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Frauentag ist einmal im Jahr. Frauenverbände wollen, dass Gleichstellungspolitik durchgehend stattfindet.

© Jens Wolf/dpa

Halbzeit der GroKo: Frauenverbände vermissen ehrgeizige Gleichstellungspolitik

Zu wenig vorgenommen, zu wenig erreicht: Verbände finden die Gleichstellungspolitik der GroKo schwach. Und zu wenig stetig.

„Zur Mitte der Legislaturperiode wird eine Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages erfolgen, inwieweit dessen Bestimmungen umgesetzt wurden oder aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben vereinbart werden müssen.“ So lauten die letzten Sätze im Programmteil des Koalitionsvertrags vom März 2018. Die Mitte ist jetzt erreicht, aber mit ihrer Halbzeitbilanz haben es CDU, CSU und SPD offenbar nicht eilig. Von Ende des Monats, aber auch von November ist für den Rückblick der Regierung die Rede. Wann die beteiligten Parteien bilanzieren, ist noch völlig unklar - schließlich würden sie nicht nur erledigte Projekte abhaken. Es geht darum, ob die Partnerinnen überhaupt noch Sinn in der Fortsetzung des Bündnisses sehen. Will sagen: Es möglicherweise platzen lassen. Vor allem die SPD sträubte sich lange gegen eine eine neue GroKo, ihre Werte gehen Wahl um Wahl nach unten. 

Lob für begrenzte Teilzeit und Gewaltprävention

Akteurinnen von außerhalb, NGOs und Vereine ziehen bereits jetzt und pünktlich Bilanz. So auch der Deutsche Frauenrat (DF), Dachverband der bundesweit tätigen Frauenorganisationen. Das Papier, das er dem Stand der Geschlechterpolitik widmet, liegt dem Tagesspiegel vor. Begeisterung verrät es nicht: Um dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes gerecht zu werden“, müssten „deutlich mehr gleichstellungspolitisch relevante Vorhaben vorangetrieben werden“, heißt es darin. Die Koalition habe sich bereits „zu wenig vorgenommen“ und dann „zu wenig umgesetzt“. Unter „Einiges erreicht“ lobt der DF aber das neue Programm gegen Gewalt gegen Frauen und die Brückenteilzeit, die seit Januar die Rückkehr aus der Teilzeit auf eine Ganztagsstelle ermöglicht. Dadurch werde ungewollte Teilzeit nicht länger zur Falle für Frauen. Auch die Aufwertung der Pflegeberufe lobt der Frauenrat und würdigt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer seit September wieder gleiche Beiträge zur Krankenversicherung zahlen. Das komme vor allem Geringverdienern zugute, in der Mehrheit Frauen.  

Als Fehlstellen bereits im Vertag benennt der Frauenrat, dass weder Minijobs abgeschafft noch das Ehegattensplitting reformiert wird. Zwar bekenne sich die Koalition dazu, feste Institutionen für Gleichstellungspolitik zu schaffen, sie also zu verstetigen, plane aber kein Geld dafür ein. Auch ein Paritätsgesetz habe die Koalition nicht beschlossen, um die gleiche Vertretung von Frauen und Männern in den Parlamenten zu sichern. Das haben bisher nur Brandenburg und Thüringen; der Frauenrat verweist darauf, dass es im Bund nötiger sei denn je – dort ist in dieser Legislaturperiode nicht einmal ein Drittel Frauen, der niedrigste Stand seit 20 Jahren. Dass das Steuersplitting der Ehegatten Berufstätigkeit von Frauen und damit eine gute Absicherung im Alter verhindere, so der DF, sagten inzwischen auch die Experten des Finanzministeriums und die EU-Kommission habe Deutschland ermahnt.

"Geschlechtergerechtigkeit stärkt die Demokratie"

Für viele geschlechterpolitische Projekte anerkennt der DF die gute Absicht, vermisst aber Umsetzung: Das Gesetz für Frauen in Führungspositionen helfe nicht, solange es keine Sanktionen für Firmen gebe, die sich dem entziehen. Der Bund gebe Kulturförderung nach wie vor nicht gleichermaßen an Frauen und Männer, obwohl die Jurys inzwischen weitgehend gerecht mit beiden Geschlechtern besetzt seien. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Schulkindern stehe zwar im Vertrag der Koalition, sei aber noch nicht umgesetzt. Und der stark eingeschränkte Familiennachzug von Flüchtlingen treffe vor allem schutzsuchende Frauen und Kinder. Den „humanitär gebotenen und im Grundge-

setz verankerten Schutz der Familie“ gelte es auch zu beachten, wenn es um Geflüchtete gehe. Schließlich ermahnt das Frauenbündnis die Regierung, Frauenpolitik gerade jetzt als Demokratieförderung zu verstehen: „Unsere Demokratie steht unter Druck“,  antidemokratische Tendenzen seien „immer auch antifeministische Tendenzen“. Dagegen stärke Geschlechtergerechtigkeit die Demokratie, „sie fördert den Wohlstand und den sozialen Frieden. Sie schützt unsere Gesellschaft vor patriarchalen Rückfällen und Extremismus.“

 Juristinnen: Gleichstellung ist Daueraufgabe

Dass der Koalitionsvertrag in Sachen Gleichstellungspolitik „kein großer Wurf“ war, findet auch der Deutsche Juristinnenbund. Damit sie vorankomme, sagt dessen Präsidentin Maria Wersig, brauche es aber vor allem mehr als solche Verabredungen und einzelne Projekte. „Wir brauchen eine Professionalisierung der Gleichstellungspolitik. Da hängt Deutschland leider stark zurück.“ Der Koalitionsvertrag selbst sehe eine „ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie“ vor. "Es gibt ganz viel Wissen, wir haben hervorragende Gleichstellungsberichte, aber wir müssen es schaffen, dass daraus wissensbasierte kontinuierliche Politik wird", so Wersig. "Dabei könnte das angedachte „Bundesinstitut für Gleichstellung“ helfen, das an der gerechten Teilhabe von Frauen auf allen Feldern der Gesellschaft arbeitet."

Schon als der Koalitionsvertrag entstand, habe man wieder gehört: „Nun gebt doch auch mal Ruhe, ihr habt doch schon so viel erreicht.“  Dabei sei Gleichstellungspolitik Daueraufgabe des Staats. "Seit genau 25 Jahren, seit Oktober 1994, steht es so im Grundgesetz“, sagt Wersig. „Darüber wollen wir nicht mehr diskutieren.“

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