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Aktivisten stehen im Hambacher Forst auf einem Baumhaus.

© dpa/Christophe Gateau

Protest gegen Braunkohle: Wie gewalttätig sind die Besetzer im Hambacher Forst?

Im Hambacher Forst trifft die Polizei auf friedliche Kohlegegner und auf gewaltbereite Linksextremisten. Fragen und Antworten zur Lage im Wald.

Für die Klimaaktivisten und Umweltverbände ist der Hambacher Forst das Symbol für verfehlte Energie- und Klimaschutzpolitik. Die Streit um die Abholzung des Waldes für den Braunkohletagebau des Energiekonzerns RWE dauert seit Jahren – so lange gibt es Proteste, Besetzungen, Räumungen und Menschen, die sich dauerhaft im Wald aufhalten.

Warum eskaliert der Streit jetzt?

RWE will Teile des Tausende Jahre alten Waldes ab Oktober abholzen. Umweltverbände, Bürgerinitiativen und Klimaschützer fordern, die Rodungspläne zu stoppen, bis die Kohlekommission der Bundesregierung Ergebnisse liefert. Stattdessen entschied die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, dass die Baumhäuser – entgegen früherer Festlegungen – doch bauliche Anlagen seien. Es bestehe Gefahr für Leib und Leben der Baumhausbewohner, weil es an Brandschutz und Sicherheit fehle. Einen Zusammenhang mit der Abholzung durch RWE wird abgestritten. Doch selbst der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) spricht von einem juristischen Trick: Tausende Beamte seien nur im Einsatz, um für kommunale Behörden Amtshilfe zu leisten. Im Wald sollen täglich bis zu 2000 Beamte aus mehreren Bundesländern aktiv sein. Seit vergangenem Donnerstag sind laut Polizei 35 von rund 50 Baumhäusern geräumt und teils abgerissen worden. Bislang gab es 73 Festnahmen und 83 Ingewahrsamnahmen. Die Personalien von 327 Personen wurde festgestellt, 333 Platzverweis erteilt.

Wie radikal sind die Klimaaktivisten?

Die Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen friedlichen Demonstranten, die an Mahnwachen oder Waldspaziergängen teilnehmen – darunter Familien, Umweltverbände, Bürgerinitiativen und kirchliche Gruppen – einerseits und Linksextremen andererseits. Gewerkschafter räumen aber ein, dass nicht nachvollziehbare politische Entscheidungen auch Folgen für die Einstellung bei friedlich Protestierenden haben könnten. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) warnte, dass im Hambacher Forst auch gewaltbereite Linksextremisten sind. Die Initiative „Ende Gelände“ selbst zitierte Ende vergangener Woche einen Waldbesetzer: „Wir verteidigen den Wald gegen RWE und Innenminister Reul. In den Bäumen kämpfen wir für Klimagerechtigkeit und gegen den Kapitalismus. Es wird kein Leichtes, uns aus dem Wald zu kriegen“.

Einige Waldbesetzer haben sich aus dem Wald tragen oder führen lassen, andere sind gewaltbereit. So sind Polizisten mit Zwillen und Stahlkugel beschossen worden, es flogen Steine und Molotowcocktails. Auch mit Schrauben gefüllte Böller, Nagelgurte und Sprengsatz-Attrappen wurden gefunden. Aus Baumhäusern wurden Fäkalien auf Beamte gekippt, die deshalb Schutzanzüge tragen mussten.

Wird der Hambacher Forst zum Hotspot für Ausschreitungen von Linksextremen?

Davon geht der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz aus. Im Jahresbericht 2017 heißt es: In Nordrhein-Westfalen „fokussiert sich die Gewaltausübung durch linksextremistisch motiviertes Personenpotenzial auf die Auseinandersetzung um den Braunkohletagebau Hambach und den Hambacher Forst“. Massiven Zulauf hätten die Besetzer im Herbst 2017 erhalten – laut Verfassungsschutz eine Zäsur. Seither sei eine Eskalation der Gewalt festzustellen – gegen die Polizei, gegen RWE-Personal und gegen Technik des Tagebaubetreibers. Die Sicherheitsbehörden machen neben den friedlichen Demonstranten zwei weitere Gruppen aus. Die Waldbesetzer-Szene, die überwiegend aus autonomen und gewaltbereiten Linksextremisten bestehe. Wobei der harte Kern nicht aus Nordrhein-Westfalen, sondern aus anderen Bundesländern und dem europäischen Ausland kommen soll. Erst mit deren Zuzug sei seit 2017 die Infrastruktur der Besetzer aus Baumhäusern und Barrikaden massiv ausgebaut worden. Diese Szene erkläre RWE und den Staat als Handlanger zu ihrem Feind.

Als weitere Gruppe nennen die Sicherheitsbehörden linksextremistisch beeinflusste Bündnisse wie die Initiative „Ende Gelände“. Die spiele eine wichtige Rolle bei der europaweiten Mobilisierung, etwa für Klimacamps, Kraftwerks-Blockaden am Tagebau Garzweiler und Aktionstage am Hambacher Forst. Der Verfassungsschutz bezeichnet „Ende Gelände“ als „europaweites Sammelbündnis zivildemokratischer und linksextremistischer“ Netzwerke. Linksextremen diene „Ende Gelände“ als Plattform und als Brücke zu „zivildemokratischen“ Gruppen. Die Sicherheitsbehörden warnen vor einer Radikalisierung auch friedlicher Demonstranten. Diese würden durch Kooperation ein Umfeld schaffen, aus dem heraus Linksextreme Proteste eskalieren ließen und Gewalt plötzlich legitim erscheine. Erfahrungen mit dem Bündnis hat auch Brandenburg. In der Lausitz gab es 2016 ein Klimacamp – von 2000 Teilnehmern war dort die Hälfte aus dem Ausland. Sie besetzten Gleise, ketteten sich dort an, stürmten einen Tagebau und ein Kraftwerk. Der Chef des Kohleunternehmens sprach damals von Ökoterrorismus.

Wie groß ist der Zulauf Linksextremer?

Das ist nicht ganz klar. NRW-Innenminister Reul erwartet, dass die Zahl gewaltbereiter Aktivisten bis Oktober auf eine niedrige dreistellige Zahl steigen könnte. In der Szene werde zum gewaltsamen Kampf gegen das kapitalistische und das politische System aufgerufen. Im Wald waren auch Personen in militärischer Tarnkleidung zu sehen. Andererseits ist die Kommunikation der Behörden darauf ausgelegt, jedes Detail als Nachweis dafür vorzulegen, dass im Forst gewaltbereite Linksextreme agieren. Am Montag musste die Polizei aber Aussagen zu angeblichen Fallen korrigieren.

Wird es ruhig, wenn der Wald geräumt ist?

Damit rechnen nicht einmal die Sicherheitsbehörden. Es gebe Hinweise darauf, dass Aktivisten aus anderen europäischen Ländern anreisen wollen. Bei Kontrollen sind bereits Menschen aus Dänemark, Frankreich, Polen, Spanien, den Niederlanden und Großbritannien im Wald und in einem Wiesencamp angetroffen worden. Die Behörden stellen sich darauf ein, dass Bagger und Transportbahnen besetzt werden sollen, es zu Sachbeschädigungen und Angriffen auf Beamte kommt, etwa um Polizeiketten zu durchbrechen und in den Wald vorzudringen.

„Ende Gelände“ hat weitere Aktionen angekündigt. Vom 25. bis 29. Oktober soll gemeinsam „mit Aktivisten aus ganz Europa“ der Braunkohle-Tagebau Hambach blockiert werden. Eine Großdemonstration ist für den 6. Oktober angekündigt. Befeuert wird die Debatte auch politisch durch die Brisanz des Klimawandels: UN-Generalsekretär António Guterres warnte jüngst, die Welt stehe am Abgrund – die Staatengemeinschaft müsse schnell handeln. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) rief am Dienstag RWE und Umweltverbände zum Dialog über den Hambacher Forst auf. Selbst Prominente wie der Sänger Peter Maffay solidarisieren sich: „Nicht alles was rechtens ist, ist auch richtig. Die Rodung des Hambacher Forstes ist ein Beispiel dafür.“ Historisch wird auch ein Vergleich mit der Anti-Atomkraft-Bewegung gezogen. Auch dieser Klimawandel ist inzwischen spürbar.

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