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Viele wollen Angela Merkel loswerden - warum eigentlich?

© AFP/John Thys

Harald Martenstein: Warum alle Parteien Merkel vermissen würden

Es ist ein Rätsel, warum viele Angela Merkel loswerden wollen. Im Grunde ist sie als Kanzlerin für Anhänger aller Parteien attraktiv. Eine Glosse.

Etwas mehr als 40 Prozent der Wähler wollen, dass Angela Merkel zurücktritt, etwas mehr als 40 Prozent möchten sie behalten. Ich verstehe nicht, dass so viele sie loswerden wollen. Im Grunde ist Angela Merkel als Kanzlerin für Anhänger aller Parteien attraktiv. Besonders gilt das natürlich für die Grünen, die Zustimmungsraten für Merkel sind bei Anhängern der Grünen sogar höher als bei Anhängern der CDU. Dank Angela Merkel haben es die Grünen geschafft, die Kanzlerin zu stellen, ohne dafür die Kosten eines Kanzlerwahlkampfs und die Mühen der Kandidatinnenfindung auf sich zu nehmen.

Ich finde aber auch, dass die SPD Angela Merkel dankbar sein muss. Falls die Union sich wegen Merkel spaltet, was zurzeit möglich erscheint, bekommen laut Umfragen CDU und CSU je um die 20 Prozent. Zahlreiche Direktmandate sind für die SPD wieder in Reichweite, sogar die Rolle der stärksten Partei wird wieder ein realistisches Ziel. Dass Angela Merkel etliche Forderungen der SPD sofort zu den ihren gemacht hat, ist ja bekannt. Angela Merkel steht der SPD-Basis weitaus näher als es bei Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder der Fall war.

Ohne Merkel könnte zweistellige AfD-Ergebnisse schwierig werden

Die AfD verdankt Angela Merkel im Grunde sogar ihre Existenz als ernstzunehmende politische Kraft. Ohne Angela Merkel könnten zweistellige Ergebnisse schwierig werden. Ein Ziel der AfD ist es, die Macht der Europäischen Union zu reduzieren, manche wollen sogar ein Ende der EU. Dieses Ziel ist dank der Kanzlerin in greifbare Nähe gerückt. Weil sie bei der Grenzöffnung eine nationale Einzelentscheidung getroffen hat, ohne die anderen um Erlaubnis zu bitten – im Grunde das Politikmodell der AfD –, ist Europa zerstrittener denn je, die Briten sind draußen, die Italiener stinksauer. Europagegner haben Anlass zu den schönsten Hoffnungen.

Im Programm der Linken sind der Pazifismus wichtig und die Abgrenzung zu den USA. Anders als der charmant lavierende Franzose Emmanuel Macron hat Angela Merkel zu Donald Trump eine solide Frontstellung aufgebaut. Der Zustand der Bundeswehr gestattet keine größeren Aktionen mehr. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist Deutschland ein de facto entmilitarisiertes Land, das für niemanden mehr eine Bedrohung darstellt. Die marode Infrastruktur und die nicht vorhandene Digitalisierung lassen außerdem realistische Hoffnungen auf einen Zusammenbruch des deutschen Kapitalismus zu.

Der FDP und der CSU hat die Kanzlerin inhaltlich wenig anzubieten, aber immerhin stellt ihre Kanzlerschaft für diese Parteien eine politische Überlebensgarantie dar. Auch die CDU wird bei Merkel wenig finden, was ihrer Grundausrichtung entspräche, aber sie stellt etliche Bundesminister, viel mehr kann eine Partei personalpolitisch nicht erreichen. Alle würden sie vermissen.

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