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Schmelzende Schätze. Eisschollen in einem isländischen Gletschersee.

© imago images/allOver-MEV

Haftung bei Treibhausemissionen: Klimaschutz vor Gericht

Bremsen Klagen gegen Konzerne die globale Erwärmung? Ein Gastbeitrag.

Nils Schmidt-Ahrendts ist Partner der Kanzlei Hanefeld (Hamburg/Paris) und auf nationale und internationale Gerichts- und Schiedsverfahren spezialisiert. Er ist zudem Mitbegründer des International Dispute Resolution LL.M Programms der Humboldt Universität zu Berlin und Lehrbeauftragter für internationales Schiedsverfahrensrecht an der Universität Freiburg.

Im Herbst 2021 haben die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace fünf Klimaschutzklagen gegen die Automobilkonzerne BMW, Daimler und VW sowie den Energiekonzern Wintershall Dea initiiert. Ziel ist es, die Konzerne zu verpflichten, ihre CO2-Emissionen signifikant zu reduzieren. Vorbild ist eine Klage gegen den Energiekonzern Shell in den Niederlanden. Auf diese hin wurde Shell in erster Instanz verurteilt, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019 zu verringern.

Als erstes der fünf deutschen Gerichte hat das Landgericht Detmold am 13. Mai eine vorläufige Einschätzung mitgeteilt. Dieses hält die von Greenpeace finanzierte Klage des Landwirts Ulf Allhoff-Cramer gegen VW derzeit für unbegründet. Endgültig entscheiden wird jedoch wohl erst das jeweils höchste Zivilgericht: der Bundesgerichtshof und der Hooge Rat. Aber worum geht es eigentlich in der Sache?

Allgemein anerkannt ist, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als 1,0°Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau vom Menschen verursacht ist und durch ihn begrenzt werden muss. Ferner hat das Bundesverfassungsgericht am 24. März 2021 festgestellt, dass das Pariser Abkommen und das Grundgesetz die Bundesrepublik Deutschland verpflichten, ihren Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2°Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu leisten.

Kernfrage der Klimaschutzklagen ist hingegen, ob auch bestimmte Konzerne verpflichtet sind, ihren Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels zu leisten und wer diese Pflicht gestützt auf welche Rechte gegebenenfalls durchsetzen kann.

Für Starkregen mitverantwortlich

Die Kläger gegen VW machen primär geltend, dass die CO2-Emissionen von VW ihre Gesundheit und ihr (landwirtschaftliches) Eigentum bedrohen. Hierfür müssen sie nachweisen, dass diese CO2-Emissionen für Hitze, Dürre oder Starkregen zumindest mitverantwortlich sind, und diese dort drohen, wo die Kläger leben. Dies ist nicht einfach, aber mit Hilfe der sogenannten Zuordnungsforschung auch nicht ausgeschlossen.

Zusätzlich berufen sich die Kläger auf ein „Recht auf Erhaltung ihrer treibhausgasbezogenen Freiheit“. Was das ist, ergibt sich aus dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts. Hiernach schützt uns unsere Verfassung davor, dass durch fehlende staatliche Vorgaben unser CO2-Budget heute so sehr aufgezehrt wird, dass der Staat morgen gezwungen sein könnte, unsere Freiheit umso stärker zu beschränken.

Grundlage für diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind die Berechnungen des Weltklimarats, welche globalen CO2-Budgets zur Verfügung stehen, um die Klimaschutzziele des Pariser Abkommens zu erreichen, und die Berechnungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen, welches CO2-Budget hieraus für Deutschland folgt.

Die Klimaschutzklagen zwingen die Zivilgerichte nun zu entscheiden, ob dieses Recht auf die Erhaltung treibhausgasbezogener Freiheit auch gegenüber den CO2-Emittenten selbst geltend gemacht werden kann. Diese Entscheidung per se schärft unser Bewusstsein, dass jede CO2-Emission heute die Freiheit unserer Kinder morgen begrenzt. Vor allem aber stellt sich die Frage, für welche CO2-Emissionen und Rechtseingriffe die Beklagten haften.

Hier muss man sich klarmachen, dass die beklagten Konzerne in mehrfacher Hinsicht nur mittelbar in die Rechte der Kläger eingreifen. Zum einen bedrohen nicht die CO2-Emissionen selbst, sondern erst ihre Folgen, Extremwettereignisse bzw. staatliche Verbote, die Rechte der Kläger. Zudem emittieren alle Beklagten die allermeisten ihrer die CO2-Emissionen nicht selbst. Rund 98 Prozent der CO2-Emissionen von VW beruhen etwa auf den Fahrten mit VW-Autos.

Mittelbare Störer

Dies schließt die Haftung der Beklagten aber nicht aus. So haften nach deutschem Recht auch „mittelbare Störer“, wenn sie eine „Verkehrssicherungspflicht“ verletzen. Dies ist dann der Fall, wenn sie eine Gefahrenlage schaffen und hierbei nicht die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.

Die CO2-Emissionen eines Einzelnen schaffen keine Gefahrenlage, auch nicht wenn er permanent im SUV oder Flugzeug sitzt. Gleiches gilt für die allermeisten Unternehmen. Deswegen droht auch keine Flut von Klimaschutzklagen, wie die Beklagten gern orakeln. Die CO2-Emissionen der derzeit beklagten Konzerne hingegen gleichen jenen von Staaten – die Emissionen des VW-Konzerns jenen von Australien. Sie schaffen eine Gefahrenlage. Die Klagen verdeutlichen daher, welche herausragende Rolle bestimmten Konzernen bei der Begrenzung des Klimawandels zukommt – wenn nicht rechtlich, dann jedenfalls faktisch.

Auch eine Verkehrssicherungspflicht verbietet es den Beklagten nur, übermäßig CO2 zu emittieren. Eine weitere Frage der Klimaschutzklagen lautet daher, wo ist die Grenze? Die Klagen berufen sich hierfür auf „Reduktionspfade“. Die Deutsche Umwelthilfe stützt sich insbesondere auf (1) das vom Weltklimarat berechnete globale CO2-Budget, das noch zur Verfügung steht, um die Erderwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 83 Prozent auf 1,7°Celsius zu begrenzen, (2) den heutigen Anteil des Verkehrs- bzw. Öl- und Gassektors an den globalen Gesamtemissionen und (3) den heutigen Marktanteil der Beklagten.

Bedeutung des Verkehrssektors

Greenpeace stützt sich hingegen auf das „Net Zero by 2050-Szenario, All Electric Case“ der internationalen Energieagentur. Es beschreibt die Transformation im Energiesektor, die notwendig ist, um die Erderwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf 1,5°Celsius zu begrenzen. Es berücksichtigt hierbei u.a. die besondere Bedeutung des Verkehrssektors für die Weltwirtschaft und die Kosten der notwendigen CO2-Reduzierung.

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Ein Erfolg der Klimaschutzklagen ist, dass die Beklagten zu diesen Reduktionspfaden Stellung genommen haben und weiter Stellung nehmen müssen. Auch wenn die Kläger die Konzerne nicht verpflichten können. Keiner wird es sich leisten können, keinen Reduktionspfad zu beschreiten oder sich dazu auszuschweigen.

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Eine eher politische Frage ist, ob es nicht primär Aufgabe des Gesetzgebers ist, den Beklagten vorzuschreiben, wieviel CO2 sie noch emittieren dürfen. Hierfür spricht vieles. Nur begründet das Fehlen einer solchen Reglung keinen Freifahrtschein.

Auch das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof haben in ähnlichen Fällen entschieden, dass die deutschen Gerichte dort, wo eine gesetzliche Regelung notwendig wäre, aber fehlt, zunächst selbst eine solche entwickeln müssen. Solange also der deutsche Gesetzgeber keine Reduktionspfade vorgibt, ist es nur folgerichtig, wenn die Klimaschützer auf die Gerichte setzen, um den Klimawandel zu begrenzen. Denn die Uhr tickt.

Nils Schmidt-Ahrendts

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