zum Hauptinhalt
Die Berliner Demonstration gegen die Mietenentwicklung vor einer Woche.

© Christian Ditsch/epd

Habeck, Kühnert und das Unwort Enteignung: Gut, dass wieder über Enteignung debattiert wird

Das Reden über Eigentum gehört zur Debatte um Enteignung. Wem gehört denn tatsächlich, was enteignet werden soll? Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Andrea Dernbach

Erst Grünen-Ko-Chef Robert Habeck , dann Juso-Chef Kevin Kühnert. Zwei, die lange Everybody’s Darling waren, sind ganz rasch zu Außerirdischen geworden, denen man das kleine Einmaleins der Politik erklären zu müssen glaubt. Wer Worte wie Enteignung in den Mund nimmt oder am Kapitalismus zweifelt, wirkt in der Politik schnell wie von einem anderen Stern. Und das, obwohl es eigentlich Allgemeingut ist, dass Wohnungen in den Städten inzwischen selbst für die Mittelschicht unbezahlbar werden.

Dennoch ist der CDU-Generalsekretär „fassungslos“ über Habeck, die SPD schießt sich erst auf ihn und dann auf ihren Chef-Jugendlichen ein, und der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg findet die komplette Debatte unsinnig.

Ein uraltes Mittel

Warum eigentlich? Enteignungen sind so alt wie das Eigentum selbst. Ohne sie wäre die Französische Revolution ein blutiges Sandkastenspiel geblieben und die Besitzverhältnisse und damit die Gesellschaftsordnungen etlicher Ancien régimes wären bis auf den heutigen Tag dieselben. Das Grundgesetz ermöglicht sie ausdrücklich, sie stehen im Baurecht, in Gesetzen über Verkehr und öffentliche Daseinsvorsorge. Und sie finden auch statt, sind also auch praktisch keineswegs jenes exotische sozialistische Teufelszeug, als das sie jetzt gehandelt werden, um einen Aufschrei der kleinen Leute zu provozieren, die wohl glauben sollen, auch Omas kleines Häuschen sei bedroht.

Erst vor sechs Jahren entschied das Bundesverfassungsgericht im Fall des Braunkohletagebaus Garzweiler zugunsten der zwangsenteigneten Umweltschützer vom BUND. Ihre Obstwiese, die den Baggern des Energiekonzerns RWE im Weg stand, war da freilich nur noch ein Loch in der Landschaft. Der juristische Sieg war, praktisch gesehen, wertlos. Und er war auch nur ein halber. Schließlich bescheinigte Karlsruhe dem Landschaftsfraß von RWE zugleich, er diene der Energiesicherheit und damit jenem Gemeinwohl, das laut Grundgesetz in Gefahr sein muss, damit Enteignungen rechtens sind.

Enteignen für schmutzige Energie - aber nicht für Wohnungen?

Das scheint in Deutschland vor allem dann der Fall zu sein, wenn, wie in Garzweiler, eine altmodische und schmutzige Energiegewinnung Menschen aus ihren Häusern treibt und um ihre Heimat bringt – für die wir inzwischen sogar ein Ministerium haben – oder wenn Autoschneisen in die Landschaft geschlagen werden. Wenn allerdings das menschliche Grundbedürfnis nach einem Dach überm Kopf bedroht ist, scheinen sich die Pforten der Hölle schon zu öffnen, sobald nur das Wort Enteignung fällt.

Es ist, als drücke sich auch hier ein Wertesystem aus, das die „Zeit“ vor einiger Zeit so beschrieb: Während die sozial nützlichsten Tätigkeiten – wie Fürsorge für Kinder, Alte, Kranke – am unteren Ende der Gehaltsskala in unseren angeblich entwickelten Gesellschaften stehen, werden die erwiesenermaßen schädlichsten am besten entlohnt, Investmentbanking zum Beispiel.

Nur am Rande: Dass, wie jetzt gern und immer wiederholt behauptet, „durch Enteignung keine einzige neue Wohnung“ entstehe, ist ein ziemlich schwaches Argument. Schön wär’s, weniger neue zu brauchen, also auch weniger Zement, versiegelte Flächen. Dafür mehr Luft zum Atmen, indem man verhindert, dass die Wohnungen, die es längst gibt, spekulativ leer stehen oder durch luxuriöse Umbauten unbezahlbar werden.

Dass allerdings durch Vergesellschaftung von BMW und VW etwas besser würde, dass sie und die Kollegen in Stuttgart aufhören, fettleibige Spritfresser zu bauen oder Betrugssoftware einzuschmuggeln, ist nicht anzunehmen. Auch wenn der Angriff des BMW-Betriebsratsvorsitzenden auf Juso Kühnert für einen Vertreter der Arbeiterklasse schon erstaunlich klingt: Da hat er sicher recht.

Das dritte große E: Entschädigung

Lehrreich auch ein Blick auf das E-Wort hinter dem E-Wort: Eigentum. Wem gehört denn tatsächlich, was enteignet werden soll? Im Jahre 1804 eroberte Haiti seine Unabhängigkeit von Frankreich; 20 Jahre später zwangen die einstigen Kolonialherren das Land zu astronomischen Entschädigungen für ihr durch die Revolution geraubtes Eigentum – gemeint war, was sie sich mit einer grausamen Sklavenwirtschaft auf fremdem Boden genommen hatten.

Als kürzlich in Paris Notre-Dame brannte, waren binnen kurzem Hunderte Millionen Spenden beisammen. Zu einem nicht unerheblichen Teil von Frankreichs Superreichen und größten Steuervermeidern. Ihr Geld, ihre Spenden? Der Schriftsteller Ollivier Pourriol twitterte, unter Hinweis auf zwei Romanklassiker, sarkastisch: "Victor Hugo dankt allen großzügigen Spendern, die bereit sind, Notre-Dame de Paris (deutscher Titel ist "Der Glöckner von Notre-Dame") zu retten und schlägt vor, dass sie dasselbe mit den "Elenden" machen."

Die „Expropriation der Expropriateure“, die Enteignung jener, die tatsächlich selbst Enteigner sind, empfahl einst der große Alte aus Trier. Es lohnt sich, vor dem Enteignen über genau diese Frage des Eigentums politisch zu diskutieren, vermeintliches und tatsächliches.

Haiti konnte seine „Schuld“ erst nach dem Zweiten Weltkrieg abtragen – was mit hoher Wahrscheinlichkeit der Grund für die anhaltende Armut des Landes ist. In Deutschland zahlt ein freilich deutlich reicherer Staat seit mehr als 200 Jahren an die Kirchen – für Enteignungen aus dem Jahre 1803! Ohne eine rechtsstaatlich wasserdichte, vernünftige Grenze für das dritte E-Problem, Entschädigungen, geht selbst die bestbegründete Enteignung ins Leere.

Zur Startseite