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Ein deutscher Soldat in Afghanistan im Oktober 2011. Muss die Nato erneut in den Kampfeinsatz geschickt werden?

© imago stock&people

Harald Kujat: Ex-Generalinspekteur für neuen Kampfeinsatz in Afghanistan

Nach dem Fall von Kundus fordert der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, einen neuen Nato-Einsatz in Afghanistan – Ausbildung allein helfe nicht im Kampf gegen die Taliban.

Von Michael Schmidt

Herr Kujat, seit einer Woche wird um Kundus gekämpft – die Taliban haben die Großstadt im Norden Afghanistans im Nu erobert, ohne auf effektive Gegenwehr zu stoßen. War der internationale Einsatz vergeblich?

Die Mission ist gescheitert. Vor allem politisch, aber auch militärisch. Wir haben einen zerbrechlichen Staat hinterlassen. Die Zentralregierung in Kabul ist nicht in der Lage, Kontrolle über das gesamte Land auszuüben, die Korruption ist allgegenwärtig, der Drogenanbau boomt, Warlords haben enormen Einfluss – vieles ist politisch nicht in Ordnung gebracht worden. Das Land hat wirtschaftlich, sozial, politisch keine Perspektive.

Es fehlen die sicherheitspolitischen Voraussetzungen. Die hätte der Militäreinsatz bringen sollen ...

Wir haben die Taliban nicht ausschalten können. Im Gegenteil, die Situation entwickelt sich heute deutlich zum Schlechteren. Wir wissen inzwischen, dass der „Islamische Staat“ vor allem im Osten Afghanistans aktiv ist. Und ich bin überzeugt davon, dass weitere terroristische Organisationen einsickern werden.

Die Sicherheitsverantwortung sollte an die Afghanen übergeben werden, aber nicht bevor das Land stabilisiert ist. Unterdessen sind die internationalen Truppen weitgehend abgezogen. Haben wir uns etwas vorgemacht, vormachen lassen?

Das Schlagwort der Politik lautete „selbsttragende Sicherheit“. Aber die Taliban können kommen und gehen und angreifen, wann und wo sie wollen.

So wie jetzt in Kundus.

Kundus ist besonders für uns Deutsche symbolisch aufgeladen, hier haben wir uns finanziell und moralisch engagiert, hier haben wir Leib und Leben eingesetzt. Was jetzt passiert, ist keine Überraschung – aber es ist ein Menetekel. Was in Kundus möglich ist, das kann an anderer Stelle genauso geschehen.

Was bedeutet der Fall von Kundus?

Wir sehen, dass die afghanischen Streitkräfte nicht einmal in der Lage sind, einen Angriff auf eine 300 000-Einwohner-Stadt abzuwehren. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Dinge sich weiter verschlechtern und dass irgendwann, und zwar in nicht allzu ferner Zukunft, die Taliban die Macht übernehmen werden. Das ist ein Versagen, das dazu führt, dass die Bevölkerung sich denkt: Wir sind nicht sicher; unsere Polizei und Armee sind nicht in der Lage, uns zu beschützen. Viele werden sich auf den Weg machen raus aus Afghanistan – und viele andere werden sich auf die Seite der Taliban schlagen.

Und jetzt? Was folgt daraus?

Was wir machen, ist: Wir schauen zu. Wir diskutieren, ob die Ausbildungsmission verlängert wird. Über 2016 hinaus. Das mag der eigenen Beruhigung dienen – aber es trägt in dieser wirklich schwierigen Situation überhaupt nichts dazu bei, die Lage langfristig zu stabilisieren. Wir müssen ehrlich mit uns sein, auch die Politik: Eine reine Ausbildungsmission hilft uns überhaupt nicht. Dann können wir gleich sagen, wir beenden unser Engagement und überlassen Afghanistan seinem Schicksal. Das würde ich für moralisch höchst bedenklich halten, nachdem wir dort Geld und nationale Reputation investiert und Menschen ihr Leben eingesetzt haben für etwas, dass sich jetzt vielleicht, wenn wir es so laufen lassen, als vergeblich herausstellt. Ich glaube, das ist für eine Politik, die auf Werte setzt als Richtschnur für politisches Handeln und nicht auf Interessen, völlig unannehmbar.

Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, sagt: Ausbildung allein hilft nicht im Kampf gegen die Taliban.
Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, sagt: Ausbildung allein hilft nicht im Kampf gegen die Taliban.

© imago

Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?

Man muss drei Dinge tun. Erstens versuchen, über eine regionale Lösung, unter Einbeziehung der Nachbarstaaten, sicherzustellen, dass der Konflikt nicht ständig hin- und herwabern kann zwischen Pakistan und Afghanistan und dann die Taliban irgendwo im Undefinierbaren verschwinden. Zweitens versuchen, diesen Staat lebensfähig zu machen. Das kann man nur, wenn man gleichzeitig drittens anbietet, für eine Übergangszeit weiterhin zur Sicherheit beizutragen. Die afghanische Polizei und Armee müssen wissen: Wenn Not am Mann ist, wird uns geholfen.

Das heißt, die Nato sollte verstärkt zurück nach Afghanistan? Auch mit Kämpfern statt nur Ausbildern?

Ja, das bedeutet praktisch, dass man für eine Übergangszeit zu einer Mischform zurückkehrt, die Ausbildung weiter betreibt, aber auch Elemente von Kampfeinheiten dort lässt, die notfalls gerufen werden können, wie eine Feuerwehr. Es geht nicht um eine große Zahl von Soldaten, sondern um eine schlagkräftige, gut ausgestattete, schnell verlegbare und schnell operierende Truppe, die eher schwerpunktmäßig aktiv wird, als flächendeckend präsent zu sein.

Sehen Sie politisch eine Chance auf Realisierung eines solchen Plans?

Nein. Aber ich wünschte mir ein neues Denken. Ich vermisse Elan, ich vermisse Initiative. Wir müssen neue Wege gehen, um das Ruder herumzureißen. Ein Staat muss das wollen, muss das anstoßen – dann können die anderen sagen, ob sie das mittragen oder nicht. Aber wie Sie sehen, passiert derzeit nichts dergleichen. Viel hängt auch von Kundus ab. Gelänge es noch einmal, die Taliban zurückgeschlagen, dann wäre Zeit gewonnen. Gelingt es aber nicht, dann wird es sehr schwierig, noch mal einen solchen Anlauf vorzunehmen.

Harald Kujat (73) war von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr. Danach hatte er den Vorsitz des Militärausschusses der Nato inne.

Das Gespräch führte Michael Schmidt.

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