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Das russische Versorgungsschiff "Kapitan Dranitsyn" (im Vordergrund) dringt zum Forschungsschiff "Polarstern" (im Hintergrund) vor.

© Steffen Graupner/Alfred-Wegener-Institut/dpa

Halbzeit für die Polarstern: Forscher der Mosaic-Expedition ziehen nach sechs Monaten erste Bilanz

Starke Stürme, hungrige Eisbären und zwei neue Rekorde - die größte Arktisexpedition verläuft trotz schwieriger Bedingungen nach Plan

Gefangen im Eis bei bis zu minus 36 Grad, in kompletter Dunkelheit – Mosaic, die größte Arktisexpedition aller Zeiten, hat es in sich. Seit Oktober driftet das Forschungsschiff Polarstern bereits durch die Arktis – eingefroren in einer Eisscholle. Insgesamt wird das Schiff ein Jahr unterwegs sein. Das Ziel der Expedition: die Erforschung der Klimaprozesse in der Zentralarktis und deren Einflüsse auf das Klima auf der Erde.

Zur Halbzeit zogen Expeditionsleiter Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, die wissenschaftliche Koordinatorin des Mosaic-Teams „Meereis“ Julia Regnery und Forschungsministerin Anja Karliczek am Freitag eine erste Bilanz.

Zwei Rekordbrüche in der Polarforschung

Mosaic hat in den ersten Monaten bereits zwei Rekorde gebrochen. Am 24. Februar war die Polarstern nur 156 Kilometer vom Nordpol entfernt. So weit nördlich ist zuvor noch kein Schiff im Polarwinter gekommen. Nur zwei Tage später brach der russische Versorgungseisbrecher „Kapitan Dranitsyn“ einen weiteren Rekord: Kurz vor dem Zusammentreffen mit der Polarstern, erreichte das Schiff mit 88°28' ebenfalls einen neuen Breitenrekord. Noch nie ist ein Schiff so früh im Jahr aus eigenem Antrieb so weit in den Norden gefahren. Die Rekorde sind laut Rex zwei Meilensteine in der Polarforschung.

Die Mission Mosaic steht für „Multidisziplinäres Drift-Observatorium zum Studium des arktischen Klimas“. Sie ist die bislang größte Polarexpedition in der Geschichte, zehn Jahre lang wurde geplant. 20 Nationen, 900 Menschen an Bord und an Land und 90 Institutionen beteiligen sich an der Mission. Insgesamt kostet das Projekt 140 Millionen Euro.

Die Hälfte wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bezahlt. „Das ist es wert“, sagt Forschungsministerin Karliczek. „Wir brauchen diese handfesten Erkenntnisse zum Klimawandel.“ Nur mit wissenschaftlichem Basiswisssen könnten letztendlich politische Entscheidungen getroffen werden. Und eben dieses Basiswissen soll nun in der Arktis erforscht werden. Die arktischen Klimaveränderungen sind die stärksten, die der Planet aufweist. Ihr Einfluss auf das weltweite Klima ist laut Karliczek gigantisch.

Eis wird immer dünner

Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest der Erde. Das Eis wird immer dünner. Bis 2050 könnte es in den Sommermonaten bereits kein Eis mehr in der Arktis geben. Gegen diesen Trend müsse man dringend ansteuern, sagt Karliczek. „Der Klimawandel ist die größte zu bewältigende Aufgabe unserer Zeit.“

Die ersten Anzeichen der Erwärmung beobachten die Forscher selbst täglich auf ihrer Expedition in der Arktis. Ein Beispiel: Durch die Erwärmung des Arktischen Ozeans entstehen immer kleinere und dünnere Schollen, die sich übereinander stapeln. Sie erzeugen sogenannte Presseisrücken, die laut Rex so groß wie mehrstöckige Häuser werden können. Die Presseisrücken können außerdem bis zu 30 Meter dick sein.

„Das Eis ist generell viel dynamischer als ich gedacht habe“, sagt Julia Regnery vom AWI, die in den ersten Monaten auf der Polarstern war und im letzten Forschungsabschnitt wieder an Bord zurückkehren möchte. „Das Eis bewegt sich, einzelne Stücke verschieben sich“, sagt sie.

Auch die starken Stürme seien in diesem Jahr sehr auffällig, sagt Rex. Warmlufteinbrüche blieben in diesem Polarwinter hingegen aus. Die Wissenschaftler haben bereits angefangen, die gesammelten Daten und Erkenntnisse auszuwerten. Laut Rex sind es gewaltige Mengen. „Wir bringen die große Fülle an Daten auf Festplatten an Land“, sagt der Expeditionsleiter. Die ersten Ergebnisse werden erst in einigen Monaten vorliegen. Bis dahin messen die Forscher weiter auf dem Eis, an Bord und in der Atmosphäre. Tauchgänge mit den Unterwasserrobotern zeigen außerdem, wie das Leben unter der Eisoberfläche aussieht.

Ein Leben der Extreme

Die Messungen und Forschungen in der Forschungsstation laufen unter schwierigen Bedingungen. Starke Stürme, Minusgrade und komplette Dunkelheit – das Leben in der Arktis ist ein Leben der Extreme. Dennoch konnten die Forscher auch viel Leben entdecken. Sie konnten Dorsche, Rippenquallen, Polarfüchse und Robben beobachten – und Eisbären. Diese sind laut Rex nicht ganz ungefährlich. Denn hungrige Eisbären fressen auch Menschen. Doch die Forscher sind vorbereitet. Wärmelichtkameras zeigen etwa, ob sich ein Eisbär nähert. Falls dies der Fall ist, muss die Mannschaft schnell an Bord verschwinden.

„Die ganze Expedition ist an der Grenze des Machbaren“, sagt der Expeditionsleiter. Er selbst ist im Januar von der Polarstern zurückgekehrt. In einer Woche geht es für ihn wieder an Bord. Er freut sich, die Forschungsstation auf der 2,5 mal 3,5 Kilometer großen Eisscholle erstmals im Hellen zu sehen.

Sechs Monate in Dunkelheit

Denn von Oktober bis März herrscht in der Arktis komplette Dunkelheit. Die Forscher konnten bislang nur mit ihren Stirnlampen die Scholle erkunden. „Die ganze Station haben wir noch nie im Licht gesehen“, sagt Rex. In wenigen Wochen geht die Sonne wieder auf. Man sehe dann die schönsten Farben, erklärt der Expeditionsleiter. Es werde von Tag zu Tag heller, bis die Sonne ganz aufgeht und monatelang das Eis in Licht hüllt. Erst im Herbst wird sie wieder untergehen.

Elena Matera

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