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Gestelltes Bild zum Thema häusliche Gewalt.

© Maurizio Gambarini/dpa

Häusliche Gewalt: Wir müssen hinsehen

Gewalt durch den Partner ist für viele Frauen alltäglich. Wir brauchen eine Öffentlichkeit, die Schutz bietet - und zwar dauerhaft. Ein Kommentar.

Die Statistik zur häuslichen Gewalt ist bestürzend. Bestürzend ist auch, dass sich an den Zahlen seit Jahren nichts geändert hat. Und das, obwohl doch gefühlt in den letzten Jahren viel für Frauenrechte getan wurde.

Man möchte angesichts dieser Ungeheuerlichkeit sofort etwas tun und weiß zugleich nicht so recht, was. Denn diese Taten sind im wahrsten Sinne des Wortes unbegreiflich – es lässt sich nicht greifen, wo der Ursprung des Problems liegt, und somit nicht, wie man es lösen soll: Die Gewalttaten ziehen sich durch alle Schichten, Bildung hilft den Frauen folglich nicht.

Es handelt sich nicht um „importierte Gewalt“, zwei Drittel der Tatverdächtigen sind Deutsche. Auch eine Gesetzesverschärfung nützt nichts, die Taten sind von Straftatbeständen – Stalking, Nötigung, einfache, gefährliche, schwere Körperverletzung – bereits erfasst. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, wie man etwas juristisch verfolgen soll, das in einem juristisch besonders geschützten Raum stattfindet: der Privatsphäre.

Häusliche Gewalt hat einen privaten Charakter. Und genau diese Privatheit führt unweigerlich zur Wahrnehmung bekannter Fälle als Einzelfälle. Frauen denken dann: „Das würde ich mir nicht gefallen lassen.“ Und die Männer: „So etwas würde ich nie tun.“ Viele dieser Gewalttaten sind mit einem Stigma behaftet: Warum lässt du das mit dir machen? Den Opfern fällt es deshalb schwer, sich an jemanden zu wenden. Sie vertrauen sich, wenn überhaupt, einer professionellen Stelle an – und Frauenhäuser und Sorgentelefone gibt es viel zu wenige.

Faktische Normalität

Daher ist es richtig, wenn die Familienministerin Franziska Giffey sich für einen Ausbau der Hilfe in Frauenhäusern einsetzt und dafür 2020 35 Millionen Euro für ein Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen in Aussicht stellt. Aber das ist nicht genug. Es geht um Öffentlichkeit. Und die Öffentlichkeit, das sind wir alle.

Natürlich ist schwer, Öffentlichkeit für etwas zu schaffen, das per definitionem der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen ist. Doch dieser Gedanke ist zu bequem. Denn seien wir ehrlich: Wir sind jetzt bestürzt angesichts dieser Zahlen, und wir werden womöglich in fünf Tagen, am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, erneut darüber reden. Und dann werden diese Zahlen wieder aus dem Bewusstsein verschwinden, so wie in den letzten Jahren.

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Die Glücklichen, die nicht davon betroffen sind, denken, sie können nichts tun. Und die Unglücklichen, die davon betroffen sind, denken ebenfalls, sie könnten nichts tun oder sie hätten keinen Anspruch auf Aufmerksamkeit, Sicherheit und Schutz. Wir aber, die Freunde, Nachbarn, Lehrer von Opfern, besitzen die Macht von Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit. Wir müssen lernen, sie zu nutzen, und zwar dauerhaft. Denn das kann man aus #metoo lernen: Öffentlichkeit verändert unser Verständnis davon, was alle etwas angeht.

Das Alltägliche, zumal das Unsichtbare und Unaussprechbare, droht immer zur faktischen, wenn auch nicht moralischen Normalität zu werden. Gewalt durch den Partner ist für viele alltäglich. Auch bei #metoo waren die Vorgänge alltäglich. Indem darüber geredet wurde, indem es kritisiert wurde, wurde das Unsichtbare und Unaussprechbare der Alltäglichkeit entrissen. Wir brauchen keinen Hashtag für häusliche Gewalt, aber wir brauchen eine Öffentlichkeit, die hinsieht, zuhört und Schutz bietet.

Regina Wank

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