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AfD-Fraktionsvorsitzender Gauland: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg kriegen.“

© dpa

Hammelsprung im Bundestag: Was die AfD mit ihrer "Revanche" erreichen wollte

Weil ihr Kandidat für den Geheimdienstausschuss bei der Wahl durchfiel, rächte sich die AfD mit einem nächtlichen Hammelsprung. Bei ihrer Kritik am spärlich besetzten Parlament übersieht sie aber etwas.

Es ist 22.38 Uhr, im Bundestag läuft gerade eine Debatte zum Tierwohl, da entschließt sich die AfD, die anderen Abgeordneten zu ärgern. Als Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von den Linken über die Überweisung von zwei Anträgen abstimmen lassen will, meldet sich Jürgen Braun, der zweite Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, zu Wort. Er sagt: „Die AfD-Fraktion bezweifelt die Beschlussfähigkeit der Sitzung und bittet um sofortige Überprüfung.“ Braun grinst und reibt sich ein wenig die Hände, denn er weiß, was jetzt kommt.

Bundestagsvizepräsidentin Pau muss einen sogenannten Hammelsprung veranlassen. Das heißt, alle Abgeordneten verlassen den Plenarsaal und kommen durch Türen, über denen „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ steht, wieder herein. Dabei wird nicht nur abgestimmt, sondern auch gleichzeitig gezählt wie viele Abgeordnete da sind. Damit der Bundestag beschlussfähig ist, muss mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein - 355 an der Zahl. Doch als der Hammelsprung nach knapp 40 Minuten beendet ist, sind nur 312 Abgeordnete gezählt - und das obwohl noch einige herbeigeeilt sind. Petra Pau beendet die Sitzung. Da ist es 23.19 Uhr.

Gauland: „Krieg im Bundestag“

Die AfD feiert das in den sozialen Netzwerken als gelungene Aktion. „Vielleicht verstehen Sie jetzt, was wir meinten, als wir sagten, wir werden Sie 'jagen'“, heißt es in einem offiziellen AfD-Tweet, der die anderen Abgeordneten anspricht. Eigentlich ist dieser Hammelsprung aber eine direkte Reaktion auf ein Ereignis früher an diesem Tage: Der Bundestag hat nämlich Roman Reusch, den Kandidaten der AfD für das Parlamentarische Kontrollgremium, durchfallen lassen. Das Gremium ist der Ausschuss, der im Bundestag für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist - jeder Fraktion steht mindestens ein Sitz zu. Doch die Kandidaten der Fraktionen müssen in diesem Bundestag mindestens 355 Stimmen bekommen, um gewählt zu werden. Und kein Abgeordneter ist verpflichtet, einen Kandidaten der anderen Partei zu wählen. Und so fiel Reusch durch - er bekam nur 210 Stimmen.

Den AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland macht das wütend. Er kündigte an, Reusch erneut ins Rennen zu schicken: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg kriegen.“ Reusch selber sprach von „Kindergartenspielchen“, und PGF Braun sagte: „Wir könnten wohl auch Mutter Teresa oder den Dalai Lama aufstellen und er würde nicht gewählt.“

Der Hammelsprung, das sagt Gauland selbst, sei die Revanche für die Nicht-Wahl Reuschs. So lasse sich die AfD nicht behandeln. „Das ist erst der Anfang“, sagte er. Es klingt wie eine Drohung.

„Bild“ feierte Reusch als „Deutschlands mutigsten Staatsanwalt“

Die AfD hält Reusch als Kandidaten für sehr qualifiziert. Er war leitender Oberstaatsanwalt in Berlin, bevor er in den Bundestag einzog. Die anderen Abgeordneten dürften sich aber an früheren Äußerungen Reuschs gestört haben. Früher hat er die Intensivtäter-Abteilung der Staatsanwaltschaft geleitet, war dann aber zur Generalstaatsanwaltschaft versetzt worden. Reusch galt als Hardliner und vertrat umstrittene Thesen zum Thema Ausländerkriminalität. In einem Vortrag für die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung forderte er 2007 schärfere Maßnahmen gegen ausländische Intensivtäter. Die „Bild“ feierte ihn als „Deutschlands mutigsten Staatsanwalt“ und zitierte ihn mit Empfehlungen wie der, dass man kriminelle Ausländer außer Landes schaffen solle. In Zeitungsinterviews lobt er die U-Haft als „Erziehungsmittel.“

Die AfD will mit ihrer Rache-Aktion aber noch auf etwas anderes aufmerksam machen. Schon seit Längerem prangert sie an, dass von den anderen Fraktionen bei weniger wichtigen Debatten nur ein kleiner Teil der Abgeordneten anwesend ist. Die AfD bemühte sich in der Vergangenheit um zahlreiches Erscheinen, um die anderen - wie sie meinte - bloßstellen zu können. Teilweise mogelten die AfD-Abgeordneten sogar und posteten Bilder von leeren Reihen der anderen Fraktionen. Im Wirklichkeit waren diese Bilder aber ein gutes Stück vor Sitzungsbeginn aufgenommen worden.

Anwesenheitspflicht nur bei namentlichen Abstimmungen

Was die AfD ihren Anhängern auch nicht erklärt: Der Bundestag ist ein Arbeitsparlament. Das heißt, die Hauptarbeit findet in den Fraktionen und Ausschüssen statt. Hier werden die Vorlagen für das Plenum erarbeitet. Wenn im Plenum später debattiert wird, sind oft nur die Fachpolitiker da. Sie haben mit ihren Fraktionen abgesprochen, wie sie abstimmen werden. Die Reden, die im Bundestag gehalten werden, sollen auch dazu dienen, die Öffentlichkeit zu informieren. Die Anwesenheit der Abgeordneten ist vor allem bei namentlichen Abstimmungen über besonders umstrittene Fragen notwendig. Sie findet statt, wenn das von einer Fraktion oder von mindestens fünf Prozent der Abgeordneten verlangt wird. Die Abgeordneten müssen dann ihre verschiedenfarbigen Stimmkarten für „Ja“ (blau), „Nein“ (rot) oder „Enthalte mich“ (weiß) in eine Urne stecken.

Alice Weidel war beim Hammelsprung nicht anwesend

Dennoch kann es passieren, dass umstrittene Gesetze nicht in namentlicher Abstimmung, sondern nur per Handzeichen oder Aufstehen verabschiedet wird. So war es beispielsweise beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz, umgangssprachlich Hate-Speech-Gesetz. Es wurde Ende Juni im Bundestag verabschiedet - bei nur etwa 55 anwesenden Abgeordneten. Damit wäre der Bundestag eigentlich nicht beschlussfähig gewesen, allerdings verlangte keiner einen Hammelsprung. Es ist unwahrscheinlich, dass die Abstimmung anders ausgegangen wäre, wenn mehr Abgeordnete anwesend gewesen wären. Schließlich waren ja Union und SPD für das Gesetz.

Der von der AfD ausgelöste Hammelsprung um kurz vor 11 Uhr abends lenkte das Augenmerk aber auch auf die nächtlichen Marathon-Sitzungen im Bundestag, die von vielen Abgeordneten als Belastung wahrgenommen werden. Müde Gesichter waren um diese Zeit am Donnerstag im Plenum zu sehen. Und offensichtlich hatten auch nicht alle AfD-Abgeordneten Lust darauf: Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel war beim Hammelsprung nicht anwesend.

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