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Bahnreisende verlassen einen Zug, der den Bahnhof von Westerland auf Sylt erreicht hat.

© Axel Heimken/dpa

Update

Härtetest für das Neun-Euro-Ticket: Überfüllte Regionalzüge und Verspätungen an Pfingsten

Über das Pfingstwochenende sind Züge vor allem in Urlaubsregionen zu voll. Schon jetzt gibt es Forderungen zum 9-Euro-Ticket.

Übervolle Züge in Urlaubsregionen, Gedränge auf Bahnsteigen sowie Verspätungen und verärgerte Kunden - für die Rabattaktion mit dem 9-Euro-Ticket war die Pfingstreisewelle ein erster Härtetest. Verkehrsanbieter hielten sich mit einem ersten Fazit aber zurück. Bei der Deutschen Bahn hieß es vor der erwarteten Rückreisewelle am Montag nur: „Wie erwartet gab und gibt es regionale Spitzen im Fahrgastaufkommen, insbesondere zu touristischen Zielen.“ Überregional werde insgesamt ein stabiler Bahnbetrieb verzeichnet.

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Der Fahrgastverband Pro Bahn sprach von einem Chaos, das vorhersehbar gewesen und Folge eines politischen Angebots sei, ohne dafür über die nötigen Kapazitäten im Bahnverkehr zu verfügen. Verbraucherschützer, Kommunen sowie Verkehrspolitiker fordern nach dem Boom beim 9-Euro-Monatsticket und der Nachfrage im Pfingstverkehr dauerhaft günstige Nahverkehrspreise. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) strebt tiefgreifende Verbesserungen für einen attraktiveren öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) an.

Über das Pfingstwochenende sind alljährlich viele Regionalzüge vor allem in Urlaubsregionen proppevoll. Diesmal kamen aber noch die 9-Euro-Tickets hinzu. Diese gelten im Juni, Juli und August und ermöglichen jeweils für einen Monat beliebig viele Fahrten in Bussen und Bahnen des Nah- und Regionalverkehrs in ganz Deutschland - viel günstiger als normale Monatstickets, die zudem nur im Verbundbereich gelten. Während des langen Pfingstwochenendes waren nach Angaben der Deutschen Bahn Regionalzüge insbesondere zu touristischen Zielen sehr stark nachgefragt - etwa Richtung Ost- und Nordsee. Reisende hatten von teils völlig überfüllten Zügen berichtet, es sei zu Verspätungen gekommen. Aus einigen Zügen mussten Fahrgäste wieder aussteigen. Auch konnten Reisende Fahrräder teils nicht mitnehmen. Bei der Deutschen Bahn hieß es am Montag, für eine ausführliche Bilanz sei es noch zu früh. Eine Branchen-Zwischenbilanz werde der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Mitte dieser Woche vorlegen.

Bundespolizisten halfen bei überfüllten Zügen

Bundespolizisten waren über Pfingsten verstärkt im Einsatz, um Bahn-Mitarbeiter zu unterstützen - etwa wenn Fahrgäste aufgefordert werden mussten, überfüllte Züge zu verlassen. Wie häufig überfüllte Züge gestoppt werden mussten, war zunächst nicht von der Bahn zu erfahren. In Stendal in Sachsen-Anhalt etwa wurden Bundespolizisten am Samstag zu einem überfüllten Regionalexpress Richtung Norden gerufen. Der Zug sei um mehr als 200 Prozent ausgelastet gewesen, sagte ein Sprecher des Bundespolizei. Der Triebfahrzeugführer habe um Hilfe gebeten, da Reisende nicht bereit gewesen seien, den Zug zu verlassen, schilderte ein Sprecher der Bundespolizei.

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„In den Hauptreisezeiten war die Nachfrage auf den Hauptstrecken so stark, dass Züge nicht abfahren konnten. Und einige Bahngesellschaften - etwa die Metronom in Norddeutschland - haben die Fahrradbeförderung ausgeschlossen, weil sie dem Ansturm nicht Herr wurden“, kritisierte Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Gut am 9-Euro-Ticket sei, dass dadurch der öffentliche Nahverkehr wieder ins Gespräch gebracht worden sei. Naumann erwartet für die kommenden Sommermonate weitere Probleme. Bahnreisenden riet er darum, wenn möglich nicht am Wochenende zu fahren, sondern auf Tage in der Wochenmitte auszuweichen und das Ausflugsziel zu überdenken.

Wissing: „Mehr Menschen für den ÖPNV begeistern“

Aus Sicht von Verkehrsminister Wissing sollte das Angebot im Nahverkehr künftig verständlicher, einheitlicher und damit kundenfreundlicher werden. Er sprach sich auch für praktische Nahverkehrs-Apps und einfachere Tarife aus. „Wir müssen die Chancen nutzen, mehr Menschen für den ÖPNV zu begeistern“, sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Wir wollen neue Fahrgäste gewinnen.“ Außerdem müssten kleinteilige Organisationsstrukturen aufgebrochen werden. Einheitliche Tarife und Verkehrsverbund-übergreifende Angebote seien auch für die Kundinnen und Kunden ein echter Mehrwert. „Menschen leben nicht in Tarifzonen. Menschen wollen von A nach B.“ Auch die SPD-Verkehrsexpertin Dorothee Martin sieht die aktuelle Rabattaktion als Chance.

Die Forderungen von Ländern und Kommunen

Die Länder fordern vom Bund dauerhaft mehr Regionalisierungsmittel, mit denen sie oder Verkehrsverbünde Nahverkehrsleistungen bei Anbietern bestellen. Wissing dringt aber zunächst auf Reformen. „Die Analyse des 9-Euro-Tickets wird uns klare Hinweise geben, wo wir hin müssen“, sagte er. Der Städte- und Gemeindebund sprach sich dafür aus, auch nach Auslaufen des auf drei Monate befristeten 9-Euro-Tickets für den Personennahverkehr ein bundesweit unbegrenzt gültiges ÖPNV-Billigticket anzubieten. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg, sagte dem „Handelsblatt“, „wir brauchen keinen kurzen ÖPNV-Sommer, sondern ein flächendeckendes ÖPNV-Land“.

Das Ticket ist ein Erfolg, allerdings zeigt sich, dass die Bahn in den letzten Jahren - politisch gewollt - nicht in der Lage ist, die Nachfrage angemessen zu bedienen. Der Privatisierungswahn hat leider voll durchgeschlagen. 

schreibt NutzerIn Clow

Die „Wirtschaftsweise“ Grimm sieht das skeptisch: „Mit einem Angebot für alle, auch die Zahlungskräftigen, reduziert man ja nur den finanziellen Spielraum, ohne dass man große Effekte erzielen dürfte.“ Denkbar wäre etwa, jungen Menschen ein extrem günstiges Angebot zu machen. So gewöhnten sie sich an die Nutzung öffentlicher Verkehrssysteme, die dann mit zunehmendem Ausbau auch attraktiver würden, sagte die Ökonomin, die auch die Bundesregierung berät. SPD-Expertin Martin sagte, sie freue sich sehr über den großen Zuspruch für das 9-Euro-Ticket. Klar sei aber, „dass wir dauerhaft mehr Geld im ÖPNV brauchen“, betonte sie im „Handelsblatt“.

Verbraucherschützer wollen drohende Preiserhöhungen verhindern

Verbraucherschützer mahnten bereits, drohende Preiserhöhungen nach dem Ende der Aktion müssten vermieden werden. Die Interimschefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Jutta Gurkmann sagte, „um den ÖPNV zu stärken und Fahrgäste dauerhaft zu halten, sind konstant günstige Ticketpreise wichtig“. Die Bundesregierung solle deshalb ein Preismoratorium für Busse und Bahnen beschließen und in einen kundenfreundlichen ÖPNV und attraktive Angebote investieren.

Aus Sicht von Wissing besteht nun die Chance zu prüfen, inwieweit der Preis die Einstiegshürde für den ÖPNV sei oder es auf attraktivere Angebote ankomme. Die vorgesehene Evaluierung der Sonderaktion werde auch Hinweise darüber liefern, in welchen Regionen das Ticket nicht genutzt werde: „Und dann wird man die Frage stellen müssen, ob das Angebot dort nicht nutzerfreundlich genug ist.“ Die Länder wollen bis zum Herbst Ergebnisse einer Arbeitsgruppe vorlegen, um dann über die Regionalisierungsmittel für den Haushalt 2023 zu sprechen. (dpa)

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