtüberblick. EU-Diplomaten zufolge soll es bei der Kommissionssitzung darum gehen, ob die Anhänge ebenfalls veröffentlicht werden.

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